VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 17.03.2008 - 3 K 1349/07.KO - asyl.net: M13465
https://www.asyl.net/rsdb/M13465
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Konventionsflüchtlinge, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, abgelehnte Asylbewerber, Minderjährige, Kindernachzug, Verlängerungsantrag, Aufenthaltserlaubnis, Fortgeltungsfiktion, Aufenthaltsdauer, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Passpflicht, Serbien, Kosovo, Serben, Kosovaren, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Integration, Straftat, Lebensunterhalt, außergewöhnliche Härte, Integration, Privatleben, Schutz von Ehe und Familie, Europäische Menschenrechtskonvention, Altfallregelung, Ausreisehindernis
Normen: AufenthG § 10 Abs. 3; AufenthG § 26 Abs. 4 S. 4; AufenthG § 35; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2; AufenthG § 5 Abs. 1; AufenthG § 26 Abs. 4; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8
Auszüge:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels.

Nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens betreffend den Widerruf des Flüchtlingsstatus des Klägers durch das Bundesamt, ist er als rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber zu behandeln, so dass ihm gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des 5. Abschnitts (humanitäre Gründe) erteilt werden darf. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Ausnahmegründen nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG sind weder vorgetragen, noch sonst für die Kammer ersichtlich.

Dies vorausgeschickt, steht dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus § 26 Abs. 4 Satz 4 in Verbindung mit § 35 AufenthG zu.

Allerdings war er entgegen der seitens seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bayerischen VGH (Beschluss vom 23. Januar 2008 – 19 Cs 07.2828 –) vertretenen Rechtsauffassung im Zeitpunkt der Vollendung seines 16. Lebensjahres nicht (mehr) im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Denn die dem Kläger erteilte Aufenthaltserlaubnis lief bereits am 25. Januar 2005 ab, während er sein 16. Lebensjahr erst am 21. Februar 2005 vollendet hat.

Die durch den rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrag vom 18. Januar 2005 ausgelöste Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG steht dem Besitz der Aufenthaltserlaubnis im Falle des Klägers auch nicht gleich. Der Sache nach handelt es sich bei der Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG vielmehr um eine dem Grunde nach nur vorläufige Position, die nur dann zum Vollrecht erstarkt, wenn der beantragte Aufenthaltstitel schließlich auch erteilt wird. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allenfalls dann anzuerkennen, wenn dem Ausländer im maßgeblichen Zeitpunkt (hier: Vollendung des 16. Lebensjahres) materiell ein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis zugestanden hätte. In derartigen Fällen spricht vieles dafür, die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gleichzustellen. Denn andernfalls hätte es die Verwaltungsbehörde unter Umständen in der Hand, einen möglichen Anspruch des Ausländers nach § 26 Abs. 4 Satz 4 in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG durch eine zögerliche Sachbearbeitung zu unterlaufen. Dies wäre mit Vertrauensschutzgesichtspunkten und dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar (so auch GK-Aufenthaltsgesetz, Kommentar, Loseblattsammlung, § 26 Rdnrn. 17, 18 und 25 m.w.N.). Diese Frage bedarf vorliegend indessen keiner abschließenden Klärung, weil die insoweit inzident vorzunehmende Prüfung ergibt, dass dem Kläger auch im Zeitpunkt der Antragstellung am 18. Januar 2005 kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zugestanden hätte.

Zu diesem Zeitpunkt war der Flüchtlingsstatus des Klägers bereits rechtskräftig widerrufen, so dass auch schon damals eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nur nach Maßgabe des 2. Kapitels, 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes in Betracht gekommen wäre (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Da der Kläger im Zeitpunkt 18. bzw. 25. Januar 2005 das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, scheidet ein Anspruch auf Niederlassungserlaubnis zu diesem Zeitpunkt offensichtlich aus (§ 26 Abs. 4 Satz 4 in Verbindung mit § 35 AufenthG).

In Betracht zu ziehen war daher lediglich die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 4 AufenthG. Vielmehr bleibt insoweit zu sehen, dass der Kläger die bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG ebenfalls zu berücksichtigenden Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht erfüllt hatte und keine Gründe für die Annahme vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, dass der Beklagte im Ermessenswege nach § 5 Abs. 3, 2. HS. AufenthG in der damals gültigen Fassung hiervon zwingend hätte absehen müssen. Ferner ist in den Blick zu nehmen, dass die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG ihrerseits im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht und bezogen auf den damaligen Zeitpunkt auch insoweit nichts für eine Ermessensreduzierung auf "Null" zugunsten des Klägers ersichtlich ist.

Was die Beachtung der Regelerteilungsvoraussetzungen anbelangt, hat der Kläger zunächst nicht die Passpflicht im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthG erfüllt. Er ist bis heute nicht im Besitz eines gültigen Passes, obwohl er spätestens mit dem rechtskräftigen Widerruf seines Flüchtlingsstatus im August 2004 verpflichtet gewesen wäre, die Passpflicht zu erfüllen. Dies wäre ihm mit Hilfe seiner Eltern auch möglich und zumutbar gewesen. Insoweit muss er sich das Verhalten seiner Eltern zurechnen lassen. Ihm kann an dieser Stelle auch nicht zugute kommen, dass der Kosovo mittlerweile am 20. Februar 2008 durch die Bundesrepublik Deutschland als Staat anerkannt wurde und die passrechtliche Situation derzeit ungeklärt ist (vgl. Rundschreiben des Ministeriums des Innern und für Sport vom 29. Februar 2008). Diese Situation ist erst nachträglich eingetreten und hätte daher auf eine im Januar 2005 zu treffende Behördenentscheidung keinen Einfluss gehabt. Neben der Nichterfüllung der Passpflicht war im Januar 2005 auch der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und darüber hinaus lag bereits im damaligen Zeitpunkt die Verurteilung durch das Amtsgericht Montabaur vom 20. Januar 2005 zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung vor (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

Zwar wäre unter diesen Voraussetzungen seitens des Beklagten gemäß § 5 Abs. 3 2. HS. AufenthG in der damals gültigen Fassung nach pflichtgemäßem Ermessen über ein mögliches Absehen von diesen Regelerteilungsvoraussetzungen zu entscheiden gewesen. Angesichts der Gesamtumstände des Falles, insbesondere im Hinblick auf den Werdegang des Klägers, der schon als Minderjähriger in erheblichem Umfang straffällig geworden war, kann rückblickend jedoch nicht zu dessen Gunsten unterstellt werden, dass das diesbezügliche Ermessen des Beklagten auf "Null" reduziert gewesen wäre, so dass zwingend von den Regelerteilungsvoraussetzungen hätte abgesehen werden müssen.

Soweit der Bayerische VGH in seiner oben zitierten Entscheidung offenbar zu der Auffassung neigt (im Ergebnis allerdings ausdrücklich offen gelassen), die Frage nach der rechtlichen Qualität der Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG sei unterschiedlich zu beantworten, je nachdem ob es für das Bestehen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG auf Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis ankomme (dann Gleichwertigkeit verneinend) oder ob es um die Anerkennung von Zeiten im Hinblick auf die Entstehung von Ansprüchen auf Aufenthaltstitel gehe (dann Gleichwertigkeit bejahend), vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Dem unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten anzuerkennenden Anliegen, negativen Auswirkungen einer langen Bearbeitungsdauer entgegenzuwirken, wird mit dem oben dargelegten Regel-Ausnahme-System in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Eine (zu) lange Bearbeitungsdauer kann sich nämlich im Ergebnis nur dann zu Lasten des Ausländers auswirken, wenn ihm bei zeitnaher Bearbeitung unter Zugrundelegung der damaligen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung materiell ein Rechtsanspruch auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels zugestanden hätte, der sodann Voraussetzung für eine weitere Aufenthaltsverfestigung gewesen wäre. Hätte ein solcher Anspruch hingegen – wie hier – nicht bestanden, so besteht keine Veranlassung, den Ausländer nur aufgrund der durch die rechtzeitige Antragstellung ausgelösten Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG besser zu stellen. In diesem Falle hätte der Verlängerungsantrag nämlich bei zeitnaher Bescheidung abgelehnt werden können, womit sich die Frage nach der Aufenthaltsverfestigung nicht mehr gestellt hätte und heute auch nicht mehr stellen würde.

Des Weiteren spricht gegen die Auffassung des Bayerischen VGH, dass es im Aufenthaltsgesetz an mehreren Stellen auf den Besitz der Aufenthaltserlaubnis ankommt und es aus Gründen der Rechtsklarheit geboten erscheint, diesen Begriff nicht aufzuweichen. Dementsprechend wurden auch schon unter der Geltung des Ausländergesetzes die Fiktionswirkungen der Antragstellung in der Rechtsprechung grundsätzlich nur als vorläufiger Status angesehen. So wird etwa bis heute in ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung und der Rechtsprechung des EuGH unter einem ordnungsgemäßen Aufenthalt im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 EWG-Türkei der auf Dauer gesicherte rechtmäßige Aufenthalt verstanden, während ein vorläufiger Status ohne materielles Aufenthaltsrecht insoweit nicht ausreichend ist, eine Aufenthaltsverfestigung zu bewirken (Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Kommentar, Loseblattsammlung, Assoziation EWG-Türkei, Art. 6 Rn 62 – 66 m.w.N.). Es besteht mit Blick auf das zuvor Gesagte keine sachliche Notwendigkeit, diese gefestigte Rechtsprechung aufzugeben.

Erfüllt der Kläger demnach nicht die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, so gilt dies auch für die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.

Der Lebensunterhalt des Klägers ist derzeit nicht gesichert; vielmehr ist er arbeitslos und lebt von Sozialhilfe.

Ein Anspruch des Klägers auf Niederlassungserlaubnis aus § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 AufenthG scheidet ebenfalls aus. Auch insoweit scheitert der Anspruch an der fehlenden Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).

Erweist sich nach alledem der Hauptantrag des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach allen denkbaren rechtlichen Betrachtungsweisen als unbegründet, so muss auch seinem Hilfsantrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Erfolg versagt bleiben.

Mit Rücksicht auf § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist auch im Rahmen des Hilfsantrages nur ein Aufenthaltstitel nach dem fünften Abschnitt in Betracht zu ziehen.

Auch eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG scheidet im Ergebnis aus.

Die Vorschrift schafft eine Ausnahmemöglichkeit für Fälle, in denen bereits ein rechtmäßiger Aufenthalt besteht und das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Sie knüpft im Wesentlichen an die frühere Regelung des § 30 Abs. 2 AuslG an (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz, Bundestagsdrucksache 15/420 vom 7. Februar 2003, S. 80). Zur Auslegung des Begriffs der außergewöhnlichen Härte kann daher auf die zu § 30 Abs. 2 AuslG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Hiernach ist eine Härte aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles außergewöhnlich, wenn der Ausländer sich in einer Sondersituation befindet, die sich deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet. Das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte kann daher nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen angenommen werden. Dabei müssen die besonderen Umstände des Einzelfalles aufgrund derer das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, von anderen Härtefallregelungen des Aufenthaltsgesetzes, z.B. § 31 Abs. 2, § 32 Abs. 4 oder § 37 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, die das Vorliegen einer besonderen Härte genügen lassen, abgegrenzt werden. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann daher nur dann erteilt werden, wenn die Beendigung des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland als regelmäßige Folge des Ablaufs bisheriger Aufenthaltsgenehmigungen grundsätzlich unvertretbar wäre. Die Umstände, die zu einer außergewöhnlichen Härte führen sollen, müssen im Einzelfall nach ihrer Art und Schwere so gravierend sein, dass bei einer Ausreise aus dem Bundesgebiet der Ausländer unerträglichen Belastungen ausgesetzt wäre (Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Kommentar, Loseblattsammlung, § 30 AuslG, Rdnr. 46a bis 48 m.w.N.).

Gemessen hieran vermag die Kammer das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte im Rechtssinne im Falle des Klägers nicht festzustellen.

Allein die inzwischen etwa dreizehneinhalbjährige Aufenthaltsdauer des Ende des Jahres 1994 ins Bundesgebiet eingereisten Klägers vermag eine solche außergewöhnliche Härte nicht zu begründen. Zwar hat der Gesetzgeber im Rahmen des 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG auf eine Regelung wie in § 30 Abs. 2 AuslG verzichtet, wonach die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Ausländers und seiner Familienangehörigen nicht als dringende humanitäre Gründe anzusehen waren, soweit der Ausländer nicht mit einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durfte. Hieraus ist jedoch mit Blick auf die bereits erläuterte systematische Stellung des Begriffs der außergewöhnlichen Härte gegenüber der „bloß“ besonderen Härte in anderen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen nicht etwa der Schluss zu ziehen, dass nunmehr allein eine bestimmte Aufenthaltsdauer schon ausreichen würde, um eine außergewöhnliche Härte zu begründen. Gegen eine solchermaßen weite Auslegung spricht schon der Umstand, dass damit die erläuterte Differenzierung der unterschiedlichen Härtebegriffe aufgeweicht würde. Demnach ist die Dauer des Aufenthalts zwar einerseits im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, es müssen jedoch regelmäßig weitere gewichtige Gründe hinzutreten, um eine außergewöhnliche Härte zu begründen. Gemessen hieran ist dem Kläger zwar zuzubilligen, dass ihm über ca. acht Jahre hinweg Abschiebungsschutz wegen möglicher politischer Verfolgung in seinem Heimatland gewährt worden ist, wodurch er sich bis im August 2004 legal und berechtigterweise in Deutschland aufgehalten hat. Allerdings bleibt in diesem Zusammenhang zu sehen, dass diesem Gesichtspunkt bereits im Rahmen der Regelung des § 26 Abs. 4 AufenthG hinreichend Rechnung getragen worden ist und die Regelungen der §§ 25 Abs. 4 und 5 AufenthG damit in der Regel nicht als Auffangtatbestand herangezogen werden können, wenn der jeweilige Ausländer die erforderlichen Integrationsleistungen nicht erfüllt und auch keine sonstigen gewichtigen Gründe das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte begründen können. Diese Auslegung rechtfertigt sich u.a. aus der Tatsache, dass einem anerkannten Flüchtling schon nach 3 Jahren eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen ist, wenn sein Flüchtlingsstatus fortbesteht (§ 26 Abs. 3 AufenthG). Außerdem kann anderen Ausländern, denen der Aufenthalt aus sonstigen humanitären Gründen gewährt worden ist, bereits nach 7 Jahren legalen Aufenthalts die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 9 Abs. 2 AufenthG erteilt werden. Dabei beschreiben die in § 9 Abs. 2 AufenthG geforderten Integrationsleistungen der Sache nach eher einen Mindeststandard, zumal auch dazu noch eine Reihe von Ausnahmemöglichkeiten zum Teil zwingend und zum Teil im Ermessenswege vorgesehen sind. Erfüllt ein Ausländer, der sich mithin über viele Jahre legal hier aufgehalten hat, schon nicht diese Mindestanforderungen, so folgt hieraus, dass sich eine außergewöhnliche Härte zumindest in der Regel nur noch mit sonstigen Gesichtspunkten außerhalb der (fehlgeschlagenen) Integration begründen lässt.

Eine weitere Stütze findet diese Auslegung in dem Gesichtspunkt, dass der Aufenthalt aus humanitären Gründen vom Grundsatz des temporären Schutzes ausgeht (Begründung zu Art. 1 § 26 des Gesetzesentwurfes aus Bundestagsdrucksache 15/420, Kloesel/Christ/Häußer, a.a.O., § 26 AufenthG). Demzufolge wollte der Gesetzgeber erkennbar (nur) solchen Ausländern eine Aufenthaltsverfestigung ermöglichen, denen im Laufe ihres legalen Aufenthaltes als Flüchtling eine Integration in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland gelungen ist. Für jene Ausländer hingegen, bei denen die Integration fehlgeschlagen ist, bleibt es aus den oben genannten Gründen bei dem Grundsatz des temporären Charakters der humanitären Hilfe, es sei denn, es liegen sonstige gewichtige Gründe vor, die es trotz der fehlgeschlagenen Integration unter Härtegesichtspunkten ausnahmsweise gebieten, dem Ausländer den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen.

Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist zunächst festzuhalten, dass die Integration des Klägers trotz seines langjährigen legalen Aufenthaltes fehlgeschlagen ist.

Ungeachtet der fehlgeschlagenen Integration sind auch keine sonstigen Gründe gegeben, die eine außergewöhnliche Härte in der Person des Klägers begründen. Dies gilt zunächst unter Berücksichtigung des in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz – GG – verankerten Schutzes der Familie. Das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte unter diesem Gesichtspunkt würde voraussetzen, dass die Beeinträchtigung der nach Art. 6 Abs. 1 GG aufenthaltsrechtlich geschützten familiären Belange über das im Regelfall übliche Maß hinausgeht. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn einer der Familienangehörigen, mit denen der Ausländer in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, aufgrund individueller Besonderheiten mehr als im Regelfall üblich auf den persönlichen Beistand des von der ablehnenden Entscheidung betroffenen Ausländers angewiesen ist (VGH Baden-Württemberg, B.v. 6. Mai 1997 – 13 F 1997 – NVwZ- RR 1997, 746 bis 749 und BVerwG, B.v. 15. Januar 1997 – 1 B 256/96 -, Buchholz 402.240, § 47 AuslG, 1990, Nr. 12). Dass dies vorliegend im Hinblick auf den Kläger und seine Familie, respektive seine Eltern und Geschwister, der Fall wäre, ist weder dargetan noch sonst erkennbar.

Schließlich lässt sich auch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, der neben dem Familienleben auch den Anspruch auf Achtung des Privatlebens schützt, keine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG herleiten.

Dabei ist zunächst geklärt, dass Art. 8 EMRK dem Einzelnen keinen Anspruch vermittelt, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten und nicht ausgewiesen zu werden. Über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden, ist nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen vielmehr das Recht der Vertragsstaaten. Von diesem Recht hat die Bundesrepublik Deutschland u. a. durch den Erlass des Aufenthaltsgesetzes und seiner ergänzenden Bestimmungen Gebrauch gemacht, wobei unstreitig sein dürfte, dass das Regelwerk des Aufenthaltsgesetzes mit seinen ausländerpolizeilichen Instrumentarien im Einklang mit den Bestimmungen des Art. 8 EMRK steht. Dementsprechend beinhaltet Art. 8 EMRK in ausländerrechtlichen Fällen weder eine eigenständige Anspruchsnorm noch sonst einen Prüfungsrahmen außerhalb der Regelungen des Aufenthaltsgesetzes. Vielmehr ist Art. 8 EMRK – ebenso wie die einem ähnlichen Schutzzweck dienende Regelung des Art. 6 GG – bei der Anwendung und Auslegung der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes zu berücksichtigen. Im Anwendungsbereich des § 25 Abs. 4 AufenthG bedeutet dies, dass im Einzelfall mit Blick auf den Schutzzweck des Art. 8 EMRK eine außergewöhnliche Härte in der Person des Ausländers herzuleiten sein kann, mit der Folge, dass die Ausländerbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu entscheiden hätte.

Dies vorausgeschickt kann die Weigerung, dem Kläger ein weiteres Aufenthaltsrecht in Deutschland zu gewähren, allenfalls einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Privatlebens darstellen. Ein nicht gerechtfertigter Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK liegt hier jedoch nicht vor. Dabei ist in der Rechtsprechung geklärt, dass aufenthaltsrechtliche Entscheidungen eines Vertragsstaates nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise bei Hinzutreten bestimmter Umstände in das Recht auf Achtung des Privatlebens eingreifen. Eingriffsqualität erreichen aufenthaltsrechtliche Entscheidungen im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur, wenn der durch sie bewirkten Einwirkung auf Familien- und Privatleben eine bestimmte Intensität zukommt. Insbesondere lässt sich ein unzulässiger Eingriff in dieses Recht nicht schon mit dem Argument bejahen, ein Ausländer halte sich bereits seit längerer Zeit in einem bestimmten Staat auf und wolle dort sein Leben führen. Die Qualität eines unzulässigen Eingriffs kommt der den weiteren Aufenthalt verweigernden Maßnahme allerdings dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur mehr im Aufenthaltsstaat führen kann. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn ein Ausländer in einem anderen Staat aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden ist und ihm wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug hat, nicht zugemutet werden kann. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer vorliegt, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland ab, zum anderen von seiner Möglichkeit zur Integration bzw. Reintegration in seinem Heimatland (vgl. zum Meinungsstand VGH Hessen, Beschluss vom 15. Februar 2006 – 7 TG 106/06 –, Asylmagazin 2006, 32 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Januar 2006 – 13 S 2220/05 –, Asylmagazin 2006, Seite 29 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. Februar 2006 – 7 B 10020/06.OVG – , jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Unter Anlegung dieses Maßstabes ist im Falle des Klägers das Vorliegen eines unzulässigen Eingriffs in sein Privatleben zu verneinen. Denn aus den oben bereits genannten Gründen ist dem Kläger trotz seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes in wesentlichen Punkten eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse nicht gelungen.

Ferner scheidet auch ein Anspruch des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG aus.

Schließlich scheidet auch eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers auf der Grundlage des § 104a AufenthG aus.

Da es sich hierbei um einen Aufenthaltstitel nach dem 5. Abschnitt handelt (vgl. § 104a Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG), steht § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Anwendbarkeit nicht entgegen. Allerdings erfüllt der Kläger auch die Voraussetzungen dieser Regelungen nicht.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG steht jedenfalls die strafrechtliche Verurteilung des Klägers zu 2 Jahren Haft entgegen (§ 104a Abs. 1 Nr. 6 AufenthG).

Einem möglichen Anspruch aus § 104a Abs. 2 AufenthG steht entgegen, dass im Falle des Klägers aus den oben bereits dargelegten Gründen gerade nicht davon auszugehen ist, dass gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.