VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 24.04.2008 - 3 UE 410/06 - asyl.net: M13396
https://www.asyl.net/rsdb/M13396
Leitsatz:

Anmerkung der Redaktion: Aufgehoben durch Urteil des BVerwG v. 24.11.09 (10 C 23.08, M16689)

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1. Tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien, die unter der Regierung Maschadow als Zivilangestellte und später als Tschetschenienkämpfer tätig waren und deshalb von den russischen Sicherheitskräften gesucht wurden, können sich sowohl auf gruppenbezogene als auch auf individuelle Vorverfolgungsgründe berufen.

2. Bei auch individuell vorverfolgten Flüchtlingen hat im Fall einer gedachten Rückkehr der höchste Prognosemaßstab zu gelten, den die Qualifikationsrichtlinie in der in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltenen Rückausnahme zum Ausdruck bringt.

3. Bei individuell Vorverfolgten hat auch bei der Prüfung internen Schutzes gemäß Art. 8 Abs. 1 QRL hinsichtlich der Frage, ob von dem Flüchtling vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, ebenfalls der in Art. 4 Abs. 4 QRL zum Ausdruck gebrachte Prognosemaßstab zu gelten.

4. Personen, die in der Zivilregierung Maschadows und später als Tschetschenienkämpfer tätig waren, werden bei Rückkehr nicht nur routinemäßig behandelt, sondern angefangen bei den Einreiseformalitäten von dem in solchen Fällen zuständigkeitshalber eingeschalteten FSB einer sorgfältigen Überprüfung und Kontrolle unterzogen.

5. Bei Personen, die in der Zivilregierung Maschadows und später als Rebellen tätig gewesen sind, kann nicht mit der gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL erforderlichen Sicherheit angenommen werden, dass sie bei Rückkehr in ihr Heimatland, unabhängig davon, ob sie sich nach Tschetschenien oder in eine andere Region der Russischen Föderation begeben, dort nicht erneut von Verfolgung bedroht sein werden.

6. Für auf Seiten Maschadows kämpfende tschetschenische Rebellen, die nicht an terroristischen Überfällen auf die Zivilbevölkerung beteiligt waren, sondern sich in der militärischen Auseinandersetzung mit der Russischen Föderation um die Autonomie Tschetscheniens befunden haben, greift der Ausschluss des § 60 Abs. 8 AufenthG i. V. m. § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Russland, Tschetschenien, Tschetschenen, Anerkennungsrichtlinie, Verfolgungsbegriff, Vorverfolgung, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Gruppenverfolgung, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Beurteilungszeitpunkt, Existenzminimum, Terrorismusbekämpfung, Verfolgungsdichte, Sicherheitslage, Maschadow, Situation bei Rückkehr, Kämpfer (ehemalige), Glaubwürdigkeit, Grenzkontrollen, erster Tschetschenienkrieg, zweiter Tschetschenienkrieg, FSB, Inhaftierung, Übergriffe, Folter, Politmalus, Amnestie, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwere nichtpolitische Straftat, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4; RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 8; AsylVfG § 3 Abs. 2; GFK Art. 1 F
Auszüge:

Die Berufung der Kläger, mit der sie unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 21.Oktober 2004 - 5 E 2560/01.A - die Verpflichtung der Beklagten begehren, ihnen die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, ist aufgrund der Zulassung durch den Senat und auch sonst zulässig und auch begründet.

Der Senat hat sich in seinem Grundsatzurteil vom 21. Februar 2008 - 3 UE 191/07.A - mit den Veränderungen, die sich aus der Umsetzung bzw. dem Inkrafttreten der QRL sowie der Sicherheitslage tschetschenischer Flüchtlinge aus Tschetschenien befasst und ausgeführt: ...

Den Klägern drohte jedoch zusätzlich zu den soeben beschriebenen gruppenrelevanten Verfolgungsmaßnahmen auch aus individuellen Gründen Verfolgung. Dabei war der Kläger unmittelbar von Verhaftung bedroht, wobei in diesem Zusammenhang die unmittelbare Gefahr flüchtlingsrelevanter Übergriffe durch die russischen Sicherheitskräfte bestand, die Klägerin war unmittelbar von Übergriffen seitens der russischen Sicherheitskräfte bedroht, die anlässlich mehrerer Hausdurchsuchungen, bei denen versucht wurde, des Klägers habhaft zu werden, der Klägerin gedroht haben, sie umzubringen, falls sie nicht den Aufenthaltsort ihres Ehemannes preisgebe.

Dabei hält der Senat die Aussagen der Kläger im Gegensatz zu der Beklagten sowie im Gegensatz zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht für unglaubhaft.

Aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen, die auch dem Verwaltungsgericht vorgelegen haben dürften, ergibt sich, dass sich die kriegerischen Auseinandersetzungen in Tschetschenien insbesondere auch in den Jahren 2000 und 2001 gerade durch Guerillaaktionen der tschetschenischen Kämpfer gegen die dort stationierten russischen Sicherheitskräfte und das Zurückschlagen dieser ausgezeichnet haben, wobei die Zivilbevölkerung stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist. So führt das Bundesamt in seiner Informationsschrift "Der Tschetschenienkonflikt, Erkenntnisse des Länderseminars vom Januar 2001" aus, die Zahl der Rebellen werde auf insgesamt 5000 bis 6000 geschätzt, meist handele es sich um keine "Berufskämpfer".

Glaubt der Senat mithin den Klägern, dass der Kläger unter Maschadow und nach Ausbruch des 2. Tschetschenienkrieges als Tschetschenienkämpfer tätig war und die Klägerin mehrfach anlässlich von Hausdurchsuchungen, bei denen nach dem Kläger gesucht wurde, von den russischen Sicherheitskräften bedroht worden ist, drohte dem Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise unmittelbar Verhaftung und in diesem Zusammenhang menschenrechtswidrige Behandlung durch die russischen Sicherheitskräfte, da mit vermeintlichen oder tatsächlichen Mitgliedern der Rebellen bzw. der Regierung Maschadows im Zweifelsfall kurzer Prozess gemacht wurde. Der Klägerin drohte demgegenüber menschenrechtswidrige Behandlung, zumal sie schon mehrfach von den russischen Sicherheitskräften anlässlich der Hausdurchsuchungen bedroht worden war.

Dabei sind die den Klägern unmittelbar drohenden Maßnahmen auch nicht durch legitime Terrorismusbekämpfungsmaßnahmen auf Seiten des russischen Staates gerechtfertigt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Geht es dabei um Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, so stellt generell jede derartige, nicht ganz unerhebliche Maßnahme staatlicher Stellen, die an asylerhebliche Merkmale, insbesondere die politische Überzeugung oder Betätigung eines Betroffenen anknüpft, politische Verfolgung dar, ohne dass es noch auf eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt (BVerfG, Beschluss vom 15.02.2000, 2 BvR 752/97, in juris-online; BVerwG, Urteil vom 25.07.2000, 9 C 28/99, in juris-online). Auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung können asylrechtsbegründend sein. Da die betätigte politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylgrundrechts liegt, kann eine staatliche Verfolgung von Taten, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, grundsätzlich politische Verfolgung sein. Es bedarf einer besonderen Begründung, um sie gleichwohl aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen zu lassen. Hierfür kommt der Rechtsgüterschutz in Betracht, sofern die staatlichen Maßnahmen einer in den Taten zum Ausdruck gelangenden, über die Betätigung der politischen Überzeugung hinaus gehenden zusätzlichen kriminellen Komponente gelten. Auch eine danach nicht asylerhebliche Strafverfolgung kann freilich in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Behandlung erleidet. Auch unmenschliche Behandlung, insbesondere Folter, kann sich dann als asylrelevante Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylrelevanter Merkmale oder im Blick auf diese in verschärfter Form eingesetzt wird (BVerfG, Beschluss vom 15.02.2000, 2 BvR 752/97, juris-online). Insoweit hat nichts anderes für die Frage flüchtlingsrechtsbegründender Maßnahmen im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu gelten.

Auch unter Anlegung dieser Kriterien stellt die drohende Behandlung des Klägers anlässlich einer Verhaftung bzw. der Klägerin anlässlich weiterer Sicherheitskontrollen, bei denen nach ihrem Ehemann gefragt worden wäre, politische Verfolgung in dem oben beschriebenen Sinne dar. Zwar konnte und kann den russischen Sicherheitskräften nicht die Berechtigung zu auch flächendeckenden Fahndungsmaßnahmen nach den in Tschetschenien tätigen Terroristen, die Tschetschenien von der Russischen Föderation abspalten und dort einen islamischen Staat ausrufen wollten, abgesprochen werden. Die unter dem Vorbehalt der Terrorismusabwehr durchgeführten Maßnahmen der russischen Sicherheitskräfte stellten sich jedoch zu einem sehr hohen Anteil als flüchtlingsbegründende Maßnahmen dar, da sie wahllos die dort lebenden Kaukasier ins Visier nahmen, und es anlässlich der - grundsätzlich gerechtfertigten - Sicherheitskontrollen in ganz erheblichen Umfang zu menschenrechtswidrigen Behandlungen, oft einhergehend mit massiven körperlichen Übergriffen, gekommen ist, die eindeutig über das hinausgingen, was einem Staat als legitime Selbstverteidigungsmaßnahme gegen separatistische Bestrebungen zugebilligt werden kann.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nach den bereits oben ausgewerteten Auskünften zur Sicherheitslage in Tschetschenien im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger in großer Zahl zu menschenrechtswidrigen Übergriffen auf vermeintliche oder tatsächliche Terroristen oder auch Zivilisten gekommen ist, die von Seiten der russischen Verantwortlichen weder gesühnt noch sonst irgendwie geahndet wurden. Vielmehr gehörte es offensichtlich zu der Einschüchterungspolitik der russischen Sicherheitskräfte, dem russischen Militär bzw. den vor Ort tätigen Sicherheitskräften freie Hand zu lassen und Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung aber gerade und besonders auch gegenüber unter Terrorismusverdacht festgenommenen Personen letztendlich durch die völlige Straflosigkeit der jeweiligen Täter zu befördern, wenn nicht gar als gezieltes Mittel zur Einschüchterung zu benutzen (vgl. amnesty international, Länder und Asyl, 08.10.2001; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 28.08.2001; Bundesamt, Informationszentrum Asyl, Russische Föderation, Tschetschenien-Konflikt, Januar 2001).

Bei den danach vorverfolgt ausgereisten Klägern entfällt nach den oben gemachten Ausführungen im Zeitpunkt ihrer Ausreise die - zusätzliche - Prüfung des Vorliegens einer internen Schutzmöglichkeit, da für Artikel 4 Abs. 4 QRL allein ausschlaggebend die unmittelbar drohende bzw. eingetretene Verfolgung - und sei es nur in einem Teil des Heimatlandes - ist, die im Fall der Kläger sowohl aus gruppengerichteten als auch aus individuellen Gründen zu bejahen ist.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Kläger im Zeitpunkt der maßgeblichen Entscheidung einer gedachten Rückkehr (§ 77 AsylVfG, Art. 8 Abs. 3 QRL) weder in ihre Heimatregion Tschetschenien zurückkehren können, da gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL keine stichhaltigen Gründe dagegen sprechen, dass sie nicht erneut von Verfolgung oder einem Schaden bedroht sein werden (vgl. zur allgemeinen Sicherheitslage in Tschetschenien heute sowie zu den Rückkehrmöglichkeiten ethnischer Tschetschenen aus Tschetschenien in ihr Heimatland, soweit sie ohne Bezug zu den Rebellen sind, rechtskräftiges Urteil des Senats vom 21.02.2008, 3 UE 191/07.A) und ihnen nach den Maßstäben des Art. 8 QRL auch keine Möglichkeit internen Schutzes in anderen Regionen der Russischen Föderation zur Verfügung steht.

Zwar mag für tschetschenische Volkszugehörige, die in Tschetschenien geboren worden sind und dort bis zu ihrer Ausreise gelebt haben, die jedoch nicht in das Fadenkreuz der russischen Sicherheitskräfte geraten sind, eine Rückkehr nach Tschetschenien möglich sein, wie der Senat in seiner Grundsatzentscheidung vom 21. Februar 2008 (3 UE 191/07.A) ausgeführt hat. Dies hat jedoch nicht für die Kläger zu gelten.

Bei dem Kläger ist davon auszugehen, dass sowohl seine Tätigkeit in der Verwaltung unter der Regierung Maschadow als auch seine Tätigkeit als Tschetschenienkämpfer den russischen Sicherheitskräften bekannt geworden ist und er daher als "Terrorist" in seinem Heimatland gesucht wird, so dass ihm bei Rückkehr in sein Heimatland flüchtlingsrelevante Übergriffe drohen. Hinsichtlich der Klägerin ist davon auszugehen, dass sie bei Rückkehr nach Tschetschenien oder andere Gebiete der Russischen Föderation als Familienangehörige eines Tschetschenienkämpfers mit entsprechenden Maßnahmen zu rechnen hat. Dabei ist davon auszugehen, dass der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) Listen der Tschetschenienkämpfer führt (vgl. VGH München, Urteil vom 24.10.2007, 11 B 03.30710, in juris-online unter Verweis auf Auswärtiges Amt an VG Braunschweig vom 18.02.2003) und eine Rückkehr in ein normales Leben nur für Personen möglich ist, die nicht aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen haben (Auswärtiges Amt an Hess. VGH vom 06.08.2007), und mögliche Tschetschenienkämpfer von den russischen Strafverfolgungsbehörden gesucht, befragt und ggf. verurteilt werden (vgl. VGH München, Urteil vom 24.10.2007, 11 B 03.30710, in juris-online). Kann unter Berücksichtigung dieser Sachlage nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger nach wie vor als "Terrorist" von den russischen Sicherheitskräften erfasst ist und von diesen gesucht wird, kann nicht im Sinne des Art. 4 Abs. 4 QRL davon ausgegangen werden, dass stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass die Kläger erneut von Verfolgung bedroht sein werden. Auch unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie hat bei nicht nur aus gruppenbezogenen Gründen, sondern darüber hinaus individuellen Gründen vorverfolgten Flüchtlingen der höchste Prognosemaßstab zu gelten, den die Qualifikationsrichtlinie in der in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltenen Rückausnahme zum Ausdruck bringt und der zudem bei Anwendung der in Art. 8 Abs. 1 QRL enthaltenen Zumutbarkeitsschranke, ob nämlich von dem Flüchtling vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort des internen Schutzes niederlässt, zu berücksichtigen ist.

Dabei ist nach der gesetzlichen Wertung im Regelfall davon auszugehen, dass bei einem vorverfolgt ausgereisten Flüchtling seine Furcht vor Verfolgung begründet ist und nur bei Vorliegen besonderer stichhaltiger Gründe dieser Regelfall durchbrochen werden kann, wobei das Regel-Ausnahmeverhältnis desto restriktiver zu Gunsten des Flüchtlings zum Tragen kommen muss, je mehr er nicht "nur" vor gruppengerichteten Verfolgungsmaßnahmen, sondern zudem vor individueller Verfolgung geflohen ist. Auch das Auswärtige Amt, das grundsätzlich eine Rückkehr von Tschetschenen nach Tschetschenien für möglich hält, geht davon aus, dass die Rückkehr in ein normales Leben nur für Personen möglich ist, die nicht aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen haben (Auswärtiges Amt, 06.08.2007 an Hess. VGH in 3 UE 191/07.A). Der Gutachter Prof. Dr. Luchterhandt führt aus, es sei nicht nur wahrscheinlich, sondern selbstverständlich, dass bekannte oder gar prominente Funktionäre oder Parteigänger Präsident Maschadows und der "Tschetschenischen Republik Ickeria" im Falle einer Rückkehr aus der Diaspora nach Russland und speziell nach Tschetschenien nicht nur routinemäßig behandelt, sondern angefangen bei den Einreiseformalitäten von dem in solchen Fällen zuständigkeitshalber eingeschalteten FSB, also von dem Inlandsgeheimdienst, einer sorgfältigen Überprüfung und Kontrolle unterzogen würden (vgl. Prof. Dr. Luchterhandt, 08.08.2007 an Hess. VGH in 3 UE 191/07.A). Bei vermuteter oder unterstellter Tätigkeit für die tschetschenische Republik noch im zweiten Tschetschenienkrieg werde die betreffende Person von den Strafverfolgungsbehörden Russlands mehr noch als der "normale" Tschetschene ohne Rebellenbezug als "Terrorist" eingestuft. Dies ergebe sich auch und gerade daraus, dass der zweite Tschetschenienkrieg von offizieller russischer Seite von Anfang an als eine quasi polizeiliche Terrorbekämpfungsmaßnahme hingestellt und gerechtfertigt worden sei. Es sei nicht der Ausnahmezustand verhängt, was wegen des Einsatzes der Streitkräfte verfassungsrechtlich geboten gewesen wäre, stattdessen sei das Gesetz über die Terrorbekämpfung vom 25.07.1998 angewandt worden (vgl. Prof. Dr. Luchterhandt an Hess. VGH, 09.05.07 in 3 UE 455/06.A). Als besonders rückkehrgefährdet sieht dabei der UNHCR in Übereinstimmung mit Menschenrechtsorganisationen insbesondere Flüchtlinge und Asylsuchende an, die als frühere Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen und deren Angehörige gelten, Personen, die offizielle Positionen (inkl. sehr niedriger Positionen) im Regime Maschadows innehatten, Personen die offensichtlich von den Positionen der gegenwärtigen Regierung abweichende politische Ansichten haben, sowie Personen, die möglicherweise für ihre vor der Flucht erfolgte, nichtmilitärische Unterstützung der Rebellentruppen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten. Eine Amnestie, die von der Staatsduma der Russischen Föderation im September 2006 beschlossen worden sei, sei für einige Personen in den oben genannten Kategorien anwendbar gewesen, die Amnestiefrist sei jedoch im Januar 2007 abgelaufen und daher für zukünftig zurückkehrende Personen nicht anwendbar (UNHCR an Hess. VGH, 08.10.2007 in u.a. 3 UE 191/07.A).

Ist mithin davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit bei dem Sicherheitsdienst Maschadows sowie bei den tschetschenischen Rebellen als terrorverdächtige Person zu den besonders gefährdeten Rückkehrergruppen gehört, kann nicht mit der gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL erforderlichen Sicherheit angenommen werden, dass er bei Rückkehr in sein Heimatland, unabhängig davon, ob er sich nach Tschetschenien oder in eine andere Region der Russischen Föderation begibt, dort nicht wieder erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht sein wird. Gleiches hat für die Klägerin als direkte Angehörige eines unter Terrorismusverdacht stehenden Flüchtlings zu gelten.

Bei Festsetzung durch den FSB als Terrorismusverdächtiger kann nämlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es dort nicht wieder zu Übergriffen der Sicherheitsbehörden kommt, im Fall einer Rückkehr nach Tschetschenien und Bekanntwerden der unterstellten Tätigkeit des Klägers für die tschetschenischen Rebellen muss sogar davon ausgegangen werden, dass er dort mit Verfolgungsmaßnahmen durch die Kadyrow-Truppen zu rechnen hat.

Die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG ist im Fall des Klägers auch nicht gemäß § 60 Abs. 8 AufenthG ausgeschlossen.

Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 3 Abs. 2 AsylVfG sind auf Grund seiner Tätigkeit bei den tschetschenischen Rebellen, wobei er nach seinem eigenen Vortrag während des 2. Tschetschenienkrieges Anschläge auf die vor Ort stationierten russischen Einheiten verübt habt, nicht erfüllt.

Zur Auslegung der in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 3 Abs. 2 AsylVfG genannten, die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausschließenden Delikte kann dabei auf die Richtlinien des UNHCR zur Anwendung von Art. 1 F. GK zurückgegriffen werden (vgl. Hailbronner, AuslR, Kommentar, § 60 Rdnr. 186; VGH München, Urteil vom 24.10.2007, 11 B 03.30710, in juris-online). Danach sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG trotz Teilnahme des Klägers an den kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatland nicht erfüllt. Bei der Erwähnung der Verbrechen gegen den Frieden, der Kriegsverbrechen oder der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezieht sich das Abkommen ganz allgemein auf "internationale Vertragswerke, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen". In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg hat es eine beträchtliche Anzahl solcher Verträge gegeben, in all diesen Vertragswerken finden sich Definitionen zu der Frage, was als "Verbrechen gegen den Frieden, als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit" anzusehen ist, wobei sich die umfassendste Definition in dem Londoner Abkommen und der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs von 1945 befindet (vgl. UNHCR, Handbuch für Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Dezember 2003, Rdnr. 150). Nach der Charta des Internationalen Militärtribunals von 1945 versteht die Charta unter Verbrechen gegen den Frieden die Planung, Vorbereitung, das Anstiften zu oder Führen eines Angriffskrieges oder eines Krieges, durch den internationale Verträge, Abkommen oder Zusicherungen verletzt werden oder die Teilnahme an einer Verschwörung zum Zweck der Erfüllung eines der vorgenannten Ziele. Bei Kriegsverbrechen handelt es sich insbesondere um die Verletzung von geschriebenem oder ungeschriebenem Kriegsrecht. Solche Verletzungen sollen folgende Verbrechen einschließen, aber nicht auf sie beschränkt sein: Mord, Misshandlung oder Deportation der Zivilbevölkerung des besetzten Gebietes oder der sich auf diesem Gebiet befindenden Bevölkerung zum Zweck der Zwangsarbeit oder zu einem anderen Zwecke, Ermordung oder Misshandlung von Kriegsgefangenen oder Personen auf See, das Töten von Geiseln, das Plündern öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstörung von Städten oder Dörfern oder Akte der Verwüstung, die nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt sind. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt es sich insbesondere um Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere Akte der Unmenschlichkeit gegenüber der Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges (vgl. insgesamt: Auszug aus der Charta des Internationalen Militärtribunals vom 3. März 1949 in UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Anhang V).

Der Kläger hat sich zwar nach seiner eigenen Auskunft an der Tötung russischer Soldaten beteiligt, hierbei handelte sich jedoch zum einen nicht um Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung, zum anderen um die Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen zweier Kriegsparteien, die die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG nicht erfüllt.

Der Kläger hat auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG nicht erfüllt. Dabei wird für die Schwere des in dieser Norm genannten nichtpolitischen Delikts auf internationale Standards abgestellt, wobei zu berücksichtigen sind die Art der Handlung, der tatsächlich zugefügte Schaden, die Art des zur strafrechtlichen Verfolgung des Verbrechens eingeleiteten Verfahrens, die Form der Strafe sowie die Frage, ob das Verbrechen in den meisten Rechtsordnungen ein schweres Verbrechen darstellen würde (vgl. Hailbronner, Aufenthaltsgesetz, § 60 Rdnr. 188; UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, a.a.O., Rdnr. 154, 155). Nichtpolitisch ist das Verbrechen, wenn es überwiegend aus anderen Motiven begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und einem angeblichen politischen Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zu dem behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, kann das Verbrechen als unpolitisch qualifiziert werden. Beurteilungsfaktoren sind Motivation, der Zusammenhang, die Verbrechensmethoden und die Verhältnismäßigkeit des Verbrechens zum angestrebten Ziel. Darüber hinaus sollen die politischen Ziele eines Verbrechens, wenn es als politisch motiviert gelten soll, im Einklang mit menschenrechtlichen Grundsätzen stehen. In der neuen Staatenpraxis werden durchweg terroristische Akte und willkürliche Tötungen oder andere physische Angriffe gegenüber der Bevölkerung als nichtpolitisch qualifiziert (vgl. Hailbronner, § 60 AufenthG, Rdnr. 188). Dabei besteht, soweit ersichtlich, Einigkeit darüber, dass ein nicht politisches Verbrechen auch dann zu bejahen ist, wenn zwar alle Voraussetzungen für ein politisches Verbrechen sprächen, die begangene Straftat aber in grobem Missverhältnis zu den behaupteten Zielen steht, namentlich in besonders grausamer bzw. unmenschlicher Weise, insbesondere auch gegen Unbeteiligte begangen wurde (vgl. GK-AsylVfG, Band 2, September 2007, § 2 Rdnr. 65 m.w.N.). Weiter ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass im Fall eines weitgehenden Konsenses in der Völkergemeinschaft und den entsprechenden Kodifizierungen auch durch diese in gewissem Umfang eine Klarstellung und "Ent- bzw. Depolitisierung" erfolgen kann. Hierunter werden - allen politischen Rechtfertigungsmustern der Täter zum Trotz - klassische terroristische Akte fallen (z.B. Bombenattentate gegenüber Zivilpersonen, aber auch staatlichen Hoheitsträgern, insbesondere wenn hierdurch Unbeteiligte einbezogen werden, Geiselnahmen mit Flugzeugentführungen etc.) (vgl. GK-AsylVfG, a.a.O., § 2 Rdnr. 65, 66 m.w.N.).

Zwar können die von dem Kläger beschriebenen Überfalle auf die in Tschetschenien stationierten russischen Sicherheitskräfte durchaus als verbrecherische Handlungen qualifiziert werden, ihnen kann jedoch weder der politische Hintergrund abgesprochen werden, noch richteten sie sich nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials gegen die Zivilbevölkerung, sondern stellten sich wiederum als Teil der militärischen Auseinandersetzungen zwischen den tschetschenischen Rebellen und den russischen Streitkräften dar. Der Kläger erfüllt mit seiner Teilnahme am 2. Tschetschenienkrieg auch nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG, wobei der Begriff der Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider laufen, naturgemäß Auslegungsschwierigkeiten bereitet (vgl. Hailbronner, § 60 Abs. 8 Rdnr. 89). Der Begriff wird nur selten angewandt und wird allgemein als unklar bezeichnet. Die UNHCR-Richtlinien weisen darauf hin, dass eine Berufung auf Art. 1 F. c) GK nur unter "extremen Umständen im Falle von Handlungen vorkommt, die einen Angriff auf die Grundlagen der Koexistenz der internationalen Staatengemeinschaft" darstellen (Hailbronner, a.a.O., § 60 Rdnr. 189; UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, a.a.O., Rdnr. 163). Solche Handlungen müssen eine internationale Dimension haben. Einbezogen sind Verbrechen, die den Weltfrieden, die internationale Sicherheit oder die friedlichen Beziehungen zwischen Staaten erschüttern können, sowie schwere anhaltende Verletzungen der Menschenrechte (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 60 Rdnr. 189). Auch diese Voraussetzungen erfüllen die Kampfhandlungen des Klägers nicht.