SG Berlin

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Zitieren als:
SG Berlin, Urteil vom 24.10.2007 - S 62 EG 10/06 - asyl.net: M13510
https://www.asyl.net/rsdb/M13510
Leitsatz:

Für die Gewährung von Erziehungsgeld genügt es, wenn der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besitzt, jedenfalls wenn ihm die Aufenthaltserlaubnis später tatsächlich erteilt wird.

 

Schlagwörter: D (A), Erziehungsgeld, Aufenthaltserlaubnis, Anspruch, Familiennachzug, deutsche Kinder, Eltern
Normen: BErzGG § 1 Abs. 6; GG Art. 3 Abs. 1; AufenthG § 28 Abs. 1
Auszüge:

Für die Gewährung von Erziehungsgeld genügt es, wenn der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besitzt, jedenfalls wenn ihm die Aufenthaltserlaubnis später tatsächlich erteilt wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet.

Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Erziehungsgeld der Klägerin ist bereits § 1 Abs. 6 BErzGG in der Fassung des Gesetzes durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz vom 31. Dezember 2005 (BGBl. I S 3852). Nach Nachsatz 2 Ziff. 4 des Gesetzes ist danach eine Ausländerin, die wie die Klägerin aus dem Libanon stammt, anspruchsberechtigt, wenn sie unter anderem im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem Deutschen oder zu einer von der Nr. 1 - 3 erfassten Person ist. Zu den häufig geänderten Vorgängervorschriften hat das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden, wie der Beklagte zu Recht ausgeführt hat, dass der Anspruch auf Erziehungsgeld voraussetzt, dass ein Ausländer "im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis" ist, wenn das Aufenthaltsrecht durch die Ausländerbehörde bereits zu Beginn des Leistungszeitraums förmlich festgestellt ist - nur beispielhaft BSG im SozR 3 - 7833 § 1 Nr. 18 -.

Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zur Überzeugung der Kammer in der Zwischenzeit und für die anzuwendende Vorschrift nicht mehr aufrecht zu erhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich hinsichtlich der Erziehungsgeldgewährung in den Jahren 1994 und 1995 nach den Bestimmungen des § 1 Abs. 1 a BErzGG in der Fassung des ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG vom 21. Dezember 1993) entschieden, dass diese Vorschrift mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar sei - Beschluss des Bundesverfassungsgerichts a.a.O. -.

Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, die verfassungswidrigen Norm durch eine Neuregelung auch von noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren bis zum 1. Januar 2006 zu ersetzen. Die Nichtgewährung von Erziehungsgeld an Ausländer, die keine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung, sondern beispielsweise nur eine Aufenthaltsbefugnis haben, ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig. Und zwar hat das Bundesverfassungsgericht auch ausdrücklich klargestellt, dass diese Erklärung lediglich für das Gesetz in der Fassung vom, 23. Juni1993 Gültigkeit hat - C.1. 2. a.a.O. -.

Gleichwohl wirkt diese Entscheidung auf die anzuwendende Vorschrift zur Überzeugung der Kammer dahingehend, dass im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr länger an einer einschränkenden grammatikalischen Auslegung des Tatbestands des § 1 Abs. 6 BErzGG in der hier maßgebenden Fassung festgehalten werden kam.

Bei verfassungskonformer Auslegung ist rechtlich vertretbar und geboten, die materielle Berechtigung einer Ausländerin zum Aufenthalt in Deutschland als Begründung eines Anspruchs auf Erziehungsgeld ausreichend anzusehen, zumindest in den Fällen, in denen der Aufenthaltstitel - wie hier - nach § 28 Abs. 1 Ziff. 3 des Aufenthaltsgesetzes nachträglich erteilt wurde.

Danach ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen, ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Kammer schließt sich der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg an - PKH-Beschluss vom 22. März 2005 - 851/05 -. Diese verfassungskonforme Auslegung drängt sich auch deshalb auf, weil nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Europäisch-Türkischen Assoziationsrecht ein materieller Begriff der Aufenthaltsberechtigung gilt. Verzögerungen bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sollen einem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen - EuGHE 1992, 6781, zitiert, nach BSG, Sozr 4, - 1300 § 48 SGB X Nr. 8 Randnummer 42 -. Den materiellen Begriff der Aufenthaltsberechtigung auch hier anzunehmen, gebietet sich jedenfalls bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Ziff. 3 des Aufenthaltsgesetzes.