VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 18.02.2008 - 11 TG 2500/07 - asyl.net: M13455
https://www.asyl.net/rsdb/M13455
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, besonderer Ausweisungsschutz, Beurteilungszeitpunkt, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
Normen: AufenthG § 56 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

Das Verwaltungsgericht hat den auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 11. April 2007 zu Unrecht abgelehnt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat inzwischen entschieden, dass in allen Ausweisungsverfahren, also auch dann, wenn der Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt ist, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsachengerichte abzustellen ist (BVerwG, Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - Pressemitteilung 71/2007). Es kann daher offen bleiben, ob entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch schon zum Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung das Vorliegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu verneinen war, denn jedenfalls zum nunmehr maßgeblichen Zeitpunkt der hier zu treffenden Entscheidung lassen sich solche Gründe nicht feststellen.

Da kein Fall der §§ 53, 54 Nrn. 5, 5 a und 7 AufenthG vorliegt, greift die gesetzliche Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht. Zwar können auch bei allen anderen Regelausweisungstatbeständen des § 54 AufenthG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinn von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erfüllt sein (vgl. Nr. 56.1.0.2.4 der Vorläufigen Anwendungshinweise zum AufenthG), jedoch ist in solchen Fällen aufgrund einer konkreten Einzelfallbetrachtung zu prüfen, ob schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliegen.

Zwar wiegt die Straftat hier schon wegen der besonders schweren Folgen für das letztlich eher zufällige Opfer schwer, was auch in dem für eine Ersttat recht hohen Strafmaß einer Jugendstrafe zum Ausdruck kommt. Gleichwohl reicht allein die Schwere der Tat und ihrer Folgen nicht schon aus, da aus den weiteren hier zu berücksichtigenden Umständen die Prognose, auch zukünftig gleicherart schwerwiegende Verletzungen ähnlicher, geschützter Rechtsgüter ernsthaft besorgen zu müssen, nicht hergeleitet werden kann. Nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts auf der Grundlage des psychiatrischen Gutachtens wurde die Tat im Affekt aufgrund einer besonders emotional aufgeladenen Gruppensituation begangen, die auf zuvor wechselseitige Provokationen folgte und in die der Antragsteller im Wesentlichen durch seine – zum Teil älteren – Cousins hineingezogen wurde. Der Antragsteller war bis dahin nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten, denn ein zuvor auch gegen ihn – neben 13 anderen - geführtes strafrechtliches Ermittlungsverfahren ist eingestellt worden. Zu seinen Gunsten sind die positive Beurteilung seitens der Justizvollzugsanstalt ebenso zu berücksichtigen wie das zwischenzeitlich erstellte Prognosegutachten vom 18. März 2007, wonach die Auseinandersetzung mit der Tat zwar noch nicht als abgeschlossen beurteilt wird, jedoch positiv festgestellt wird, dass der Antragsteller nachvollziehbar Reue gezeigt hat, sein eigenes Fehlverhalten nicht auf andere oder die Umstände projiziert und bereit ist, weiter daran zu arbeiten, gegebenenfalls in einer Therapie. Ebenfalls zu seinen Gunsten spricht, dass er seine realistischen Zukunftsplanungen aus der Zeit der Haft zwischenzeitlich offenbar umsetzen konnte.