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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 24.04.2008 - 11 LB 15/08 - asyl.net: M13499
https://www.asyl.net/rsdb/M13499
Leitsatz:

Auch wenn bei Berechtigten nach dem ARB 1/80 nur eine Ermessensausweisung zulässig ist, bedeutet dieses nicht, dass (nach den Vorl. Nds. VV- AufenthG Stand: 30.6.2007 Ziff. 11.1.5.1) nur eine Befristung auf vier Jahre möglich ist.

In Fällen, in denen eine Ausweisung generell nur noch im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgen darf, ist für die Bestimmung der Dauer der Befristung vielmehr auf den der Ausweisung zugrunde liegenden Sachverhalt abzustellen, dessen Gewicht in einem Vergleich mit den Tatbeständen der §§ 53, 54 oder 55 AufenthG zu ermitteln ist.

 

Schlagwörter: D (A), Wirkungen der Ausweisung, Sperrwirkung, Befristung, Ermessen, Erlasslage, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte, Arbeitnehmer, Scheinehe, Falschangaben
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 4; ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Auch wenn bei Berechtigten nach dem ARB 1/80 nur eine Ermessensausweisung zulässig ist, bedeutet dieses nicht, dass (nach den Vorl. Nds. VV- AufenthG Stand: 30.6.2007 Ziff. 11.1.5.1) nur eine Befristung auf vier Jahre möglich ist.

In Fällen, in denen eine Ausweisung generell nur noch im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgen darf, ist für die Bestimmung der Dauer der Befristung vielmehr auf den der Ausweisung zugrunde liegenden Sachverhalt abzustellen, dessen Gewicht in einem Vergleich mit den Tatbeständen der §§ 53, 54 oder 55 AufenthG zu ermitteln ist.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2005 ist ermessensfehlerfrei ergangen.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist § 11 Abs. 1 Sätze 3, 4 AufenthG. Danach werden die Wirkungen einer Ausweisung auf Antrag in der Regel befristet und beginnt die Frist mit der Ausreise. Einen entsprechenden Antrag hat der Kläger im August 2004 nach seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet gestellt.

Das Aufenthaltsgesetz regelt weder die Länge der Frist des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG noch legt es Kriterien fest, die bei der Ermessensentscheidung über den zeitlichen Umfang der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG zu berücksichtigen sind. Es ist aber allgemein anerkannt, dass für die Dauer der Sperrwirkung Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die auch für die Frage, ob ein Regelfall im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorliegt, heranzuziehen sind. Für die Dauer der Befristung ist die gesetzgeberische Wertung maßgebend, dass in der Regel der mit der Ausweisung verfolgte Zweck durch eine zeitlich begrenzte Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet erreicht werden kann. Für die Befristung ist daher maßgeblich, wann der durch die jeweilige Ausweisungsverfügung vorgegebene Ausweisungszweck erreicht sein wird. Bei dieser Prognose sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen des behördlichen Ermessens, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der Schutzwirkungen des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sachgerecht abzuwägen. Insbesondere sind die Umstände zu berücksichtigen, die zeitlich nach dem für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung maßgeblichen Zeitpunkt - das war hier noch der Erlass des Widerspruchsbescheides - eingetreten sind und die Fortdauer der Sperrwirkung als ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen erscheinen lassen (Hailbronner, AuslR, Stand: 2/2008, § 11 AufenthG Rn. 22). Maßgeblich für die Befristungsentscheidung kann zudem sein, ob der Ausweisung spezial- und/oder generalpräventive Zwecke zugrunde lagen. Bei einer generalpräventiv motivierten Ausweisung ist insbesondere darauf abzustellen, wann die Abschreckungswirkung verbraucht ist (Hailbronner, a.a.O., § 11 AufenthG Rn. 11). Bei einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung kann von Bedeutung sein, ob der Betroffene sich nach der Ausweisung straffrei verhalten hat und ob die begangene Straftat nach den Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes noch gegen den Betreffenden verwertet werden kann (vgl. Storr, Wenger, Eberle u. a., Zuwanderungsgesetz, 2. Aufl. 2008, § 11 AufenthG Rn. 6 u. 7; zur nur eingeschränkten Bedeutung der Tilgungsfrist bei Befristungen vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 15.6.1990 - 1 B 61/90 - InfAuslR 1990, 302). Eine typisierende Praxis der Bemessung der Fristdauer ist zulässig, soweit den Besonderheiten des Einzelfalles ausreichend Rechnung getragen wird (Hailbronner, a.a.O., § 11 Rn. 24).

Der Kläger kann auch nicht darauf verweisen, zumindest im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung (1993) habe er noch zu dem assoziationsberechtigten Personenkreis nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 gehört, die Ausweisung habe daher seinerzeit (unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Urt. v. 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.) nur als Ermessensentscheidung ergehen dürfen mit der Konsequenz, dass nach den Vorl. Nds. VV-AufenthG allenfalls eine Befristung auf vier Jahre möglich sei.

Zwar trifft es zu, dass nach der o.a. Rechtsprechung des BVerwG assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige lediglich aufgrund einer Ermessensausweisung ausgewiesen werden können und zwingende Ausweisungen oder Regelausweisungen gegen sie nicht (mehr) verfügt werden dürfen.

Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, bei Assoziationsberechtigten sei generell nur eine Befristung von vier Jahren rechtmäßig. Die in den o. a. Vorl. Nds. VV-AufenthG vorgenommene Stufung der Dauer der Befristung knüpft nur deswegen an die jeweilige Art der Ausweisungsentscheidung (zwingende Ausweisung, Regel-, Ermessensausweisung) an, weil sich nach der Systematik des nationalen deutschen Aufenthaltsrechts in den §§ 53, 54, 55 AufenthG bereits in der Art der Ausweisung die Schwere des der Ausweisung zugrunde liegenden Tatbestandes widerspiegelt. Dem Gewicht der jeweils verwirklichten Straftaten hat der Gesetzgeber also bereits durch die Abstufung der verschiedenen Ausweisungsarten Rechnung getragen. Dies rechtfertigt(e) es, die Höhe der Befristung in den Vorl. Nds. VV-AufenthG wesentlich an der Ausweisungsart auszurichten. Dieser Gesichtspunkt trifft aber in all jenen Fällen nicht (mehr) zu, in denen eine Ausweisung - unabhängig von dem Gewicht des zur Ausweisung führenden Tatbestandes - generell nur (noch) als Ermessensausweisung ergehen darf, wie z.B. gegenüber Unionsbürgern oder Assoziationsberechtigten nach dem ARB 1/80; denn in diesen Fällen lässt die allein noch zulässige Ausweisungsart (Ermessen) keinen Rückschluss mehr auf die Schwere des zur Ausweisung führenden Sachverhalts zu. In Fällen, in denen eine Ausweisung generell nur noch im Wege eines Ermessens erfolgen darf, ist daher für die Bestimmung der Dauer der Befristung auf den der Ausweisung zugrunde liegenden Sachverhalt abzustellen, dessen Gewicht in einem Vergleich mit den Tatbeständen der §§ 53, 54 oder 55 AufenthG zu ermitteln ist. Entsprechend bestimmen die Vorl. Nds. VV-AufenthG, dass der (zur bloßen Ermessensausweisung führende) Ausweisungsschutz nach ARB 1/80 bei der Bemessung der Frist unberücksichtigt zu bleiben hat.

d) Soweit der Kläger sinngemäß geltend machen will, dass die Zugehörigkeit zu dem vom ARB 1/80 erfassten Personenkreis generell zu Gunsten des Betreffenden in die Ermessenserwägungen hinsichtlich der Dauer der Befristung einzustellen sei, führt dieser Vortrag im vorliegenden Verfahren schon deswegen nicht weiter, weil der Kläger während seines Aufenthalts im Bundesgebiet keine Rechtsposition nach dem ARB 1/80 erlangt hat.

Eine Stellung als Assoziationsberechtigter nach Art. 6 ARB 1/80 hat der Kläger in jener Zeit nämlich schon deswegen nicht erlangen können, weil es an einem ordnungsgemäßen Aufenthalt fehlte. Die ihm erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnisse begründeten keinen ordnungsgemäßen Aufenthalt, weil er sie durch eine Täuschung erlangt hatte. Die Aufenthaltserlaubnisse waren ihm wegen seiner Heirat mit der deutschen Staatsangehörigen B. erteilt worden. Nach Auswertung der Verwaltungsvorgänge hatte es sich jedoch um eine Scheinehe gehandelt.