VG Düsseldorf

Merkliste
Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 08.04.2008 - 26 K 2176/08.A - asyl.net: M13615
https://www.asyl.net/rsdb/M13615
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, politische Entwicklung, Reformen, Menschenrechtslage
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage ist begründet.

Nach der gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 2. Hs. AsylVfG maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt dieser Entscheidung sind die durch § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG vorgegebenen Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht gegeben. Der Kläger hat die Türkei nach den Feststellungen in dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes vom 04. Mai 1999 wegen erlittenen und als politische Verfolgung anzusehenden staatlichen Maßnahmen verlassen und hat diese danach auch im Falle einer Rückkehr in die Türkei erneut zu befürchten mit der Folge, dass ihm eine Rückkehr in die Türkei nicht zuzumuten ist. Diese Voraussetzungen liegen weiterhin vor. Denn der Kläger kann im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein. Die erforderliche hinreichende Verfolgungssicherheit folgt insbesondere nicht aus den in dem angegriffenen Bescheid angeführten zahlreichen in der Türkei in den letzten Jahren durchgeführten Reformen und die dadurch sicherlich gegebene deutliche Verbesserung der allgemeinen Menschenrechtslage. Denn die türkische Reformpolitik hat bislang nicht dazu geführt, dass asylrelevante staatliche Übergriffe in der Türkei nicht mehr vorkommen. Selbst nach dem neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober 2007 hat der Mentalitätswandel in der Türkei noch nicht alle Teile der Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst und ist es noch nicht gelungen, Folter und Misshandlungen vollständig zu unterbinden, wobei eine der Hauptursachen für deren Fortbestehen in der nicht ausreichend effizienten Strafverfolgung liegt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober 2007, S. 28-31).

Auch hat zum Beispiel das Schweizerische Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement/Bundesamt für Migration unter dem 24. April 2006 in seinem "Kurzbericht Dienstreise Türkei" festgestellt, dass die Umsetzung der neuen Gesetze in der Türkei sich oft problematisch gestaltet und Justiz und Militär sowie gewisse als "Staat im Staat" bezeichnete Kreise sich noch immer weitgehend dem Einfluss von Parlament und Regierung entziehen. Auch sind danach seit Ende des Jahres 2005 Fälle von Menschenrechtsverletzungen - wenn auch mit subtileren Methoden begangen - wieder angestiegen.

Deshalb sind auch gegenwärtig vorverfolgt ausgereiste Flüchtlinge vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher (vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273104.A -, S. 21 ff.).