VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 30.04.2008 - AN 14 K 06.31063 - asyl.net: M13568
https://www.asyl.net/rsdb/M13568
Leitsatz:
Schlagwörter: Vietnam, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Folter, Vorladung, Strafverfahren, menschenrechtswidrige Behandlung, Anerkennungsrichtlinie, Verfolgungshandlung, Kumulierung, Europäische Menschenrechtskonvention, Schutz von Ehe und Familie, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Zuständigkeit, Prüfungskompetenz, Bundesamt
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 3; RL 2004/83/EG Art. 9; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 8; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. b
Auszüge:

Dem Vorbringen des Klägers im Klageverfahren ist nichts dafür zu entnehmen, dass er vom Vorliegen eines Abschiebungsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 3 bzw. Abs. 4 AufenthG ausgeht.

Ein Abschiebeverbot im Sinne des § 60 Abs. 2 AufenthG liegt nicht vor, da nicht ersichtlich ist, dass für den Kläger bei Rückkehr nach Vietnam eine konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung unterworfen zu werden. Dafür lässt sich jedenfalls weder aus dem Vorbringen des Klägers noch aus seiner Behandlung in Vietnam zwischen seiner Abschiebung nach Vietnam im Jahre 2001 und der Wiederausreise aus Vietnam im Jahre 2006 etwas herleiten. Nach seinen Angaben ist er in Vietnam in diesem Zeitraum von der Polizei vielfach vorgeladen worden, wobei er jeweils für ca. 30 bis 45 Minuten befragt worden sei, ohne dass er eingesperrt worden sei oder dass man ihm gegenüber Gewalt ausgeübt habe. Ihm sei für den Fall, dass er keine wahrheitsgetreuen Angaben mache, Bestrafung angedroht, aber nicht ihm gegenüber verhängt worden. Damit sind jedenfalls insoweit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG nicht erfüllt; welche Art von Bestrafung dem Kläger angedroht wurde, ist konkret nicht greifbar dargelegt. Die allgemeine Gefahr jedenfalls, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Vietnam Strafverfolgung und Bestrafung drohen könnten, begründet gemäß § 60 Abs. 6 AufenthG kein Abschiebeverbot.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Vietnam die konkrete Gefahr unmenschlicher und erniedrigender Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 3 AufenthG dadurch droht, dass er – was unterstellt werden kann – erneut des öfteren zur Polizei vorgeladen und dort befragt werden wird. Befragungen als solche stellen keine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar, insbesondere wenn sie – wofür die Behandlung des Klägers nach seiner Abschiebung im Jahre 2001 spricht – ohne Gewaltanwendung ablaufen und keine Freiheitsentziehung dabei stattfindet. Soweit der Kläger in dem Schriftsatz vom 16. Oktober 2007 ausführt, dass wiederholte Festnahmen, auch wenn sie nicht schwerwiegender Natur seien, ein Abschiebungsverbot begründen könnten, ist dem – abgesehen davon, dass der Kläger nach seinem Vorbringen beim Bundesamt in der Zeit zwischen seiner Abschiebung nach Vietnam im Jahre 2001 und der Wiederausreise aus Vietnam im Jahre 2006 keine Festnahme oder Gewaltanwendungen hinnehmen musste – entgegen zu halten, dass (auch) eine auf eine Reihe von Jahren verteilte Vielzahl von polizeilichen Vorladungen von 30 bis 45 Minuten Länge – ohne Festnahmen und ohne Gewaltanwendung – keine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG ist, da diese in ihrer Gesamtheit keine gravierenden Handlungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) RL 2004/83/EG darstellen (sofern auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts– und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 – BGBl I S. 1970 – davon auszugehen wäre, dass die RL 2004/83/EG weiterhin oder ergänzend unmittelbar anzuwenden wäre). Somit wäre – unter der letztgenannten Prämisse – auch davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des vom Kläger im Schriftsatz vom 16. Oktober 2007 angesprochenen subsidiären Schutzes nicht vorliegen, da dem Kläger bei Rückkehr nach Vietnam ernsthafter Schaden im Sinne des – insoweit alleine in Frage kommenden – Art. 15 Buchst. b) RL 2004/83/EG nicht in nachvollziehbarer Weise droht. Dem ist weiterhin zu entnehmen, dass zugunsten des Klägers auch nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, da ihm bei Rückkehr nach Vietnam eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit nicht droht.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK deswegen vorliegt, weil der Kläger bei Abschiebung nach Vietnam von seiner hier in Deutschland lebenden Familie – bestehend aus seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind, die offenbar ein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben – getrennt würde. Bei einer derartigen Fallgestaltung handelte es sich um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, welches das Vollstreckungsverfahren betreffen würde und für das sich die Zuständigkeit der Ausländerbehörde ergibt, und nicht um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, für dessen Feststellung nur das Bundesamt zuständig ist (vgl. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 19. Februar 2003 – 2 LA 5/02, juris-RdNr. 6, mit Hinweisen auf Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. September 1999 – 9 C 12.99). An dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 nichts geändert, wie sich dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 – 10 C 8.07 entnehmen lässt; in dieser Entscheidung bezeichnet das Bundesverwaltungsgericht die in § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbote ausdrücklich als "zielstaatsbezogen" (juris-RdNr. 20). In diesem Sinne ist dann sowohl die dem Bundesamt vom Gesetzgeber gemäß § 24 Abs. 2 AsylVfG übertragene Aufgabe, über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 7 AufenthG zu entscheiden, als auch die Vorschrift über die Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesamtes (§ 42 AsylVfG) zu verstehen, nämlich dahingehend, dass die Reichweite sowohl der Entscheidung des Bundesamtes als auch ihrer Bindungswirkung sich auf die Abschiebungsverbote ausschließlich soweit erstreckt, soweit sie zielstaatsbezogen sind.