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Zitieren als:
, Beschluss vom 16.06.2008 - 16 UR II 126/08 - asyl.net: M13476
https://www.asyl.net/rsdb/M13476
Leitsatz:

Einem bedürftigen Ausländer, der sich gegen eine Entscheidung der Ausländerbehörde zu Wehr setzen will, ist es nicht zuzumuten, auf die Beratung durch einen Rechtsanwalt zu verzichten.

 

Schlagwörter: D (A), Beratungshilfe, Zumutbarkeit, Ausländerbehörde, Beratung, Berichtigungsantrag, Erinnerung
Normen: BerHG § 6 Abs. 2; BerHG § 1 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

Einem bedürftigen Ausländer, der sich gegen eine Entscheidung der Ausländerbehörde zu Wehr setzen will, ist es nicht zuzumuten, auf die Beratung durch einen Rechtsanwalt zu verzichten.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Erinnerung der den Antrag stellenden Partei ist gemäß § 6 II BerHG ist begründet.

Der Rechtsansicht der Antragsteller ist zu folgen. Die auf § 1 II Nr. 2 BerHG gestützte Zurückweisung des Antrages auf Gewährung von Beratungshilfe kann nicht aufrechterhalten werden.

Beratungshilfe kann gemäß § 1 11 Nr. 2 BerHG nur dann gewährt werden, wenn nicht andere Möglichkeiten für eine Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtssuchenden zuzumuten ist.

Nach Auffassung des Gerichts ist es einer Partei, welche die Berichtigung eines Bescheides des Ausländerbehörde beantragt, nicht zumutbar, auf anwaltlichen Beistand verzichten zu müssen, bloß weil sie bedürftig ist. Die Prüfung eines Bescheides der Ausländerbehörde ist juristisch durchaus komplex, so daß es aus Sicht einer - gewöhnlich im Umgang mit Behörden eher unerfahrenen - Partei durchaus sinnvoll und wünschenswert ist, sich anwaltlich beraten zu lassen.

Ziel des Beratungshilfegesetzes ist die Verbesserung der Chancengleichheit bei der (außergerichtlichen) Rechtsdurchsetzung und der Abbau von Hemmschwellen verschiedenster Art (vgl. Schoreit/Dehn, Beratungshilfe/Prozeßkostenhilfe, 8. Aufl., Einl. Rz. 7 und 8). Nach Auffassung des Gerichts ist es unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit eine Frage der Zumutbarkeit, ob Parteien auf Beratung durch Behörden verwiesen werden können. Es kann unzumutbar sein, minderbemittelte Rechtssuchende auf behördliche Beratung zu verweisen, während Bürger mit guten Einkommensverhältnissen (zusätzlich) anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen können (vgl. Gerold/Schmidt pp., Kommentar zum RVG, 16. Aufl., W 2600 - 2608, Rz. 10). Dies gilt insbesondere in Situationen, in denen der Rechtssuchende gerade "Schutz" vor einer staatlichen Behörde sucht (vgl. Schoreit/Dehn, 8. Aufl., § 1 BerHG, Rz. 77) bzw. sich - wie hier - gegen eine Entscheidung dieser Behörde zur Wehr zu setzen versucht. Es ist nicht zumutbar, den Rechtssuchenden, der eine behördliche Entscheidung anficht, darauf zu verweisen, sich von dem Mitarbeiter einer staatlichen Stelle, welcher eine zum Nachteil des Rechtssuchenden wirkende Entscheidung getroffen hat, die Rechtslage erläutern lassen zu müssen. Selbst eine noch so detaillierte und formal korrekte Beratung durch einen Mitarbeiter der Behörde selbst, deren Entscheidung angefochten wird, ersetzt dem Rechtssuchenden keine unabhängige Prüfung und Beratung durch einen Rechtsanwalt. Schließlich ist die Behörde, deren Entscheidung angefochten wird, Partei der rechtlichen Auseinandersetzung, so daß die Hilfe dieser Behörde aus Sicht des Rechtssuchenden durchaus von zweifelhaftem Wert sein dürfte (vgl. Schoreit/Dehn aaO.). Dies gilt auch und gerade in ausländer- und asylrechtlichen Angelegenheiten (vgl. Schoreit/ Dehn aaO.).

An dieser Rechtslage ändert auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.6.2007 (1 BvR 1014/07, abgedruckt in NJW-RR 2007, S. 1369 f.) nichts. Dort ist dargelegt, daß einem Bürger im Regelfall eine erstmalige Nachfrage bei der Behörde ohne anwaltliche Hilfe zumutbar ist.

Der Antrag auf Berichtigung dieses Bescheides kann nach Auffassung des Gerichts nicht mehr mit einer "erstmaligen Nachfrage" gleichgesetzt werden. Ein Berichtigungsantrag erfordert eine stichhaltige Begründung. Nach Auffassung des Gerichts ist es schon vom Wortlaut des § 1 BerHG nicht Sinn und Zweck des Beratungshilfegesetzes, bedürftigen Antragstellern anwaltliche Beratung und Hilfe erst zuteil werden zu lassen, wenn nach der ersten eventuell zu berichtigenden Entscheidung die Berichtigung abgelehnt wird. Vielmehr ist die Beratungshilfe für die vorgerichtliche Wahrnehmung von Rechten nach Auffassung des Gerichts bereits dann zu gewähren, wenn sich ein Antragsteller gegen eine ihn beschwerende Behördenentscheidung zur Wehr zu setzen versucht und die weiteren Voraussetzungen des § 1 BerHG vorliegen.