VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 13.12.2007 - 1 K 6964/05.A - asyl.net: M13456
https://www.asyl.net/rsdb/M13456
Leitsatz:
Schlagwörter: Russland, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, somatoforme Schmerzstörung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Retraumatisierung, Suizidgefahr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die noch anhängige Klage ist überwiegend begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18. November 2005 ist im noch angefochtenen Umfang überwiegend rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1. Insofern in ihren Rechten, § 113 Abs. 1, und 5 VwGO, als ihr Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verweigert und die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht worden ist.

Eine derartige individuelle Gefahr ist in der psychischen Erkrankung der Klägerin zu 1. zu erblicken.

Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht zunächst zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin zu 1. nach der Ermordung ihres Ehemannes an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (DSM IV: 309.81, ICD 10: F 43.1) sowie einer somatoformen Schmerzstörung (DSM IV: 307.80) leidet.

Zur Überzeugung des Gerichts steht des Weiteren fest, dass sich die Krankheit der Klägerin zu 1. im Falle der Rückkehr In die Russische Föderation alsbald und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlimmern würde.

Zwar ist nach derzeitiger Auskunftslage (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 17. März 2007) die medizinische Grundversorgung in Russland theoretisch grundsätzlich ausreichend. Jedoch bedarf die Klägerin zu 1. nach dem oben Gesagten zum einen einer über eine Grundversorgung hinausgehenden Behandlung. Eine solche ist indes nach der Auskunftslage nicht kostenfrei zu erlangen; vielmehr erfolgen aufwändigere Behandlungen - welche im Falle der Klägerin zu 1. in Rede stehen - erst nach privater Bezahlung (vgl.. Lagebericht, a.a.O.).

Die Klägerin zu 1. verfügt nicht über die finanziellen Mittel zur privaten Finanzierung einer solchen medizinischen Behandlung. Nach dem Tode ihrer Mutter hat sie in der Russischen Föderation nur noch einen Verwandten, nämlich einen Bruder, zu dem sie seit Jahren keinen Kontakt hatte. Damit ist auch nicht davon auszugehen, dass Verwandtschaft sie finanziell unterstützen könnte.

Zum anderen und vor allem muss jedoch ungeachtet der Frage der medizinischen Versorgungslage in der Russischen Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu 1. aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland alsbald einen Suizid begehen wird. Der Gutachter hat überzeugend ausgeführt, dass bei einer Abschiebung der Klägerin zu 1. eine akute Suizidalität mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten werde. Hiernach ist von einer zumindest überwiegenden und damit beachtlichen Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuches infolge der mit einer Rückführung verbundenen Retraumatisierung auszugehen.

Das Gericht hat keine Veranlassung, die genannte ärztliche Prognose zu bezweifeln, zumal bereits der Arzt für Psychotherapeutische Medizin Dr. Gierlichs in einer von der Klägerin zu 1. vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme vom 12. September 2006 nachvollziehbar ausgeführt hat, dass die Klägerin zu 1. das in Lettland und der Ukraine Erlebte auf Russland übertragen werde.