OLG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 12.02.2008 - 20 W 42/08 - asyl.net: M13425
https://www.asyl.net/rsdb/M13425
Leitsatz:

Die sog. "kleine Sicherungshaft" gem. § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG darf nicht über die Höchstdauer von zwei Wochen hinaus verlängert werden; ein Wechsel der Rechtsgrundlage für Abschiebungshaft gegenüber der ursprünglichen Haftanordnung ist nicht möglich.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Sicherungshaft, Zwei-Wochen-Frist, Haftbefehl, Verlängerung, Rechtsgrundlage, Wechsel der Rechtsgrundlage, Entziehungsabsicht
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
Auszüge:

Die sog. "kleine Sicherungshaft" gem. § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG darf nicht über die Höchstdauer von zwei Wochen hinaus verlängert werden; ein Wechsel der Rechtsgrundlage für Abschiebungshaft gegenüber der ursprünglichen Haftanordnung ist nicht möglich.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die von dem Betroffenen eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist form- und fristgerecht erhoben und hat auch in der Sache Erfolg.

Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann ein Ausländer für die Dauer von längstens 2 Wochen in Sicherungshaft genommen werden, wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, die Ausreisefrist abgelaufen ist und feststeht, dass innerhalb von zwei Wochen seine Abschiebung durchgeführt werden kann.

Der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist fakultativ ausgestaltet. Die darauf gestützte Haftanordnung ist somit in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Die tatrichterliche Entscheidung muss die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gründe erkennen lassen (OLG München, 34 WX 172/05 vom 16.01.2006, zitiert nach Juris).

Entscheidungserheblich kommt es hierauf jedoch nicht an. Die Haftanordnungen sind aufzuheben, weil die in § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG normierte Zweiwochenfrist durch die Haftanordnung bis zum 14.02.2008 überschritten wurde.

Es kann hier dahinstehen, ob, wie von der antragstellenden Behörde beantragt und vom Amtsgericht Wiesbaden ausgeführt, eine Verlängerung der "kleinen Sicherungshaft" bis zur Höchstdauer rechtlich möglich ist. Die Gesetzessystematik spricht dafür, dass eine Verlängerung der einmal angeordneten Haft im Rahmen des § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist. In § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist ausdrücklich geregelt, wann Sicherungshaft verlängert werden kann. Da sich diese Regelung im Anschluss an die Feststellung der Höchstdauer der Sicherungshaft im Sinne von § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG anschließt, ist davon auszugehen, dass die Verlängerungsmöglichkeit nur für diese Formen der Sicherungshaft gegeben ist.

Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da die Haftanordnung selbst dann nicht gerechtfertigte wäre, da sie die Höchstdauer des § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG überschreitet. Zwar geht das Landgericht Wiesbaden in Auslegung des Antrags der Ausländerbehörde davon aus, dass die Ausländerbehörde mit Schriftsatz vom 06.02.2006 einen Antrag auf erneute Anordnung von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG stellen wollte und daher die Höchstfrist von zwei Wochen erneut zur Verfügung gestanden habe. Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen ist bereits höchst zweifelhaft, ob die Ausländerbehörde tatsächlich einen neuen Haftantrag stellen wollte; dem Antrag der Ausländerbehörde ist derartiges jedenfalls nicht zu entnehmen. Darüber hinaus ist auch die rechtliche Würdigung der Kammer nicht zutreffend. Im Rahmen der Haftanordnungen gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist im besonderem Maße zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift den Ausländerbehörden neben den aus Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift folgenden Haftgründen einen weiteren Haftgrund einräumt, der an vergleichsweise geringe Anforderungen geknüpft ist, nämlich den Ablauf der Ausreisefrist und der Sicherstellung der Abschiebung. Die Ausweitung der Möglichkeiten behördlichen Gewahrsams sind erkennbar auf eine enge Frist von zwei Wochen beschränkt und lassen keinen Raum für die Ausweitung der Vorschrift. Würde man, wie die Kammer des Landgerichts, bei einer Änderung der Sachlage zulassen, dass ein neuer Antrag mit erneutem Fristlauf möglich wäre, könnte dies zur Folge haben, dass eine Person, die gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG inhaftiert worden ist und der keinerlei Entziehungsversuche bzw. Entziehungsabsicht zur Last gelegt werden, über deutlich längere Zeiträume als die im Gesetz normierten 14 Tage festgehalten werden könnte. Neben dem hier vorliegenden Fall, dass die Abschiebung krankheitsbedingt nicht durchgeführt werden kann, ist auch an Fälle zu denken, in denen aufgrund von Witterungsbedingungen der geplante Flug nicht stattfinden kann oder etwaige streikbedingte Verhinderungen die Abschiebung in der konkreten Form unmöglich machen und sich dadurch ein neuer Sachverhalt herausbildet. Der Gesetzgeber hat erkennbar eine Ausweitung nicht gewollt, sondern als Äquivalent für die geringen Anforderungen an die "kleine Abschiebungshaft", die sehr kurze und überschaubare Dauer gesetzt. Zwei Wochen wurden schon von Gesetzgeber als höchstmögliche Frist angesehen, die nicht über den Umweg des (immer wieder) neuen Sachverhalts eine Ausweitung erfahren darf.

Soweit die Ausländerbehörde in ihrer Stellungnahme zur sofortigen weiteren Beschwerde vorträgt, dass nicht nur eine Haftanordnung nach § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG möglich sei, sondern auch die Voraussetzungen für die Anordnung von Haft gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gegeben seien, da der begründete Verdacht bestehe, der Betroffene wolle sich seiner Abschiebung entziehen, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Zum einen ist im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens keine Möglichkeit gegeben, die ursprüngliche Haftanordnung an eine andere Rechtsgrundlage zu knüpfen und zum anderen sind die Ausführungen der Ausländerbehörde auch nicht geeignet, das Tatbestandsmerkmal des begründeten Verdachtes der Entziehungsabsicht zu untermauern. Allein der Umstand, dass der Betroffene alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um eine Rückkehrverpflichtung in sein Heimatland abzuwenden, lässt keine Rückschlüsse auf eine Entziehungsabsicht zu. Auch der Umstand, dass er nunmehr im Rahmen der Abschiebungshaft geltend gemacht hat, suizidgefährdet zu sein, kann nicht im Sinne einer Entziehungsabsicht gewertet werden. Dem Betroffenen war zuvor nicht bekannt, dass seine Abschiebung konkret bevorstehe. Auch ist nicht erkennbar, dass er rechtlich verpflichtet sein könnte, die Ausländerbehörde auf seine psychischen Probleme und etwaig entstehende Probleme bei der Abschiebung hinzuweisen. Er ist allein dazu verpflichtet, sich für eine etwaige Abschiebung zur Verfügung zu halten. Darüber hinaus ist es aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden – anders als von der antragstellenden Behörde dargelegt – erkennbar, dass eine psychische Erkrankung des Betroffenen schon zu einem früheren Zeitpunkt bekannt war.