VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 07.02.2008 - 4 E 1146/07(V) - asyl.net: M13426
https://www.asyl.net/rsdb/M13426
Leitsatz:

Lebt ein Ausländer in einer schutzwürdigen familiären Bindung gem. § 6 Abs. 1 GG, so hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Ort der Lebensgemeinschaft, auch wenn sein Aufenthaltsbereich noch gem. § 56 Abs. 3 AsylVfG beschränkt ist.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausländerbehörde, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, abgelehnte Asylbewerber, Aufenthaltsgestattung, räumliche Beschränkung, Schutz von Ehe und Familie, Deutschverheiratung
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; AsylVfG § 56 Abs. 1; AsylVfG § 56 Abs. 3; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Lebt ein Ausländer in einer schutzwürdigen familiären Bindung gem. § 6 Abs. 1 GG, so hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Ort der Lebensgemeinschaft, auch wenn sein Aufenthaltsbereich noch gem. § 56 Abs. 3 AsylVfG beschränkt ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage hat nur dahingehend Erfolg, dass der Kläger einen Anspruch auf erneute Entscheidung über seine Anträge auf Zustimmung zum Zuzug nach Wiesbaden und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gegen die Beklagte hat.

Zunächst ist festzustellen, dass die Beklagte für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Kläger zuständig ist. Nach § 1 a Abs. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten der Ausländerbehörden vom 21.06.1993 (GVBl. I, S. 260) ist zuständig die Ausländerbehörde, in deren Bezirk die Ausländerin oder der Ausländer den "gewöhnlichen Aufenthalt" hat oder wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht bekannt ist, in deren Bezirk sich die Notwendigkeit der Maßnahme oder Entscheidung ergibt, soweit nichts anderes bestimmt ist. Was als "gewöhnlicher Aufenthalt" in diesem Sinne anzusehen ist, ist in hessischen Normen - wie auch in anderen landesrechtlichen Vorschriften - nicht geregelt. Daher ist nach übereinstimmender obergerichtlicher Rechtsprechung für die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts auf die gesetzliche Definition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zurückzugreifen. Danach hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Hierfür ist eine in die Zukunft gerichtete Prognose erforderlich, die alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt. Neben den tatsächlichen Verhältnissen gehören dazu auch ausländerrechtliche Regelungen und Entscheidungen, die den Verbleib eines Ausländers an einem bestimmten Ort beeinflussen. Dies können beispielsweise räumliche Aufenthaltsbeschränkungen nach § 56 Abs. 1 AsylVfG sein, aus dessen Regelung sich unmittelbar ergibt, dass der Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bereichs seiner Aufenthaltsbeschränkung nur vorübergehend ist.

Da der Kläger im Zusammenhang mit seinem Asylverfahren dem Kreis D zugewiesen wurde und diese Zuweisung auch nicht mit rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags erloschen ist, sondern bis zu einer Ausreise oder anderweitigen Erledigung fortgilt (OVG Koblenz, Beschluss vom 16.01.2004 - 10 B 11661/03; s. auch § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG), würde dies dafür sprechen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers in D ist. Zu den für die Prognose maßgeblichen ausländerrechtlichen Regelungen gehören allerdings auch Abschiebungshindernisse, wie solche, die sich aus einer schutzwürdigen familiären Beziehung nach Art. 6 Abs. 1 GG und einer damit zusammenhängigen örtlichen Bindung ergeben. Das OVG Hamburg hat in einem Beschluss vom 26.04.2006 (NVwZ-RR 2006, 827, 828) ausgeführt, dass unter besonderen Umständen eine Situation eintreten könne, in der der Aufenthalt des Ausländers nur in einem bestimmten Teil des Bundesgebiets als zukunftsoffen anzusehen sei, weil es für ihn unzumutbar sei, sich anderenorts aufzuhalten. Auch wenn er sich dort in formaler Hinsicht zu Unrecht aufhalte, sei sein Aufenthalt gleichwohl in diesem Sinne zukunftsoffen, wenn er einen Anspruch darauf habe, sich gerade an diesem Ort aufhalten zu dürfen. Dies zugrunde gelegt, hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wiesbaden, da er sich tatsächlich hier seit Juni 2007 ständig aufhält. In Wiesbaden liegt auch der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen, da er seit diesem Zeitpunkt zusammen mit seiner Ehefrau in einer gemeinsamen Wohnung lebt. Dies steht nach Überzeugung des Gerichts aufgrund der Befragung des Klägers und seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung fest. Der Kläger hält sich daher unter Umständen in Wiesbaden auf, die erkennen lassen, dass er hier nicht nur vorübergehend verweilt. Da es dem Kläger aufgrund des Art. 6 Abs. 1 GG ermöglicht werden muss, seine eheliche Lebensgemeinschaft aufrechtzuerhalten, hat der Kläger trotz eines Verstoßes gegen die räumliche Aufenthaltsbeschränkung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wiesbaden begründet.

Die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner Frau lässt sich auch nicht dadurch aufrechterhalten, dass sich die Ehefrau in den Bereich der bisherigen räumlichen Aufenthaltsbeschränkung des Klägers begibt. Das OVG Hamburg hat hierzu wörtlich ausgeführt: "Die Regelungen über die räumlichen Beschränkungen des Aufenthalts geduldeter Ausländer oder (ehemaliger) Asylbewerber haben nicht das Gewicht, einen deutschen Staatsangehörigen zu nötigen, die eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft mit einem von derartigen Beschränkungen Betroffenen statt am Heimatort am Ort dieser Aufenthaltsbeschränkungen führen zu müssen" (NVwZ-RR 2006, 827, 829).

Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, die zitierte Entscheidung des OVG Hamburg vom 26.04.2006 sei nicht einschlägig, weil es in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt darum gegangen sei, dass der Ausländer nicht nur mit einem deutschen Lebenspartner zusammengelebt habe, sondern beide ein gemeinsames Kind gehabt hätten, ist dem entgegenzuhalten, dass sich Art. 6 Abs. 1 GG, auf den das OVG Hamburg entscheidend abgestellt hat, nicht nur die Familie, sondern auch die Ehe schützt. Die Ausführungen des OVG Hamburg gelten daher nach Auffassung des Gerichts nicht nur für eine Partnerschaft zwischen einem Ausländer und einem deutschen Lebenspartner mit gemeinsamem Kind, sondern auch für den Fall einer Ehe zwischen Ausländer und deutschem Ehepartner ohne Kind, was sich im Übrigen auch aus der wörtlich zitierten Passage des OVG Hamburg ergibt.

Der vom Gericht vertretenen Auffassung steht auch nicht der Beschluss des Hess. VGH vom 05.09.2006 (3 TG 1973/06) entgegen. Dies deshalb nicht, weil in dem vom Hess. VGH entschiedenen Fall Art. 6 Abs. 1 GG keine Rolle gespielt hat.