VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 15.05.2008 - AN 14 K 06.30561 - asyl.net: M13551
https://www.asyl.net/rsdb/M13551
Leitsatz:
Schlagwörter: Aserbaidschan, Armenier, Glaubwürdigkeit, Übergriffe, Inhaftierung, falsche Verdächtigung, Sprachgutachten, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, Krankheit, medizinische Versorgung, Verweigerung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 27 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3
Auszüge:

Der Kläger hat im Sinne des § 3 Abs. 4 AsylVfG einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylVfG ersichtlich nicht vorliegen und im Sinne des § 3 Abs. 4 AsylVfG keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt.

Der Kläger war vor seiner Einreise in das Bundesgebiet nicht im Sinne von § 27 AsylVfG in Georgien vor Verfolgung sicher. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 27 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG deshalb nicht vor, weil der Aufenthalt des Klägers in ... – wie ihm geglaubt werden kann – lediglich vom 16. Dezember 2005 bis zum 8. März 2006, also kürzer als drei Monate, gedauert hat, so dass nicht vermutet werden kann, der Kläger sei in ... vor politischer Verfolgung sicher gewesen.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass es sich bei dem Kläger um einen aserbaidschanischen Staatsangehörigen armenischer Volkszugehörigkeit handelt, der wegen seiner Volkszugehörigkeit in Aserbaidschan Verletzungen seiner Freiheit hat hinnehmen müssen, und dass ihm dies bei gegenwärtiger Rückkehr nach Aserbaidschan erneut drohen würde. Unzweifelhaft ist der Kläger armenischer Volkszugehöriger. Das Gericht geht ebenso davon aus, dass es sich bei dem Kläger um einen armenischen Volkszugehörigen handelt, der aus Aserbaidschan stammt und auch dessen Staatsangehörigkeit besitzt. Dies ergibt sich entgegen dem Sprachgutachten – dessen Schlussfolgerung insoweit nach Überzeugung des Gerichts falsch ist – daraus, dass der Kläger – wie die Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung wenn auch mit Vorsicht ausgesagt hat – einen ländlichen armenischen Dialekt spricht, sowie insbesondere aus der vorgelegten Geburtsurkunde, welche nach der eigens eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. Januar 2008 echt ist. Des Weiteren sprechen dafür, dass der Kläger aus der Region, wie von ihm angegeben, stammt, die Ausführungen in der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. Januar 2008 zu Buchstabe b, wonach die Angaben des Klägers zu seinem persönlichen Umfeld weitestgehend bestätigt wurden.

Demzufolge geht das Gericht davon aus, dass die Inhaftierung des Klägers und die weiteren ihm gegenüber vorgenommenen Maßnahmen, insbesondere die mit einem Einbruch verbundene Durchsuchung seines Hauses, die ihm unberechtigterweise gemachten Vorwürfe wegen Erwerbs von armenischen Sachen und der Versuch, ihm als Armenier gegenüber geldwerte Vorteile für Amtsinhaber herauszuschlagen, auf seine Volkszugehörigkeit, nämlich seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Armenier, gezielt waren; hierfür sprechen auch die – glaubhaften – Angaben des Klägers, dass im Zusammenhang mit der Straße ... gegenüber seinen Nachbarn, welche aserbaidschanische Volkszugehörige waren, Zahlungen für Grundabtretungen nicht hinausgezögert, sondern sofort geleistet wurden. Demzufolge liegen im Hinblick auf den Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufentG vor, was bedeutet, dass er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist und dies zu der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 4 AsylVfG zu führen hat. Dementsprechend war die Beklagte – im Sinne der nunmehr geltenden Fassung des Asylverfahrensgesetzes – zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Angezeigt war ebenfalls die Aufhebung der Nr. 3 des angefochtenen Bescheides vom 23. Mai 2006, weil – würde eine ausdrückliche Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht deswegen entfallen, weil der diesbezügliche Antrag des Klägers lediglich als hilfsweise gestellt anzusehen ist – ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits deshalb zu bejahen wäre, weil der Kläger nicht nur wegen der ihm gegenüber ergangenen und seine Menschenwürde beeinträchtigenden Verhaltensweisen von Amtswaltern des aserbaidschanischen Staates im Zusammenhang mit der Entschädigung für abgetretene Grundstücke einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt war, sondern auch im Zusammenhang mit seinen Erkrankungen – welche durch entsprechende ärztliche Bescheinigungen nachgewiesen sind – zu befürchten wäre, dass ihm als armenischen Volkszugehörigen in Aserbaidschan die erforderliche Krankheitsbehandlung verweigert werden würde (vgl. BayVGH, U.v. 6. März 2006 – 9 B 04.30077, S. 10; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Mai 2007, S. 17/18). Die vom Kläger durch ärztliche Bescheinigungen nachgewiesenen Erkrankungen, die in tatsächlicher Hinsicht von der Beklagten nicht bestritten wurden, erfordern lebenslange Medikation und ärztliche Überwachung (vgl. die in der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2008 zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Informationsblätter), was ihm als armenischem Volkszugehörigen in Aserbaidschan verweigert werden würde. Dies würde ebenfalls eine erniedrigende Behandlung i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK darstellen.