VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 11.06.2008 - 2 K 262/08 - asyl.net: M13413
https://www.asyl.net/rsdb/M13413
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Schiiten, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Studenten, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Klägerin kann die nachgesuchte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, da ihre Klage nicht die in §§ 166 VwGO, 114 ZPO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorausgesetzte hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Ersichtlich zu Recht hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 03.03.2008 festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG im Fall der Klägerin nicht vorliegen. Soweit die Klägerin geltend macht, es sei von einer nichtstaatlichen Gruppenverfolgung von Angehörigen aller Konfessionen im Irak auszugehen und zur Stützung ihrer Einschätzung insoweit auf die Rechtsprechung des VG München sowie des BayVGH verweist, kann dem nicht gefolgt werden. Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass eine die Regelvermutung eigener Verfolgungsbetroffenheit rechtfertigende Verfolgungsdichte zu konstatieren ist. Hierfür ist eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl von einzelnen Übergriffen handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltende Gruppenmitglieder abzielen und sich in quantitativer wie qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr der eigenen Betroffenheit entsteht. Weder eine entsprechende Ausgrenzung der Volksgruppe der Schiiten, der die Klägerin angehört, noch eine derartige Verfolgungsdichte lassen sich den Erkenntnissen des Gerichts entnehmen. Vielmehr geht aus den vorliegenden Auskünften, Gutachten und Medienberichten übereinstimmend hervor, dass von den unvermindert anhaltenden Auseinandersetzungen und Terroranschlägen im Irak, die in jüngerer Zeit bei etwa 200 pro Tag lagen, zwar eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die dort lebenden Menschen ausgeht, davon aber die gesamte Zivilbevölkerung bedroht ist, ohne dass eine besondere Gefährdung der Gruppe der Schiiten erkennbar ist. Die Kammer folgt insoweit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (vgl. insbesondere Urteil vom 29.09.2006 - 3 R 6/06 - und Beschluss vom 12.02.2007 - 3 Q 89/06 -), wonach eine Gruppenverfolgung der schiitischen Volksgruppe mangels entsprechender Verfolgungsdichte nicht anzunehmen ist.

Die Rechtsprechung des BayVGH (u.a. Urteile vom 14.11.2007 - 23 B 07.30507 - und - 23 B 07.30501) bietet keinen Anlass zu einer abweichenden Entscheidung, zumal sich der BayVGH bei seinen Entscheidungen in Widerspruch zu der Rechtsprechung des BVerwG zum Begriff der Verfolgungsdichte bei einer nichtstaatlichen Gruppenverfolgung gesetzt hat (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 25.03.2008 - 10 B 23.08 -).

Zu Recht hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid im Weiteren auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG verneint. Ergänzend zu den dortigen Ausführungen der Beklagten ist lediglich darauf hinzuweisen, dass es der gefestigten Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte entspricht, dass irakische Staatsangehörige allein wegen der allgemein im Irak bestehenden Gefahren aufgrund der unzureichenden Sicherheitslage die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht beanspruchen können (vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 13.03.2008 -2 K 645/07-; ferner OVG des Saarlandes, Urteil vom 29.09.2006 - 3 R 6/06 - m.w.N. sowie Beschluss vom 12.02.2007 - 3 Q 89/06-).

Eine andere Beurteilung vermag auch nicht der Hinweis der Klägerin darauf zu rechtfertigen, dass sie als Studentin zu einer der in besonderem Maße gefährdeten Bevölkerungsgruppen des Irak gehöre. Zwar ist davon auszugehen, dass bestimmte Personengruppen, wie etwa Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Ärzte, Professoren, Politiker sowie insbesondere auch Mitglieder der Regierung bzw. Repräsentanten des früheren Regimes, die inzwischen mit der Regierung zusammenarbeiten, besonders gefährdet sind und regelmäßig Opfer von gezielten Anschlägen werden (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 11.01.2007 und vom 19.10.2007 - 506-516.80/3 IRQ -).

Ungeachtet der Frage, ob auch Studenten in erhöhtem Maße Gefahr laufen, Opfer von Gewaltverbrechen zu werden, kann unter Berücksichtigung des der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnismaterials gleichwohl nicht festgestellt werden, dass die Klägerin als frühere Studentin in ihrem Heimatland einer extremen Gefahrenlage im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dergestalt ausgesetzt wäre, dass sie im Falle ihrer Abschiebung dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gleichsam sehenden Auges dem baldigen sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. dazu u.a. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331 und vom 08.12.1998 - 9 C 4.98 - NVwZ 1999, 666 m.w.N., jeweils zu den zum 01.01.2005 außer Kraft getretenen § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG).