VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 16.06.2008 - 5 K 292/08.TR - asyl.net: M13411
https://www.asyl.net/rsdb/M13411
Leitsatz:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, PKK, Verdacht der Unterstützung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Menschenrechtslage, politische Entwicklung, Reformen, Folter
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14. April 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die Beklagte hat den in Nr. 1 ihres Bescheides vom 14. April 2008 ausgesprochenen Widerruf der Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützt. Dabei ist im Rahmen der Widerrufsentscheidung derselbe Prognosemaßstab zu Grunde zu legen, der bereits im Rahmen der Anerkennungsentscheidung bzw. der Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG maßgeblich war.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Kläger, der die Türkei wegen unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung verlassen hat, in den Genuss des herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabes kommt. Das Gericht geht dabei - anders als die Beklagte - nicht davon aus, dass im Falle seiner Rückkehr in die Türkei keine ernsthaften Zweifel an erneut einsetzender Verfolgung bestehen.

Zwar hat sich die Menschenrechtslage in der Türkei - wie allgemein bekannt und zuletzt im Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 25. Oktober 2007 dokumentiert - erheblich verbessert (vgl. dort S. 28, III 1.). Insbesondere wurden nachdrückliche Anstrengungen unternommen, die Anwendung von Folter zu unterbinden. Gleichwohl geht das Gericht derzeit noch nicht davon aus, dass der Reformprozess bereits weit genug fortgeschritten ist, um eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane in der Praxis mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Auch nach dem jüngsten Lagebericht vom 25. Oktober 2007 hat der Mentalitätswandel noch nicht alle Teile von Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Dabei ist eine der Hauptursachen für die immer noch vorkommende Folter nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes die nicht effiziente Strafverfolgung von folternden staatlichen Kräften. Im Lagebericht wird darauf hingewiesen, dass der Ruf nach entschiedeneren Maßnahmen zur Terrorbekämpfung mit dem aktuellen Wiedererstarken des PKK-Terrorismus lauter werde, nachdem es im Osten und Südosten der Türkei verstärkt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK komme. Trotz aller Maßnahmen der Regierung gegen Folter und Misshandlungen im Rahmen ihrer "Null-Toleranz-Politik" und eines weiteren Rückgangs von bekannt gewordenen Fällen sei die Strafverfolgung von Foltertätern immer noch unbefriedigend. Auch derzeit noch würden türkische Gerichte in politischen Strafverfahren auf der Grundlage von erfolterten Geständnissen verurteilen. Es lägen auch keine zuverlässigen Erkenntnisse darüber vor, in welchem Umfang es zu inoffiziellen Festnahmen durch Sicherheitskräfte in Zivil mit anschließender Misshandlung und Folter komme.

Das Gericht geht daher noch nicht von einer verfestigten und nachhaltigen Veränderung der Menschenrechtssituation in der Türkei aus. In der Person des Klägers kommt konkret hinzu, dass er in der Türkei bereits nachhaltig in das Visier der Sicherheitskräfte geraten ist (vgl. Urteil des erkennenden Gerichts vom 21. Oktober 2002 - 2 K 1645/01.TR). Im Zusammenhang mit der Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist davon auszugehen, dass seine Angaben in allen Punkten zutreffen; eine Überprüfung seines früheren Vorbringens oder seiner Glaubwürdigkeit findet nicht statt.

Sollte der Kläger nach einer Rückkehr in der Türkei den Sicherheitsbehörden auffallen, und sei es nur aufgrund der Tatsache seiner langjährigen Abwesenheit, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass über seine Person Nachforschungen angestellt werden und in der Folge seine früheren angeblichen Unterstützungstätigkeiten für die kurdische Guerilla bekannt werden. Vor dem Hintergrund der der PKK zugeschriebenen jüngsten Anschläge ist es daher nicht fernliegend, dass der Kläger damit wiederum in das Visier der türkischen Sicherheitskräfte geraten könnte und dabei erneut menschenrechtswidrige Behandlung erleiden müsste.