VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 05.01.2008 - 10 K 1266/06 - asyl.net: M13501
https://www.asyl.net/rsdb/M13501
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Familienzusammenführung, deutsche Kinder, Eltern, Niederlassungserlaubnis, Minderjährige, Volljährigkeit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; AufenthG § 28 Abs. 2 S. 1; AufenthG § 28 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 2 Abs. 3
Auszüge:

Der Antrag ist auch begründet. Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse der Antragstellerin daran, während der Dauer des Widerspruchsverfahrens und des sich evtl. anschließenden Klageverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland bleiben zu dürfen und dem öffentlichen Interesse daran, dass die Antragstellerin die Bundesrepublik Deutschland bereits vor Abschluss des Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens verlässt. Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist offen, ob sie einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hat.

Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist dem Ausländer in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsgrund vorliegt und er sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht (Satz 2).

Nach wohl überwiegender Ansicht gelten für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG; insbesondere muss gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Lebensunterhalt gesichert sein (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 25.04.2006 - 11 K 1392/05 - juris; VG Stuttgart, Urt. v. 24.05.2006 - 12 K 1834/06 - juris m.w.N.; Zeitler, HTK-AuslR/§ 28/zu Abs. 2/04/2005 Nr. 1.3). Demgegenüber erfolgt die Verlängerung einer nach § 28 Abs. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis unter den gleichen Voraussetzungen wie die erstmalige Erteilung (vgl. § 8 Abs. 1 AufenthG, Zeitler, HTK-AuslR/ § 28 AufenthG/zu Abs. 2 07/2006 Nr.2.2). Danach kann die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach der Lebensunterhalt gesichert sein muss, erteilt werden (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

Allerdings spricht vieles dafür, dass der Lebensunterhalt der Antragstellerin im Sinne des § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert ist.

Diese Frage kann aber dahinstehen, weil - wie ausgeführt - die Sicherung des Lebensunterhalts für die zunächst beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 28 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht Voraussetzung sein dürfte. Im Hinblick auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist daher allein maßgeblich, ob die familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet fortbesteht. Dabei ist fraglich, ob für eine Verlängerung nach § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG das Fortbestehen der familiären Gemeinschaft als solche ausreicht oder ob der Deutsche nach wie vor minderjährig sein muss. Für die Auffassung der Ausländerbehörde, wonach das Fortbestehen der Personensorge Verlängerungsvoraussetzung ist, spricht die Zweckgebundenheit und Akzessorietät der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit entfällt der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, einem ausländischen Elternteil die Ausübung der Personensorge im Bundesgebiet zu erleichtern. Außerdem gelten nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen wie für die erstmalige Erteilung (§ 8 Abs. 1 AufenthG; vgl. auch Zeitler in HTK-AuslR, a.a.O. Ziff.2.2). Andererseits spricht der Wortlaut des Gesetzes in § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur von "familiärer Lebensgemeinschaft", ohne weiterhin auf die Minderjährigkeit Bezug zu nehmen. Darüber hinaus endet die ursprüngliche Bindung an den Aufenthaltszweck des § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG in verhältnismäßig kurzer Zeit, weil dem Ausländer in der Regel nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen ist. Ist die Niederlassungserlaubnis erteilt, erlischt die Akzessorietät des Aufenthaltsrechts (vgl. Marx in GK-AufenthG, Stand: Dezember 2005, § 28 Rd.Nr. 59). Zwar weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass im Falle des Zuzugs eines Elternteils zu einem minderjährigen ledigen Deutschen kein eigenständiges Aufenthaltsrecht im Gesetz vorgesehen ist - anders als bei Ehegatten und nachgezogenen Kindern nach § 28 Abs. 3 i.V.m. §§ 31, 35 AufenthG. Auch für diesen Personenkreis entsteht jedoch ein Regelanspruch auf ein eigenständiges und unbefristetes Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Ist die Niederlassungserlaubnis erteilt, ist das Erreichen der Volljährigkeit eines Kindes unerheblich. Im Schrifttum wird daher die Auffassung vertreten, dass grundsätzlich ein Verlängerungsanspruch nach § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG besteht, auch wenn das Kind inzwischen volljährig geworden ist, sofern die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht. Voraussetzung hierfür sei auch nicht das Vorliegen besonderer individueller Defizite wie etwa Pflegebedürftigkeit; vielmehr sei entscheidend in Rechnung zu stellen, dass die familiäre Lebensgemeinschaft zu einem Zeitpunkt begründet wurde, in dem das Kind wegen seiner Minderjährigkeit besonders schutzbedürftig gewesen sei und der erzieherische und betreuerische Beitrag des ausländischen Elternteils nach Erreichung der Volljährigkeit nicht vollständig in den Hintergrund getreten sei (vgl. Marx in GK-AufenthG, Stand: Dezember 2005, § 28 Rd.Nr. 141 unter Hinweis auf VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.07.2002 - 13 S 673/02 -, NVwZ-RR 2003, 4; anders allerdings die gleiche Kommentierung in Rdnr. 59). So liegt es hier. Die Antragstellerin lebt unstrittig mit ihrem deutschen Sohn zusammen. Es ist auch ohne weiteres davon auszugehen, dass sie bei einem achtzehnjährigen Schüler noch Erziehungs- und Betreuungsaufgaben wahrnimmt.

Nach alledem erscheint es offen, ob der Antragstellerin ein Verlängerungsanspruch nach § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zusteht. Ist die Erfolgssaussicht der Hauptsache aber als offen zu bewerten, fällt die Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen zugunsten der Antragstellerin aus. Besteht der Verlängerungsanspruch nicht, durfte die Antragstellerin zwar zu Unrecht bis zum bestands- bzw. rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens im Bundesgebiet bleiben. Dies wiegt jedoch weniger schwer als ein eventueller Eingriff in das Schutzgebot des Artikel 6 Abs. 1 GG/Artikel 8 EMRK, wenn auch das Fortbestehen einer familiären Gemeinschaft mit einem volljährigen gewordenen ledigen Deutschen einen Verlängerungsanspruch begründet.