VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 08.05.2008 - 1 L 971/08.F (2) - asyl.net: M13404
https://www.asyl.net/rsdb/M13404
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Rücknahme, Falschangaben, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Sofortvollzug, Begründungserfordernis
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 3; VwVfG § 48 Abs. 1
Auszüge:

Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet. Die Anordnung des Sofortvollzugs der Rücknahme der Niederlassungserlaubnis begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Gericht sieht deshalb keinen Anlass, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) setzt allerdings nicht nur voraus, dass keine überwiegenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung selbst bestehen, sondern auch, dass ein über die Motive für diese Verfügung hinausgehendes Sofortvollzugsinteresse besteht, das im einzelnen von der Behörde zu begründen ist (§ 80 Abs. 3 VwGO). Dieser Vorgabe des Gesetzes liegen verfassungsrechtliche Grundentscheidungen zugrunde, nämlich insbesondere das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG; vgl. dazu BVerfGE 69, 220 [230]). Um der Effektivität des Rechtsschutzes willen soll ein angefochtener Verwaltungsakt nicht vollzogen werden dürfen, solange seine Rechtmäßigkeit durch die Widerspruchsbehörde oder das Verwaltungsgericht nicht überprüft worden ist. Der Sofortvollzug muss deshalb mit Gründen gerechtfertigt werden, die so gewichtig sind, dass sie schwerer wiegen als die Effizienz des Rechtsschutzes. In der Regel kommt dies nur in Betracht, wenn die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs dazu führt, dass von dem Betroffenen weiterhin konkrete Gefahren für Rechtsgüter anderer ausgehen, deren rechtliches Gewicht dem des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes mindestens entspricht oder darüber hinausgeht. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn von dem Betroffenen eine Verletzung von Rechtsgütern droht, die grundrechtlich geschützt sind (vgl. BVerfG NVwZ 1996, 58).

Mit derartigen Gründen hat der Antragsgegner die Anordnung des Sofortvollzugs nicht begründet. Seine Begründung beschränkt sich vielmehr auf den Hinweis, der weitere Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet könne nicht hingenommen werden, wenn er auf unrichtigen Angaben beruht. Dem liegt offenbar die Überlegung zugrunde, dass es nicht hingenommen werden könne, dass ein Ausländer, der sich den Aufenthalt durch falsche Angaben erschlichen hat, besser gestellt sein soll als derjenige, der gegenüber den Behörden richtige Angaben macht und allein deshalb keine Möglichkeit eines auch nur zeitlich begrenzten Aufenthalts in Deutschland bekommt (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss v. 04.01.2000 – 3 Bs 218/99 –, juris). Diese Begründung geht nicht über die Motive hinaus, die die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis selbst rechtfertigen. Sie genießt als solche auch keinen verfassungsrechtlichen Rang, der es ermöglichen würde, das Gewicht des Verfassungsprinzips des effektiven Rechtsschutzes zu begrenzen. Sie ist deshalb ungeeignet, das besondere Sofortvollzugsinteresse zu begründen.

Der Begründung des Sofortvollzugs in dem angefochtenen Bescheid lässt sich allerdings zumindest andeutungsweise auch die Überlegung entnehmen, dass der Antragsgegner einen etwaig eingelegten Rechtsbehelf gegen seine Verfügung unter allen denkbaren Gesichtspunkten für offensichtlich unbegründet hält, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage nicht wirklich dazu geeignet sein kann, die materiellen Rechte des Antragstellers zu wahren. Der Antragsgegner geht vielmehr davon aus, dass die Durchführung eines Klageverfahrens nur den Zweck haben kann, aufgrund der aufschiebenden Wirkung den weiteren Aufenthalt des Antragstellers zu ermöglichen. Diese missbräuchliche Inanspruchnahme des Rechtsschutzverfahrens wird nicht als schutzwürdig anerkannt, so dass dem durch die Anordnung des Sofortvollzugs entgegengewirkt werden soll.

Mit dieser Begründung hat der Antragsgegner ein besonderes Sofortvollzugsinteresse in ausreichender Weise dargetan. Denn es trifft zu, dass die Offensichtlichkeit der Unbegründetheit des eingelegten Rechtsbehelfs das Gewicht des Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes kompensiert. Die Effektivität des Rechtsschutzes ist kein Selbstzweck. Sie ist eine Verfahrensgarantie, die letztlich der Durchsetzung materieller Rechte dienen soll. In den Fällen, in denen feststeht, dass solche Rechte offensichtlich nicht bestehen und das Verfahren daher unter keinen Umständen für den Antragsteller zum Erfolg führen kann, so dass sich seine Durchführung als offensichtlich rechtsmissbräuchlich darstellt, laufen die Verfahrensgarantien effektiven Rechtsschutzes leer. Der weitere Aufenthalt des Ausländers während der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens führt nicht zu einem effektiven Rechtsschutz, weil es keine Rechte gibt, die dadurch geschützt werden könnten. Dieser Gedanke, dass offensichtliche Unbegründetheit (oder Unzulässigkeit) die Garantie effektiven Rechtsschutzes modifizieren kann, hat selbst verfassungsrechtlichen Rang. Er lässt sich nämlich der Regelung des Art. 16a Abs. 4 GG entnehmen. Dort ist geregelt, dass die sofortige Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen Ausländer zulässig ist, wenn das Asylbegehren offensichtlich unbegründet ist.

Es ist zwar zutreffend, dass eine Behörde immer davon ausgeht, dass Rechtsbehelfe gegen ihre Bescheid erfolglos sein werden, denn sie darf nur solche Bescheide erlassen, die sie selbst für rechtmäßig hält. Daraus zu schließen, dass die fehlenden Erfolgsaussichten eines etwaigen Rechtsbehelfs deshalb kein besonderes Sofortvollzugsinteresse begründen könnten (vgl. OVG Bremen DVBl 1980, 420; VGH Mannheim NVwZ 1984, 451; VGH München NVwZ 1988, 745) ist zwar im Regelfall einsichtig, nicht jedoch im Falle offensichtlicher Rechtmäßigkeit. In den meisten Fällen muss auch die Behörde damit rechnen, dass das Gericht ihre Rechtsauffassung nicht teilt oder dass im gerichtlichen Verfahren noch Sachverhalte vorgetragen und ggf. erwiesen werden, die zu der Erkenntnis führen, dass der eigene Bescheid doch rechtswidrig ist. Von diesem Normalfall ist der Fall einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit jedoch zu unterscheiden. Der vorliegende Fall erläutert beispielhaft die Möglichkeit, dass unter bestimmten Umständen kein vernünftiger Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bescheides zu erwarten ist. Nur in diesen Fällen ist die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes offensichtlich.

Die so begründete Anordnung des Sofortvollzugs hält der gerichtlichen Überprüfung stand. Denn die von dem Antragsteller erhobene Klage gegen die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis ist offensichtlich unbegründet.