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Zitieren als:
, Bescheid vom 20.03.2008 - 5275611-133 - asyl.net: M13452
https://www.asyl.net/rsdb/M13452
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Wiederaufgreifen des Verfahrens, neue Beweismittel, Atteste, Krankheit, posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Suizidgefahr, dissoziative Störung, fachärztliche Stellungnahme, häusliche Gewalt, Retraumatisierung, Situation bei Rückkehr, Existenzminimum, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2
Auszüge:

Dem Antrag wird insofern entsprochen, als festgestellt wird, dass die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Serbien (Kosovo) vorliegen.

Aufgrund des jetzigen Vortrages hat sich die Sachlage für die Antragstellerin geändert bzw. wurde die Sachlage durch vorgelegte neue Beweismittel verändert. Im psychiatrischen Gutachten vom 06.02.2006 (die Untersuchung fand am 23.03.2005 statt) wurden die Symptome der Antragstellerin als Reaktion auf die Angst vor der Rückkehr in das Kosovo gewertet. Eine Traumatisierung (durch Kriegsereignisse, auf die ersichtlich abgestellt wurde), habe nicht stattgefunden. Demgegenüber ergibt sich aus der psychologisch-psychotherapeutischen Stellungnahme vom 23.08.2007, dass die Antragstellerin an einer bereits chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung leidet, wobei kumulative Traumatisierungen stattgefunden hätten. Die seit Jahren wiederholt attestierte dissoziative Symptomatik lasse sich, beginnend mit Erlebnissen als Kind, erklären. Bereits als Kind habe die Antragstellerin traumatisierende Ereignisse erlebt, wie zum Beispiel das gewaltsame Entreißen aus der "eigenen Familie" (Onkel und Tante), das gewalttätige Verhindern der Rückkehr in diese intakte Familie durch den leiblichen Vater und jahrelange psychische und physische Gewaltausübung durch die leiblichen Eltern gegenüber ihr. Kumulativ hierzu sei das Geschehen bezüglich des Ehemannes während des Krieges und letztendlich dessen Verhalten gegenüber ihr hier in der Bundesrepublik (bis hin zum Schlagen mit Gegenständen, Würgen) zu sehen. Eine massive Re-Traumatisierung sei durch die Abschiebung eines Teils der Familie erfolgt, da hier die Erinnerung an die eigene Kindheit und die damalige Ohnmacht gegenüber den Ereignissen erneut erlebt worden seien.

Demnach ist festzuhalten, dass sich eine veränderte Sachlage dadurch ergibt, dass die Antragstellerin erstmals gezielt auch nach ihren Erlebnissen in der Kindheit und im Zusammenleben mit dem Ehemann hier in der Bundesrepublik gefragt wurde.

Aufgrund des bisherigen Vorbringens der Antragstellerin, unter Berücksichtigung des sich aus den Akten ergebenden Verfahrens (Stellungnahme, Atteste und Gutachten) und den allgemein bekannten Verhältnissen im Kosovo ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin erneut traumatischen Belastungen ausgesetzt wäre. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Gewaltanwendung(en) des eigenen Ehemannes gegenüber ihr sich mit dem örtlichen Wechsel in das Kosovo ändern würden. Viel eher ist von einer Verstärkung der schlechten Behandlung auszugehen. Schließlich sind aus den Akten bereits gewaltsame Auseinandersetzungen des Ehemannes der Antragstellerin mit Verwandten im Kosovo bekannt, so dass davon ausgegangen werden muss, dass Gewaltanwendung zum Lebensstil gehört. Dass zuletzt die Antragstellerin wegen ihrer eigenen Erkrankung zum Sündenbock dafür gemacht würde, dass die Familie insgesamt in das Kosovo zurück müsste, wofür sie bestraft werden müsse, ist nur ein logischer Gedankenschritt.

Gegen diese zu erwartende Verhaltensweise des Ehemannes der Antragstellerin kann sich diese wohl nicht mit Hilfe der eigenen oder der Verwandten des Ehemannes wehren. Dass im Hinblick auf das vorherige Schicksal der Antragstellerin, als diese noch bei der eigenen Familie im Kosovo lebte, die eigene Verwandtschaft zur Hilfe bereit (oder in der Lage) wäre, kann kaum angenommen werden. Hilfe durch andere, entferntere, eigene Verwandte ist deshalb nicht zu erwarten, da bereits in der Vergangenheit der gegenüber einem Verwandten, dem Onkel, gewalttätige Vater der Antragstellerin durch sein Verhalten zeigte, was er vom Einmischen anderer Personen in Familienangelegenheiten hält. Hinsichtlich eventueller Hilfe von Verwandten des Ehemannes im Kosovo, dessen Eltern leben in der Schweiz, sind Anhaltspunkte nicht vorhanden. Eine Rückkehr in das Kosovo bei der/den Erkrankung/en der Antragstellerin ist auch deshalb nicht möglich und zumutbar, weil diese nicht das wirtschaftliche Existenzminimum hätte. Die Arbeitslosigkeit im Kosovo ist nach wie vor extrem hoch. Dass der Ehemann, wo sie wohl hin müsste, mittlerweile Arbeit gefunden hat, ist nicht bekannt. Es ist eher unwahrscheinlich. Sollte die Antragstellerin letztendlich allein stehend mit einem Kleinkind sich sonst wo im Kosovo aufhalten müssen, hätte sie nach Auskunftslage keine Chance auf dem dünnen Arbeitsmarkt und müsste von einer Art Sozialhilfe leben, die kaum für die Bezahlung einer Wohnung reicht. Zudem scheiterte eine Arbeitsaufnahme an den Erkrankungen der Antragstellerin, da sie dieser nicht regelmäßig nachgehen könnte.

Aus den zur Verfügung stehenden ärztlichen Unterlagen ist ersichtlich, dass zwar (Stand Ende 2007) von einer (außerhalb des Heimatlandes) längeren Behandlungsdauer in der Bundesrepublik von mindestens 24 Monaten die Rede ist. Es ist aber nach dieser Behandlung zumindest von einer deutlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes auszugehen, welche ein eigenverantwortliches selbstbestimmtes Leben und, wenn sich auch andere Voraussetzungen im Heimatland ändern sollten, eine Rückkehr dorthin ermöglichen würde.

Bei der Antragstellerin ist ausweislich der vorliegenden ärztlichen Befunde eine spezialisierte Behandlung in medikamentöser und auch psychologisch-therapeutischer Hinsicht notwendig. Laut vorliegenden Informationen ist dies mittlerweile im Kosovo ansatzweise grundsätzlich möglich. Eine Behandelbarkeit im konkreten Fall erscheint aber fast unmöglich im Hinblick auf die Komplexität des Krankheitsbildes der Antragstellerin, wobei auch die vorgenannten Faktoren (Unzmutbarkeit der Rückkehr in das Kosovo aufgrund der familiären Bedingungen) noch zu berücksichtigen sind.