VG Neustadt a.d.W.

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Zitieren als:
VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 27.03.2008 - 2 K 1329/07.NW - asyl.net: M13512
https://www.asyl.net/rsdb/M13512
Leitsatz:

Noch keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in Togo.

 

Schlagwörter: Togo, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, politische Entwicklung, Reformen, Oppositionelle, Menschenrechtslage, Änderung der Sachlage
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Noch keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in Togo.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der auf § 73 Abs. 1 AsylVfG gestützte Widerrufsbescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weshalb er aufzuheben war.

Für das vorliegende Verfahren ist davon auszugehen, dass der Kläger seinerzeit in Togo gesucht worden ist und nur durch Zufall hat entkommen können; zudem hat bei ihm daheim eine Durchsuchung stattgefunden. Es ist mithin – was sich auch aus dem anerkennenden Bescheid vom 27. Juli 2001 ergibt – von einer Vorverfolgung auszugehen. Voraussetzung für den Widerruf gemäß § 73 AsylVfG ist mithin die Feststellung, dass eine erneute Verfolgung des Klägers im Falle seiner Rückkehr nach Togo mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Dies vermag das Gericht derzeit nicht festzustellen. Zwar liegt hinsichtlich der Republik Togo eine positive Entwicklung vor, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. So haben zwischenzeitlich (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Togo des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2008) am 14. Oktober 2007 Parlamentswahlen stattgefunden, welche friedlich verlaufen sind. Im Lagebericht heißt es hierzu, dass diese Wahlen unter reger Beteiligung internationaler Beobachter durchgeführt worden seien und trotz organisatorischer Mängel international anerkannt worden seien. Die Präsidentenpartei RPT habe die absolute Mehrheit errungen, im Parlament seien darüber hinaus nur noch UFC und CAR vertreten. Eine Regierungsneubildung sei noch nicht erfolgt. Die bisherigen Reformschritte hätten die Anerkennung aller unabhängigen Beobachter gefunden. Gezielte Übergriffe staatlicher Organe und regierungsnaher sonstiger Gruppen gegen Oppositionelle seien mit dem Beginn des "nationalen Dialogs" nicht mehr gemeldet worden. Oppositionsparteien, Medien, Gruppierungen der Zivilgesellschaft sowie Kirchen könnten frei agieren.

Aus dem aktuellen Lagebericht ergibt sich weiter, dass Togo bis zum Tod des Präsidenten Eyadema im Jahr 2005 38 Jahre unter dessen faktischer Alleinherrschaft gestanden hat. Deshalb hätten sich demokratische Strukturen und Institutionen nur ansatzweise entwickeln können. Es bestehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen geltenden Rechtsnormen und ihrer Umsetzung. Auch die Nachfolge Eyademas habe sich undemokratisch gestaltet: Das Militär habe dessen Sohn Faure Gnassingbe verfassungswidrig als Präsidenten eingesetzt. Die Präsidentschaftswahlen vom April 2005 seien so unregelmäßig verlaufen, dass sie von den Wahlbeobachtern nicht anerkannt worden seien. Dies habe zur weiteren politischen und wirtschaftlichen Isolation Togos geführt. Die nach den Präsidentschaftswahlen im April 2005 ausgebrochenen Unruhen seien vom Militär und von der Polizei massiv unterdrückt worden. Eine große Zahl von Togoern sei in die Nachbarstaaten Ghana und Benin geflohen. Zwischenzeitlich habe Präsident Faure Gnassingbe im Frühjahr 2006 mit allen Parteien einen "nationalen Dialog" begonnen. Dieser Dialog baue auf den sogenannten "22 Verpflichtungen" vom November 2004 auf, die Togo gegenüber der EU eingegangen sei und die auf Herstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse abzielten. Überwiegend seien die "22 Verpflichtungen" bereits umgesetzt: So agierten mittlerweile alle Oppositionsparteien frei, die Printmedien befassten sich unbehelligt mit allen politischen Fragen, auch der Person des Präsidenten. Gezielte Übergriffe gegen Oppositionspolitiker und Journalisten seien 2006 und 2007 nicht bekannt geworden. Nachdem der "nationale Dialog" ins Stocken geraten sei, sei im August 2006 der burkinische Präsident Compaore als Vermittler ernannt worden. Seine Bemühungen hätten den Abschluss des "Accord Politique Global" (APG) am 20. August 2006 ermöglicht, einer von allen politischen Parteien Togos indossierten Vereinbarung, die auf die Herstellung des Rechtsstaats in Togo, die Neubildung der Regierung und die Durchführung international anerkannter Wahlen zum Parlament im Jahr 2007 abgezielt habe. Am 20. September 2006 sei die neue Regierung unter Führung des Oppositionspolitikers Agboyibo vom CAR, eines ausgewiesenen Menschenrechtsexperten, gebildet worden. CAR sei neben der UFC die wichtigste Oppositionspartei. Die UFC habe eine Regierungsbeteiligung abgelehnt, da ihr nicht ausreichend Schlüsselministerien angeboten worden seien. Sie habe jedoch im Rahmen des politischen Dialogs weiter an der Demokratisierung, insbesondere der Vorbereitung der Parlamentswahlen, mitgewirkt. Diese Reformschritte hätten die Anerkennung aller politischen Beobachter in Togo gefunden, nicht zuletzt verschiedener Missionen der EU-Kommission und EU-Präsidentschaft.

Weiter heißt es in dem aktuellen Lagebericht aber auch, dass alle Institutionen und Organe des Staates schwach seien. Sie seien unter der Diktatur Eyademas verkümmert. Togo habe von Frankreich das Rechts- und Gerichtsverfassungssystem übernommen; die Gerichte seien nach der Verfassung unabhängig. In der Vergangenheit sei allerdings bei Verfahren mit politischem Hintergrund massiver Druck auf die Justiz ausgeübt worden. Neben der Polizei, die dem Sicherheitsministerium unterstellt sei, übe auch die Gendarmerie unter der Verantwortung des Verteidigungsministeriums Polizeifunktionen aus. Polizei und Gendarmerie mangele es hinsichtlich ihrer Aufgaben weniger an gesetzlichen Vorschriften, sondern vielmehr an einer fundierten, die Menschenrechte respektierenden Ausbildung.

Zusammenfassend heißt es in dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes, dass die Institutionen des Staates (Justiz, Ordnungskräfte, Militär) wie auch die politischen Parteien schwach und demokratisch unerfahren seien, so dass von einer Konsolidierung Togos noch keine Rede sein könne.

Bei dieser Sachlage vermag das Gericht aber derzeit nicht festzustellen, dass eine erneute Verfolgung des Klägers im Falle seiner Rückkehr nach Togo mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Für die Annahme einer hinreichenden Verfolgungssicherheit wird es daher erforderlich sein, den Demokratisierungsprozess in Togo noch über einen gewissen Zeitraum zu beobachten (so auch VG Osnabrück, Urteil vom 20. November 2007 – 5 A 209/07 –).