VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 72/08 - asyl.net: M13415
https://www.asyl.net/rsdb/M13415
Leitsatz:

Die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan allein begründet nicht die Flüchtlingseigenschaft nach der Qualifikationsrichtlinie.

 

Schlagwörter: Pakistan, Ahmadiyya, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Strafverfolgung, Strafrecht, Missionierung, faires Verfahren, Rabwah, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Übergriffe, Anerkennungsrichtlinie, Glaubwürdigkeit, Religion, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Religionsfreiheit, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Europäische Menschenrechtskonvention, Verfolgungshandlung, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; IPbpR Art. 18; EMRK Art. 9; RL 2004/83/EG Art. 9; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 3
Auszüge:

Die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan allein begründet nicht die Flüchtlingseigenschaft nach der Qualifikationsrichtlinie.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 lit. c der zu dessen Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL).

I. Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gesichtspunkte für folgendes Verständnis der hier maßgeblichen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie:

1. Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 lit. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL maßgeblich. Hiernach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL gewährleistet für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn er sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jegliche religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird. Die Vorschrift geht damit ihrem eindeutigen Wortlaut nach über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158>; BVerwG, U.v. 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82).

Damit zeichnet der supranationale Normgeber auch für den Bereich des vergemeinschafteten Flüchtlingsschutzes die universelle menschenrechtliche Anerkennung gerade auch der öffentlichen Glaubensausübung bzw. -betätigung nach und bekennt sich zu dieser (vgl. auch die 10. Begründungserwägung, in der sich die Gemeinschaft zur Achtung der Grundrechte bekennt).

Ist hiernach der Schutzbereich der Religion weit zu verstehen, so bietet die Vorschrift keinen Anhalt für ein von vornherein einengendes Verständnis, wonach nicht jede Form der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt sei, sondern nur die aus dem jeweiligen religiösen Verständnis glaubensprägenden beziehungsweise unverzichtbar gebotenen und existentiellen Betätigungen gemeint sein könnten. Dies folgt insbesondere nicht aus dem den Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL abschließenden Satzteil "…die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind." Das Gegenteil folgt schon aus der Weite des Begriffs "sich auf eine religiöse Überzeugung stützen", der - insoweit nahe liegend - verlangt, dass die jeweils zu beurteilende Betätigung auf einer religiösen Überzeugung beruhen muss bzw. auf diese zurückgeführt werden kann, ohne aber zwingenden Charakter derart haben zu müssen, dass der oder die Betreffende im Falle des Unterlassens Gewissensnot erleiden oder sündig werden würde. Die Frage nach dem Gewicht und der Bedeutung eines Unterlassens stellt sich erst bei der Beurteilung der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL (vgl. unten 2). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL ausdrücklich etwa auch die Nichtteilnahme an religiösen Riten schützt, somit die Entscheidung, sich religiöser Betätigungen gerade zu enthalten, indem Handlungen, die die Religion als Verhaltensweise zu bestimmten Anlässen vorgibt, gerade unterlassen werden (in diesem Sinne auch SaarlOVG, U.v. 26.06.2007 - 1 A 222/07 - juris).

Allerdings sind die vorgenannten menschenrechtlichen Gewährleistungen nicht schrankenlos eingeräumt.

2. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a oder b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.

Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere lit. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung – von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen – in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird und der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann.

Auch wenn hiernach formal betrachtet gewissermaßen eine "bloße" oder "einfache" Beeinträchtigung eines Menschenrechts nicht schutzbegründend sein kann, so darf andererseits, wie dargelegt, nicht aus dem Auge verloren werden, dass Art. 10 Abs. 1 lit. a QRL Ausdruck einer Anerkennung bzw. eines Bekenntnisses zu dem grundlegenden Menschenrecht einer gerade auch öffentlichen Glaubensbetätigung ist. Deshalb wäre es nach Auffassung des Senats verfehlt, von einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung nur dann auszugehen, wenn die bisher im asylrechtlichen Kontext relevanten Kriterien eines asylerheblichen Eingriffs in das religiöse Existenzminimum erfüllt sind mit der Folge, dass sich durch die Qualifikationsrichtlinie im Ergebnis keine Änderung der Rechtslage ergeben hätte. Bei dieser Sichtweise würde sich die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung dieses Menschenrechts für das Gebiet des Asyl- und Flüchtlingsrechts in der Rechtswirklichkeit nicht durchsetzen und bliebe wirkungs- und folgenlos. Der gemeinschaftsrechtliche Auslegungsgrundsatz des "éffet utile" gebietet aber, Normen des Gemeinschaftsrechts und somit auch Richtlinien so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet ist (vgl. Pechstein/Drechsler, in: Reisenhuber, Europäische Methodenlehre, Handbuch für Ausbildung und Praxis, 2006, S. 160, Rn. 69 f.).

Daraus folgt, dass jedenfalls Beschneidungen bzw. Verbote öffentlicher Glaubensbetätigungen bzw. Praktiken, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion bzw. Weltanschauung, aber auch nach dem – nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnis des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern. Die Beschränkung auf lediglich grundlegende Betätigungen bzw. Äußerungen hat - gewissermaßen als Kehrseite - ihren Grund darin, dass, wie ausgeführt, nicht jede Beeinträchtigung des Menschenrechts die Qualität einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlung erlangt, sondern nur eine solche schwerwiegender Art (a.A. wohl Marx, Handbuch für die Flüchtlingsanerkennung, § 17 Rdn. 28 f.).

3. Zur Beantwortung der Frage, welcher Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit nach der Qualifikationsrichtlinie anzuwenden ist, ist zunächst auf Art. 4 Abs. 3 QRL hinzuweisen, der – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. lit. a) – eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorgibt. Einzelfallbezogenheit schließt allerdings nicht aus, dass dem darlegungs- und beweiserleichternden Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung weiterhin Relevanz beizumessen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 - BVerfGE 54, 341 <358 f.>; B.v. 21.01.1991 - 2 BvR 902/85 - BVerfGE 83, 216 <233>; Kammerb. v. 02.02.1996 - 2 BvR 1576/94 - NVwZ-Beil. 1996, 25; vgl. auch zum Sonderfall eines staatlichen Verfolgungsprogramms BVerwG, U. 05.07.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 <203>).

Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nach dem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <344 ff.>), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung zwar ebenfalls.

Auch die Qualifikationsrichtlinie nimmt bei der anzustellenden Verfolgungsprognose eine Differenzierung vor, indem sie in Art. 4 Abs. 4, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausdrücklich Bezug nimmt, ausführt, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Im Übrigen aber verbleibt es bei der Prüfung, ob der Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in sein Heimatland erwartbar Verfolgungsmaßnahmen oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erleiden wird oder hiervon unmittelbar bedroht ist. Insoweit kann auch auf die Begriffsbestimmung des Art. 2 lit. c QRL zurückgegriffen werden, wonach "Flüchtling" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie einen Drittstaatsangehörigen bezeichnet, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will. Der letztgenannte Maßstab entspricht dabei dem in der Rechtsprechung entwickelten Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" in Anlehnung an die britische Rechtsprechung des "real risk", wobei auch ein Verfolgungsrisiko von unter 50% als beachtlich wahrscheinliches Risiko angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582 m.w.N.).

Der von der Rechtsprechung entwickelte Maßstab der "hinreichenden Sicherheit" bei vorverfolgt ausgereisten Flüchtlingen wird somit durch die in Art. 4 Abs. 4 QRL enthaltene Rückausnahme modifiziert. Bei der Auslegung des Art. 4 Abs. 4 QRL können zwar die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien der "hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" mit herangezogen werden, da auch der Richtliniengeber davon ausgeht, dass der bereits einmal verfolgte Flüchtling einen erhöhten Schutzstandard genießt, stellt doch die Vorverfolgung einen ernsthaften Hinweis auf eine auch bei Rückkehr zu befürchtende Verfolgung dar, es sei denn, es greift die Rückausnahme des Art. 4 Abs. 4 a.E. QRL. Allerdings werden die unterschiedlichen Maßstäbe bzw. Ansätze in der praktischen Anwendung sicherlich häufig keine unterschiedlichen Ergebnisse zur Folge haben (weitergehend BayVGH, U. v. 31.08.2007 - 11 B 02.31774 – juris, der auch in Anwendung der Qualifikationsrichtlinie von den bisher entwickelten Prognosemaßstäben ausgeht).

II. Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <160>) gilt auch im vorliegenden Kontext, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können, weshalb insoweit auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen ist (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

III. Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:

2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:

a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt.

Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können.

b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.

Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 - Larissis - www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, "die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind" (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).

Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practises, 11.03.2008, S. 9 f.).

Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).

Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen untern d).

c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).

Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).

Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).

Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).

d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department Of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practises, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre "Metropole" Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.

3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der "Fédération Internationale des Droits Humaines" (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass "die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei" (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a.E.).

Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.

Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtig festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.

IV. Dafür, dass generell jeder pakistanischer Staatsangehöriger allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft hingegen Verfolgung zu gewärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen unter II. 2. und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn dieser Personenkreis sich in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Insoweit stellt sich die Sachlage nicht anders dar, als sie bislang der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs und der anderer Oberverwaltungsgerichte zu dem Aspekt der asylerheblichen Gruppenverfolgung entsprach (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.11.2000 – A 6 S 672/99 – juris; HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 29.06.1005 – 2 L 208/01 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 21.07.2004 – 19 A 2599/04.A – juris m.w.N.; OVG Saarland, B.v. 15.03.2002 – 9 Q 59/01 m.w.N. – juris; BayVGH, U.v. 24.07.1995 – 21 B 91.30329 – juris; NiedersOVG, U.v. 29.02.1996 – 12 L 6696/95 – juris; ThürOVG, U.v. 30.09.1998 – 3 KO 864/98 – juris; HambOVG, B.v. 02.03.1999 – OVG Bf 13/95 – juris). Hieran ist auch nach dem aktuellen Erkenntnisstand festzuhalten. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, v.a. was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies bislang der Fall war. Nachdem die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan nach wie vor selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa vier Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. AA Lagebericht vom 30.05.2007, S. 16), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.

V. Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass er seinem Glauben überhaupt eng verbunden ist, diesen auch in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt hat und auch gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation betroffen wäre.