VG Neustadt a.d.W.

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Zitieren als:
VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 06.12.2007 - 2 K 934/07.NW - asyl.net: M13471
https://www.asyl.net/rsdb/M13471
Leitsatz:

Die Sicherung des Lebensunterhalts eines Ausländers gem. § 2 Abs. 3 AufenthG wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Lebensunterhalt von in häuslicher Gemeinschaft mit dem Ausländer lebende Familienangehörige nicht gesichert ist; die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG bzw. § 26 Abs. 4 AufenthG setzt grundsätzlich die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG voraus; davon kann aber im Fall von § 26 Abs. 4 AufenthG nach § 5 Abs. 3 AufenthG im Ermessen abgesehen werden.

 

Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Lebensunterhalt, Familienangehörige, Ausweisungsgrund, Zukunftsprognose, Straftat, Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Verstoß gegen Rechtsvorschriften, atypischer Ausnahmefall, Ermessen
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 2 Abs. 3; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 6; AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 5 Abs. 3
Auszüge:

Die Sicherung des Lebensunterhalts eines Ausländers gem. § 2 Abs. 3 AufenthG wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Lebensunterhalt von in häuslicher Gemeinschaft mit dem Ausländer lebende Familienangehörige nicht gesichert ist; die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG bzw. § 26 Abs. 4 AufenthG setzt grundsätzlich die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG voraus; davon kann aber im Fall von § 26 Abs. 4 AufenthG nach § 5 Abs. 3 AufenthG im Ermessen abgesehen werden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Als Anspruchsgrundlage für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis kommt vorliegend allein die Bestimmung des § 26 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG in Betracht.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG sind erfüllt.

Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Bestimmung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, derzufolge einem Ausländer eine Niederlassungserlaubnis nur erteilt werden darf, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist dies dann der Fall, wenn der Betreffende seinen Lebensunterhalt einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Auf die Frage, ob auch der Lebensunterhalt der mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen sichergestellt ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, unabhängig davon, ob der Betreffende seinen Angehörigen gegenüber unterhaltsverpflichtet ist oder nicht. Entscheidend ist nur, ob der um die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis Nachsuchende seinen eigenen Unterhaltsbedarf mit den ihm zur Verfügung stehenden privaten Mitteln decken kann. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ("sein Lebensunterhalt") und § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ("Lebensunterhalt eines Ausländers"), der sich deutlich vom Wortlaut vergleichbarer Vorschriften, z. B. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 AufenthG, wonach der Ausländer über ausreichenden Wohnraum "für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen" verfügen muss, unterscheidet. Für die hier vertretene Auffassung spricht darüber hinaus die Systematik des § 2 Abs. 3 AufenthG, wonach der Bezug von Kindergeld und vergleichbaren öffentlichen Mitteln bei der Beantwortung der Frage, ob ein Ausländer seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten kann, außer Betracht zu bleiben hat, und der Beitrag von Familienangehörigen zum Einkommen eines Haushalts allein bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs berücksichtigt wird (vgl. Nr. 2.3.3.1 Satz 1 der Vorläufigen Anwendungshinweise sowie VG Karlsruhe, Urteil vom 25. April 2006 - 11 K 1392/05 -; juris; ferner: BVerfG, NVwZ 2007, 1302).

Diese Rechtslage ist von der am 28. August 2007 in Kraft getretenen Neufassung des § 2 Abs. 3 AufenthG durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) unberührt geblieben. Zur Klarstellung ist allerdings darauf hinzuweisen, dass ein Ausländer, der seinen eigenen Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, für seine Familienangehörigen aber Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nimmt, einen Ausweisungsgrund verwirklicht (§ 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG).

§ 9 Abs.2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG steht der beantragten Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zumindest nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht entgegen. Nach der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung der Vorschrift war die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ausgeschlossen, wenn der Ausländer innerhalb der letzten drei Jahre wegen einer vorsätzlichen Straftat zu mindestens sechs Monaten Freiheitsentzug oder zu einer Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen verurteilt worden war. Eine solche Verurteilung ist im Falle des Klägers nicht erfolgt.

Es kann auch nicht festgestellt werde, dass die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG in der Gestalt, die sie nunmehr durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 gefunden hat ("Einem Ausländer ist die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen."), die Erteilung der vom Kläger beantragten Niederlassungserlaubnis im Hinblick auf dessen strafrechtliche Verfehlungen zwingend hinderte, zumal diese überwiegend längere Zeit zurückliegen.

Allerdings setzt die Erteilung der beantragten Niederlassungserlaubnis außer einer Erfüllung der Bestimmungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 i.V.m. § 104 Abs. 2 AufenthG grundsätzlich auch voraus, dass den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG Genüge getan ist. Dies ist hinsichtlich der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG i.V.m. § 3 AufenthG) unstreitig, gilt aber auch für das Erfordernis des Fehlens eines Ausweisungsgrundes (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 AufenthG), das hier allein umstritten ist.

Das erkennende Gericht folgt nicht der zu § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG a.F. in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichem Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung, dass diese Vorschrift es ausschließe, ein strafgerichtliches Urteil wegen einer Vorsatztat, das länger als drei Jahre zurückliegt und ein Strafmaß von sechs Monaten Freiheitsentzug oder 180 Tagessätzen nicht überschreitet, zu Lasten des betroffenen Ausländers zu berücksichtigen (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 9 AufenthG Rdnr. 21). Denn die Niederlassungserlaubnis stellt die rechtlich stärkste Verfestigung des Aufenthalts eines Ausländers im Bundesgebiet dar. Sie ist zeitlich unbeschränkt, darf keinen räumlichen Beschränkungen unterworfen und nicht mit Bedingungen und Auflagen verbunden werden, berechtigt zu jeder Art von Erwerbstätigkeit und vermittelt einen besonderen Ausweisungsschutz (vgl. § 9 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Das Maß an Integrationsleistungen, das für eine Einräumung dieser Rechtsstellung erbracht werden muss, darf deshalb grundsätzlich nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben, die für die Erlangung eines befristeten Aufenthaltstitels erfüllt sein müssen. Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis setzte nach der bis zum 28. August 2007 geltenden Fassung des Aufenthaltsgesetzes deshalb grundsätzlich voraus, dass der Ausländer zumindest in der Zeit vor Beginn der in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG a.F. genannten Drei-Jahres-Spanne straffrei geblieben war oder eine begangene Straftat vereinzelt und geringfügig war oder dem Betroffenen wegen des Ablaufs registerrechtlicher Tilgungsfristen nicht mehr vorgehalten werden konnte. Der Sinn und Zweck von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG a.F. beschränkte sich hiernach darauf, die mit einer solchen Integrationsleistung erworbene "Anwartschaft" auf eine Niederlassungserlaubnis nicht allein wegen einer einzigen nachfolgenden strafrechtlichen Verurteilung, die die genannte Schwelle der Geringfügigkeit nicht überschreitet, entfallen zu lassen (so überzeugend mit eingehender Begründung: VG Karlsruhe, Urteil vom 19. Oktober 2005 - 10 K 883/04 -, juris, im Anschluss an VGH BW, ZAR 2002, 244).

Durch die Änderungen, die das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 für das Aufenthaltsgesetz einschließlich dessen § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 mit sich gebracht hat, hat sich am Verhältnis der Niederlassungserlaubnis zur Aufenthaltserlaubnis und der besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 AufenthG zu den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG nichts geändert. Danach kann auch nach neuem Recht in den Genuss einer Niederlassungserlaubnis grundsätzlich nur derjenige Ausländer gelangen, der die Anforderungen des § 5 AufenthG einschließlich des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfüllt. Dies wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG n.F. und der Bestimmung des § 9 a AufenthG über die "Erlaubnis zum Daueraufenthalt EG", die der Umsetzung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (Daueraufenthalts-Richtlinie) dient und in ihrem Absatz 2 Satz 1 Nr. 5 eine mit § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG n.F. wörtlich übereinstimmende Regelung enthält.

Danach ist der Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch an § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu messen.

Allerdings stellt das strafbare Verhalten des Klägers, das Gegenstand der strafgerichtlichen Verurteilungen war, einen Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und damit ein Hindernis für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis dar. Die Eintragungen im Bundeszentralregister sind noch nicht getilgt und auch noch nicht tilgungsreif (§ 46 Abs. 1 Nr. 2, § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG). Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes steht ihrer Verwertung nicht entgegen. Zwar hat die Beklagte in Kenntnis der strafrechtlichen Verfehlungen die Aufenthaltsbefugnisse und die befristeten Aufenthaltserlaubnisse des Klägers verlängert. Diese Entscheidungen ergingen aber ersichtlich allein mit Rücksicht auf den seiner Ehefrau zustehenden Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 3 AuslG.

Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass vorliegend aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ein Ausnahmefall im Sinne von § 5 Abs. 1 AufenthG gegeben wäre, der ein Absehen von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes rechtfertigen könnte (vgl. hierzu: BVerwGE 102, 12).

Allerdings hat die Beklagte bislang nicht beachtet, dass sie im Falle eines nach § 26 Abs. 4 AufenthG zu beurteilenden Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 5 Abs. 3, 2. Halbsatz AufenthG vom Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG nach Ermessen absehen kann. Weder der Ausgangsbescheid noch der Widerspruchsbescheid lassen erkennen, dass die Möglichkeit in den Blick genommen worden wäre, den vom Kläger begehrten Aufenthaltstitel trotz des Vorliegens eines Ausweisungsgrundes im Ermessenswege zu erteilen.

Es ist vor diesem Hintergrund jedoch nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass im Rahmen einer Ermessenserwägung ein anderes Ergebnis zu treffen sein könnte, auch wenn es in dieser Richtung bisher keinerlei Ermessensverdichtung gibt. Um der Beklagten Gelegenheit zu geben, die Ermessensbetätigung nachzuholen, waren der Bescheid und der Widerspruchsbescheid aufzuheben.