VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 17.04.2008 - 2 V 28.06 - asyl.net: M13588
https://www.asyl.net/rsdb/M13588
Leitsatz:

Die Einführung des § 27 Abs. 1 a AufenthG hat nicht zu einer Änderung der Beweislast für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft geführt.

 

Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Scheinehe, eheliche Lebensgemeinschaft, Beweislast
Normen: AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 1; AufenthG § 28 Abs. 1
Auszüge:

Die Einführung des § 27 Abs. 1 a AufenthG hat nicht zu einer Änderung der Beweislast für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft geführt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist unbegründet, weil die Versagung rechtmäßig ist (§ 113 Abs. 5 VwGO). Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums noch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu.

1. a. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt. Nach § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gilt das auch für die Erteilung des hier streitigen Visums für einen längerfristigen Aufenthalt. Der Familiennachzug, der damit definiert ist, setzt nach dieser Norm den beiderseitigen Willen zur Herstellung und Wahrung der (hier:) ehelichen Lebensgemeinschaft voraus. Da sich aus diesem Willen eine dem Ausländer günstige Rechtsfolge (Erteilung eines Aufenthaltstitels) ableiten lässt, hatte er nach dem Grundsatz der Feststellungs- bzw. Beweislastverteilung die Feststellungs- bzw. Beweislast zu tragen. Ließ sich der Herstellungswille durch das zur Amtsermittlung verpflichtete Gericht nicht feststellen, wozu es nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Überzeugung des Gerichts bedarf, dann war die Klage abzuweisen, auch wenn nicht feststand, dass der Herstellungswille nicht bestand. Die Ungewissheit über den Herstellungswillen ging zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers.

b. Die Einfügung von § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG hat die Frage aufgeworfen, ob sich diese Feststellungs- bzw. Beweislastverteilung in der Weise geändert hat, dass die Ungewissheit über den Herstellungswillen die Visumserteilung nicht hindert, sondern erst die Überzeugung, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Die Kammer verneint die Frage.

Die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug hängt von einer Reihe von Voraussetzungen ab. Fehlt auch nur eine davon, wird das Visum versagt. Das versteht sich im deutschen Recht von selbst und bedarf keiner Regelung eines besonderen Versagungsgrunds der fehlenden Voraussetzungen (vgl. aber Art. 16 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie). Nach dem eingangs genannten (ebenfalls nicht ausdrücklich gesetzlich normierten) Feststellungs- bzw. Beweislastgrundsatz fehlen Voraussetzungen schon dann, wenn die für diese Voraussetzungen nötigen tatsächlichen Umstände nicht (zur Überzeugung des Gerichts) festgestellt werden können. Für den Ehegattennachzug etwa bedarf es der Feststellung einer wirksamen Eheschließung. Misslingt die Feststellung (wie zuweilen in Fällen aus Ghana, Pakistan oder Indien), wird das Visum abgelehnt. Auch nach der Richtlinie 2003/86/EG bedarf es eines Familienlebens (vgl. Erwägungen 4 und 6 eingangs der Richtlinie), einer Familiengemeinschaft (Art. 2 Buchstabe d) oder eines Nachweises des Bestehens familiärer Bindungen (Art. 5 Abs. 2 Unterabsätze 1 und 2). Ohne ein Familienleben, eine Familiengemeinschaft gibt es keine Familienzusammenführung und kein Visum dafür. Zu diesen Voraussetzungen verhält sich § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nicht; er sagt nichts über einen aktuellen Herstellungswillen. Er knüpft nur an Verhältnisse im Zeitpunkt der Eheschließung an (mag einem das auch widersinnig erscheinen, vgl. Oestmann, InfAuslR 2008, 17 [21]). Anderenfalls regelte die Norm die Selbstverständlichkeit, dass ein Familiennachzug nicht zugelassen wird, wenn er nicht stattfinden soll.

Die Begründung des Gesetzentwurfs (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/5065, Seite 170 zu Nr. 19 Buchstabe a) versteht das Gericht eher als Argument für die hier vertretene Auffassung, denn als Gegenargument (so aber Urteil der 1. Kammer vom 12. Dezember 2007, Abdruck Seite 6). Die Entwurfsverfasser meinten, mit der von ihnen entworfenen und dann Gesetz gewordenen Regelung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG entfalle der Anreiz, Zweckehen zu schließen. Bei dem hier abgelehnten Verständnis der Norm (Beweislaständerung) bewirkte sie aber das Gegenteil; der Anreiz stiege. Denn während sich nach bisherigem Verständnis der Aufwand von Zweckehepartnern vor allem auf die Vorspiegelung eines aktuellen (beiderseitigen) Herstellungswillens richtete, genügte es nun, der Zweckehefeststellung zu widerstehen, was insbesondere bei den wohl häufig vorkommenden einseitigen Zweckehen, an deren Schließung der Standesbeamte seine Mitwirkung nicht verweigern darf (§§ 1310 Abs. 1 Satz 2, 1314 Abs. 2 Nr. 5, 1353 Abs. 1 BGB), leicht getan ist, weil einer der beiden die Ehe gerade nicht ausschließlich zu dem Zweck geschlossen hat, dem Nachziehenden Einreise und Aufenthalt zu ermöglichen, sondern sich ein wirkliches Eheleben gemäß § 1353 Abs. 1 BGB verspricht. Die von der 1. Kammer unterstrichenen Sätze sagen nichts über das Zusammenspiel von § 27 Abs. 1 und Abs. 1a AufenthG, sondern nur etwas über § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG und Art. 16 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie. Dass diese Richtlinie es gebietet, Aufenthaltstitel auch bei Zweifeln an der Absicht zur Familienzusammenführung zu erteilen, steht da nicht.

Zu diesen Erwägungen tritt eine weitere. Auch wenn der Gesetzgeber üblicherweise das Wort "Beweislast" nicht verwendet und insbesondere in seinen Materialien dieses Wort nicht auftaucht, man also aus dem Fehlen dieses Wortes in den hier einschlägigen Materialien nichts schließen kann, hält es das Gericht für ausgeschlossen, dem Gesetzgeber einen solch weitreichenden Regelungswillen zuzuschreiben. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Zweckehen wären (auch) diese gar gefördert. Ob das hier abgelehnte Verständnis europarechtlich durch die Richtlinie gefordert ist, diese also einerseits Zweifel an der Erfüllung der in ihr festgelegten Bedingungen für eine Ablehnung der Familienzusammenführung nicht ausreichen lässt (vgl. Art. 16 Abs. 1 Buchstabe a) und anderseits eine vertiefte Prüfung der Erfüllung der festgelegten Bedingungen durch die Behörden ausschließt (vgl. Art. 16 Abs. 4), ist hier nicht zu erörtern.