VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 04.04.2008 - 1 A 203/06 - asyl.net: M13495
https://www.asyl.net/rsdb/M13495
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, deutsche Kinder, Vaterschaftsanerkennung, Rechtsmissbrauch, Beweislast, Mitwirkungspflichten
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 3; RL 2003/86/EG Art. 16 Abs. 4; RL 2003/86/EG Art. 16 Abs. 2; AufenthG § 82
Auszüge:

1. Die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben, weil sie die Klägerin in ihren Rechten verletzen, § 113 VwGO.

Denn die Beklagte hat mit ihren Bescheiden nicht der Rechtslage und vor allem dem gesetzlichen Anspruch der Klägerin aus § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG Rechnung getragen, sondern den Versuch unternommen, die hier vorliegende - notariell beurkundete - Vaterschaftsanerkennung des deutschen Staatsangehörigen K. abweichend vom Recht auf der Grundlage von Vermutungen und aufgrund eigener "Ermittlungen" zu unterlaufen. Das jedoch kann sie nicht. Begründete Zweifel an der Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen K. konnten bei der Beklagten nach dem geltenden BGB gar nicht entstehen, weil die gesetzlich erforderlichen Erklärungen ohne Zweifel abgegeben und gültig sind, also daraus die entsprechenden Rechtsfolgen herleitbar sind: Das von Herrn K. beim Notar in Berlin am 7. Juni 2005 abgegebene Vaterschaftsanerkenntnis genügt den Formerfordernissen des § 1597 Abs. 1 BGB; es handelt sich um eine öffentlich beurkundete Erklärung. Diesem Formerfordernis entspricht auch die Zustimmungserklärung der Klägerin. Die Beurkundung konnte auch schon vor der Geburt durchgeführt werden, § 1594 Abs. 4 BGB. Die Zustimmung des Kindes, wie sie nach der alten Fassung des § 1600 c BGB zur Wirksamkeit der Anerkennung erforderlich war, ist mit Inkrafttreten des Kindschaftsrechts-Reformgesetzes am 1. Juli 1998 entfallen. Daher ist die Vaterschaftsanerkennung wirksam.

Mutmaßungen dazu, ob diese Erklärungen auf einem zutreffenden Sachverhalt beruhen (vgl. dazu 3.2 des Beschlusses der Kammer v. 5. März 2007 - 1 B 8/07 -), hatte die Beklagte seit der Kindschaftsrechtsreform nach dem Willen des Gesetzgebers und der geltenden Gesetzeslage nicht mehr anzustellen. Denn auf die Zustimmung des Jugendamtes ist seit der Reform bewusst verzichtet worden, so dass die korrekt abgegebenen Erklärungen des Vaters und der Mutter seitdem zweifelsfrei genügen. Das war vom Gesetzgeber so geregelt und auch so gewollt.

Dahinstehen kann, ob bezüglich einer derart durch das BGB geregelten Vaterschaftsanerkennung Art. 16 Abs. 4 der Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86/EG) mit der Berechtigung der Mitgliedstaaten zum Zuge kommen kann, bei Vorliegen eines begründeten Verdachts auf Täuschung oder Scheinehe, Scheinpartnerschaft oder Scheinadoption "punktuelle Kontrollen" durchzuführen. Denn zum einen gilt diese Richtlinie nicht für Vaterschaftsanerkennungen und zum andern wären bei ihrer Anwendbarkeit auch nur "punktuelle" Kontrollen erlaubt - nicht mehr, also nicht Ermittlungen und Nachforschungen, wie sie hier vom Außendienstmitarbeiter der Beklagten sowie deren Mitarbeitern im Laufe des Monats August 2006 durch Beobachten der Lebensgewohnheiten der Klägerin, durch Befragen von Wohnungseigentümern und durch Heranziehung von Sozialleistungsvorgängen angestellt worden sind. Es ist zudem mit Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 2 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn die Verwaltung sich ohne hinreichenden Anlass von Amts wegen Kenntnisse intimer Details einer partnerschaftlichen Beziehung bzw. Ehe zu verschaffen sucht, solange die gesetzlich - nach dem BGB - erforderlichen Erklärungen zur Vaterschaft - wie hier - in notariell beurkundeter Form zweifelsfrei vorliegen.

In jedem Falle aber wäre die Beklagte angesichts des abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnisses, wollte man ihm die Gefolgschaft angesichts seiner Indizwirkung überhaupt versagen (können), nachweispflichtig dafür, dass das Anerkennntnis nicht den biologischen Abstammungsverhältnissen entspricht. Dieser Nachweis kann nicht mit dem Hinweis auf "zahlreiche Missbrauchsfälle" sowie auf nicht weiter erläuterte "Gesamtumstände des Einzelfalles" geführt werden (so aber S. 2 des Bescheides v. 8. Dezember 2006). Es reicht auch nicht aus, dass "Umstände" es als "durchaus möglich" erscheinen lassen, dass das Vaterschaftsanerkenntnis "missbräuchlich abgegeben worden ist" (so S. 5 d. Beschl. des Nds. OVG v. 19.9.2007 - 9 ME 197/07 - unter Bezug auf ältere Urteile anderer Gerichte sowie einen Beschl. des VGH Baden-W. v. 3.3.2005 - 13 S 3035/04 - ; zutreffend jedoch a.A. OVG Sachsen-Anhalt, InfAuslR 2006, 56 ff m.w.N.). Vielmehr wäre dazu in belegbarer Form ein klarer, rechtsstaatlich akzeptabler Nachweis zu führen, u.zw. von der Beklagten.

Im Übrigen ist es in Anlehnung an Art. 16 Abs. 2 a) der Richtlinie 2003/86/EG so, dass die Mitgliedstaaten z.B. die Einreise eines Familienangehörigen erst dann ablehnen dürfen, wenn "feststeht, dass … andere ungesetzliche Mittel angewandt wurden". Dieser Nachweis muss also geführt werden. Bloße Anhaltspunkte, Vermutungen und Zweifel genügen insoweit nicht (vgl. die Stellungnahme der EKD und des Kommisssariats der Dt. Bischöfe - A-Drs. 16(4)206 - Nr. 19 a zu § 27 Abs. 1 a Nr. 2 AufenthG-E).

Nach der ständigen Rechtsprechung der Zivilgerichte ist es zudem so, dass Einwendungen gegen wirksame Vaterschaftsanerkenntnisse außerhalb der Vaterschaftsanfechtungsklage selbst bei gravierenden Zweifeln und entsprechenden Anhaltspunkten bzw. "Umständen" nicht zugelassen werden (vgl. KG Berlin, FamRZ 2002, 1725 m.w.N.). Auch eine Nichtigkeit gem. § 134 BGB kann danach der wirksam abgegebenen Vaterschaftsanerkennung außerhalb eines Anfechtungsverfahrens nicht entgegen gehalten werden.

Die somit gültige Vaterschaftsanerkennung kann die Beklagte nur in der dafür vorgesehenen Form - durch eine formelle Anfechtung vor dem zuständigen Gericht - in Frage stellen und beseitigen.

Auf eine angebliche Mitwirkungspflicht der Klägerin jedoch kann sich die Beklagte hier nicht berufen, weil es nicht nur um für die Klägerin "günstige Umstände" oder ihre "Belange" iSv § 82 AufenthG geht, sondern um eine in öffentlich-rechtlicher Form beurkundete Vaterschaftsanerkennung, die uneingeschränkt entsprechende Indiz- und Rechtswirkungen hat. Auf diese kann sich die Klägerin berufen. Diese hat die Beklagte bis zu deren Aufhebung aus rechtsstaatlichen Gründen zu beachten, so wie daraus zu Recht ja auch schon die entsprechenden Folgerungen für den Kinderausweis gezogen worden sind.

2. Die Klägerin hat gem. § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung der ihr rechtswidrig vorenthaltenen Aufenthaltserlaubnis.

Ihr ist als Elternteil - Mutter - eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, da der Deutsche - ihr Sohn - seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Aufenthaltserlaubnis ist ihr abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 zu erteilen, also ohne Rücksicht darauf, ob ihr Lebensunterhalt iSv § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert ist. Auf Verdienstbescheinigungen oder den Bezug öffentlicher Mittel kommt es damit nicht an.

Dieser Anspruch besteht auch im Hinblick darauf, dass die Beklagte der Meinung ist, es liege hier ein Missbrauch der Vaterschaftsanerkennung vor. Insoweit ist auf den Beschluss der Kammer vom 5. März 2007 - 1 B 8/07 - zu verweisen (dort 3.1): Bis zum Beleg des Gegenteils hat der Sohn der Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Bis zum Beweis des Gegenteils sind somit daraus von der Beklagten auch die erforderlichen rechtlichen Konsequenzen für die Klägerin zu ziehen. Der Klägerin als Mutter eines deutschen Kindes ist mithin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zu erteilen.