VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 14.02.2008 - 10 K 2790/07 - asyl.net: M13390
https://www.asyl.net/rsdb/M13390
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, Aufenthaltserlaubnis, Verzögerung der Aufenthaltsbeendigung, Passbeschaffung, Mitwirkungspflichten, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Passpflicht, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 4; AufenthG § 5 Abs. 3
Auszüge:

Die Klage hat weitgehend Erfolg.

2. Die Klägerin zu 2. erfüllt die Voraussetzungen eines Anspruchs nach der Sollvorschrift des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

Eine vorsätzliche Täuschung über aufenthaltsrechtlich erhebliche Umstände liegt nicht vor (§ 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Alt. 1 AufenthG). Ebenso wenig ist erkennbar, dass die Klägerin zu 2. behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat (§ 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Das Gericht teilt die Rechtsauffassung des Bundesministeriums des Innern, wie sie in den Hinweisen zum Richtlinienumsetzungsgesetz (Stand vom 02.10.2007, AZ.: PGZU – 128 406/1, S. 77, Rn 331) zum Ausdruck kommt. Für eine großzügige Handhabung der Altfallregelung streitet der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, das Problem der nicht kleinen Gruppe solcher langjährig Geduldeter zu lösen, die sich erst verspätet aktiv um einen Nationalpass bemüht haben.

Somit ist an ein großzügiges Verständnis der Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 anzuknüpfen und ein großzügiger Maßstab anzulegen. Danach liegt der Ausschlussgrund des vorsätzlichen Hinauszögerns oder Behinderns behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ausschließlich dann vor, wenn ein Ausländer nachweislich Identitätsnachweise oder Personaldokumente vernichtet und unterdrückt hat, um seine Abschiebung zu verhindern, oder im Rahmen der Passbeschaffung zu einem konkreten Termin oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums zur Vorsprache bei der Vertretung eines ausländischen Staates aufgefordert worden ist und dieser Aufforderung nicht gefolgt ist, oder sich durch Untertauchen behördlicher Maßnahmen entzogen hat oder, als er bereits in Abschiebehaft saß, sich beharrlich geweigert hat, an der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht mitzuwirken oder sonst eine Abschiebung durch sein persönliches Verhalten verhindert hat (a.a.O., Rn. 333). Mangelnde selbstinitiative Bemühungen um die Passbeschaffung rechtfertigen nicht die Annahme eines Ausschlussgrundes nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG (mit deutlicher Tendenz in diese Richtung auch OVG Münster, Beschluss vom 21.01.2008 – 18 B 1864/07 – zit. n. juris, Rn 4).

Vorliegend fällt der Klägerin zu 2. allenfalls ein Unterlassen hinsichtlich der Beschaffung eines Nationalpasses zur Last fallen, so dass nach diesen Maßstäben der Ausschlussgrund nicht gegeben ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die Ausländerbehörde die Betreffenden auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen hatte (vgl. OVG Münster, a.a.O., Rn 4).

3. Der Kläger zu 1. erfüllt grundsätzlich ebenso wie die Klägerin zu 2. die vorgenannten Voraussetzungen eines Anspruchs nach der Sollvorschrift des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Allerdings wird der Passpflicht entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht genügt. Indessen kann die Ausländerbehörde der Beklagten gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 104a Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 AufenthG von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung absehen. Das der Beklagten damit eingeräumte Ermessen ist bezüglich des Klägers zu 1. darauf reduziert, dass nur ein Absehen von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Erfüllung der Passpflicht ermessensfehlerfrei ist.

a) Es ist unverhältnismäßig, die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis an den Kläger zu 1. von der Erfüllung der Passpflicht abhängig zu machen.

Dem Kläger zu 1. ist derzeit eine Erfüllung der Passpflicht unmöglich. Die Kläger zu 1. und 2. haben in der mündlichen Verhandlung glaubhaft bekundet, der Kläger zu 1. bemühe sich mit Nachdruck um die Ausstellung eines iranischen Nationalpasses, was ihm aber derzeit hartnäckig verwehrt werde, weil er als "politisch" gelte.

Angesichts der derzeitigen Unmöglichkeit für den Kläger zu 1., die Passpflicht zu erfüllen, muss das Ordnungsinteresse des Staates, einem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nur dann zu gewähren, wenn mittels gültigen Nationalpasses eine etwaig erforderlich werdende Rückführung in das Heimatland des Ausländers möglich ist, zurücktreten. Im Falle des Klägers zu 1. ist dieses Ordnungsinteresse als gering anzusehen, da eine Ausreise des Klägers zu 1. in den Iran in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Der Kläger zu 1. lebt seit mehr als zwölf Jahren mit seiner Familie in Hamburg und bemüht sich hinsichtlich der Passpflicht, einer aufzunehmenden Erwerbstätigkeit, der zu erwerbenden Sprachkenntnisse und seines Lebenswandels redlich, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können. Hinzu kommt, dass seine Ehefrau, die Klägerin zu 2., nach dem Vorstehenden (s. o. 2.) eine Aufenthaltserlaubnis beanspruchen kann, so dass eine Abschiebung des Klägers zu 1. fern liegt.