VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 02.07.2008 - 11 A 1924/07 - asyl.net: M13492
https://www.asyl.net/rsdb/M13492
Leitsatz:

Ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann auch bestehen, wenn im Zeitpunkt der Ausweisung zwar die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, der Aufenthaltstitel wegen eines rechtzeitigen Verlängerungsantrages aber gem. § 81 Abs. 4 als fortbestehend gilt.

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, zwingende Ausweisung, besonderer Ausweisungsschutz, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Fortgeltungsfiktion, Regelausweisung, atypischer Ausnahmefall, Wiederholungsgefahr, Privatleben, Schutz von Ehe und Familie, Europäische Menschenrechtskonvention, Integration
Normen: AufenthG § 53 Nr. 1; AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 81 Abs. 4; EMRK Art. 8
Auszüge:

Ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann auch bestehen, wenn im Zeitpunkt der Ausweisung zwar die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, der Aufenthaltstitel wegen eines rechtzeitigen Verlängerungsantrages aber gem. § 81 Abs. 4 als fortbestehend gilt.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Klage ist unbegründet. Die Ausweisung und die Androhung der Abschiebung des Klägers sind rechtmäßig; er hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Maßgeblich für die Beurteilung auch der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156).

Der Kläger erfüllt nunmehr den zwingenden Ausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG, weil er am 6. Februar 2008 vom Landgericht H. wegen der aus dem Tatbestand ersichtlichen vorsätzlichen Straftaten zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt worden ist.

Der Kläger genießt allerdings besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Der Kläger ist als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist und war im Zeitpunkt der Ausweisung fünf Jahre rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland. Er war zwar bei Erlass der Verfügung vom 7. Juni 2007 nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Wegen des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages galt sein früherer Aufenthaltstitel aber als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Diese sog. Fortgeltungsfiktion steht auch für die Annahme des besonderen Ausweisungsschutzes dem Besitz des Aufenthaltstitels gleich (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 28. Dezember 2006 - 12 TG 2396/06 - juris <Rn. 4>; auch Burr in: GK-AufenthG, Rn. 17 zu § 26; a.A. VGH München, Beschluss vom 21. Februar 2008 - 19 ZB 07.52 - juris <Rn. 5>). Denn nach dem Wortlaut des § 81 Abs. 4 AufenthG und der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S. 96) soll der Aufenthaltstitel nach einem vor dessen Ablauf gestellten Verlängerungsantrag bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde "mit allen sich daran anschließenden Wirkungen" fortgelten. Hierbei sind zwar in erster Linie arbeits- und sozialrechtliche Folgen in den Blick genommen worden; diese Erwägungen waren aber ersichtlich nicht abschließend ("insbesondere"). Die Ausländerbehörde könnte zudem anderenfalls durch Abwarten auf den Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis über den besonderen Ausweisungsschutz disponieren.

In solchen Fällen ist nach § 56 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 AufenthG dennoch regelmäßig eine Ausweisung zu verfügen. Die zuständige Ausländerbehörde hat mithin auch dann im Normalfall keinen Spielraum, sondern muss den Ausländer ausweisen. Hiervon kann nur in ganz besonderen Ausnahmefällen abgesehen werden. Diese sind durch atypische Umstände gekennzeichnet, die als so bedeutsam angesehen werden müssen, dass das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt wird, wobei sämtliche Umstände des Einzelfalles und insbesondere vorrangiges Recht wie die verfassungsrechtlich verankerten Grundrechte zu beachten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116 <118>; Urteil vom 26. Februar 2002 - 1 C 21.00 - BVerwGE 116, 55 <64 f.>).

Ein solcher atypischer Sonderfall liegt hier zur Überzeugung des Gerichts nicht vor.