VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 14.04.2008 - 20 A 419/07 - asyl.net: M13631
https://www.asyl.net/rsdb/M13631
Leitsatz:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in Togo.

 

Schlagwörter: Togo, Widerruf, Familienflüchtlingsschutz, Flüchtlingsanerkennung, Änderung der Sachlage, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Vorverfolgung, exilpolitische Betätigung, Nachfluchtgründe, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, politische Entwicklung, Menschenrechtslage, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 26 Abs. 4; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in Togo.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes, mit der die zuvor getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, widerrufen wurde, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerseite in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO).

Die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AsylVfG sind weiterhin gegeben, weil die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Vaters des Klägers als Stammberechtigtem nicht zu widerrufen war. Insoweit hat das Gericht zur Begründung mit Urteil vom 14.04.2008 im Verfahren - 20 A 350/07 - ausgeführt:

1. Die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes kann nicht auf § 73 AsylVfG gestützt werden.

Ein Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt somit im Regelfall nur in Betracht, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Dieser Maßstab - und nicht der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006, AuAS 2006, 246) - gilt auch in Fällen, in denen Asylbewerber als nicht "vorverfolgt" ausgereist, aber nach dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, insbesondere wegen exilpolitischer Aktivitäten oder einer Asylantragstellung, als gefährdet angesehen wurden. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall, in dem das Bundesamt wegen illegaler Ausreise aus dem Heimatland und Stellung eines Asylantrags in Deutschland die Feststellung getroffen hatte, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lägen vor, im Rahmen des nachfolgenden Widerrufsverfahrens nach § 73 Abs. 1 AsylVfG gefordert, dass eine erneute Gefährdung auf absehbare Zeit "mit hinreichender Sicherheit" ausgeschlossen sein müsse (Urt. v. 20.03.2007, 1 C 38/06, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff AufenthG Nr. 27; ebenso VG Oldenburg, Urt. v. 4.10.2007, 5 A 4386/06, in juris). Die vom Bundesverwaltungsgericht auch hier gewählte Formulierung, wonach es auf eine mögliche "Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen" ankommt, rechtfertigt keine andere Bewertung. Aus dem nachfolgenden Satz ergibt sich, dass lediglich bei gänzlich neuer und andersartiger Verfolgung der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zur Anwendung kommen soll. Im Rahmen des § 73 Abs. 1 AsylVfG spielt es nach dieser Rechtsprechung hingegen keine Rolle, ob die Flüchtlingsanerkennung wegen bereits im Heimatland erlittener oder erst nach Ausreise drohender Verfolgung erfolgte. Auch die Tatsache, dass in dem Urteil ausgeführt wird, dass nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung "insbesondere" zu widerrufen ist, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend verändert haben, rechtfertigt entgegen der Rechtsauffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 17.10.2007, 11 LA 204/07) keine andere Bewertung. Die vom Oberverwaltungsgericht vertretene Auffassung, durch die Verwendung des Adverbs "insbesondere" verdeutliche das Bundesverwaltungsgericht, dass der Widerruf auch in anderen Fällen in Betracht komme, vermag nicht zu überzeugen. Zum einen ergibt sich das Wort "insbesondere" nicht erst aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, sondern bereits aus dem Gesetz selbst (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Zum anderen hat das Bundesverwaltungsgericht diese Formulierung "... insbesondere ..." gerade in einem Fall des Vorliegens einer Anerkennung wegen Nachfluchtgründen zur Anwendung gebracht (s.o.), so dass auch aus diesem Grund die Argumentation des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts jedenfalls ohne weitere Begründung ins Leere läuft. Hinzu kommt, dass aus dem Umstand, dass auch andere Widerrufsgründe, namentlich solche, die in der Person des Betroffenen liegen (etwa die freiwillige Rückkehr des Asylberechtigten in den Verfolgerstaat, vgl. GK-AsylVfG, Stand Juni 2006, § 73 Rdnr. 29), in Betracht kommen, kein Rückschluss auf den anzuwendenden Prognosemaßstab gezogen werden kann. Das erkennende Gericht sieht auch unabhängig davon keinen Anlass, von dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 20.03.2007 auf Nachtfluchtgründe erstreckten Maßstab der hinreichenden Sicherheit abzuweichen. Denn bei wertender Betrachtung wurde dem qualitativen Unterschied zwischen erlittener Vorverfolgung und "lediglich" künftig drohender Verfolgung wegen "Nachfluchtgründen" schon bei der Erstentscheidung, deren Widerruf im Streit steht, durch den bei der zweiten Fallgruppe anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechnung getragen. Für beide Fallgruppen dürfte nach einer entsprechenden Anerkennung die subjektive Furcht vor (erneuter) Verfolgung kaum unterschiedlich zu bewerten sein.

Offen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich die - im hier interessierenden Zusammenhang nicht relevante - Frage, ob dieser Maßstab unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG auch in einer Situation gilt, in der die bisherigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende als Flüchtling anerkannt worden ist, entfallen sind und nun neue, andersartige verfolgungsbegründende Umstände geltend gemacht werden (BVerwG, Beschl. v. 7.02.2008, 10 C 23.07, 10 C 31.07, 10 C 33.07, Vorlagenfrage 3).

Nach diesen Grundsätzen liegen im hier zu entscheidenden Fall die Voraussetzungen für einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Die Kammer kann nach den vorliegenden Erkenntnisquellen gegenwärtig noch nicht die für eine rechtmäßige Widerrufsentscheidung erforderliche Prognose treffen, dass die Verhältnisse sich seit dem maßgeblichen Zeitpunkt (s.o.) "erheblich" und "nicht nur vorübergehend geändert" haben (vgl. a). Auch ist für Rückkehrer keine hinreichende Verfolgungssicherheit zu prognostizieren (vgl. b).

a) In der einschlägigen Richtlinie des UNHCR vom 10.02.2003 zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C Nr. 5 und Nr. 6 GFK ("Wegfall der Umstände-Klauseln"), die aus Sicht der Kammer die entscheidenden Parameter zutreffend aufzeigt, heißt es hierzu:

"Entwicklungen, die bedeutende und grundlegende Änderungen zu offenbaren scheinen, sollten sich zunächst konsolidieren können, bevor eine Entscheidung zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft getroffen wird. Gelegentlich kann bereits nach relativ kurzer Zeit beurteilt werden, ob grundlegende und dauerhafte Änderungen stattgefunden haben. Dies ist der Fall, wenn z.B. friedliche Änderungen im Rahmen eines verfassungsmäßigen Verfahrens sowie freie gerechte Wahlen mit einem echten Wechsel der Regierung stattfinden, die der Achtung der fundamentalen Menschenrechte verpflichtet ist, und wenn im Land eine relative politische und wirtschaftliche Stabilität gegeben ist.

Dagegen wird mehr Zeit zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit der Änderungen benötigt, wenn die Änderungen gewaltsam, beispielsweise durch den Umsturz eines Regimes, herbeigeführt wurden. Unter solchen Gegebenheiten muss die Menschenrechtssituation besonders sorgfältig überprüft werden. Für den Wiederaufbau des Landes muss genügend Zeit eingeräumt werden und Friedensvereinbarungen mit gegnerischen militanten Gruppen müssen sorgfältig überwacht werden. Dies ist besonders wichtig, wenn die Konflikte zwischen verschiedenen Volksgruppen bestanden, da eine echte Versöhnung in diesen Fällen erfahrungsgemäß häufig nur schwer zu erreichen ist. Solange die landesweite Versöhnung nicht fest verankert und ein echter Landesfrieden wiederhergestellt ist, sind die eingetretenen politischen Änderungen möglicherweise nicht von Dauer."

Danach kann für die Republik Togo noch keine hinreichende Stabilisierung angenommen werden:

(1) Die Frage, ob es im Rahmen eines "verfassungsgemäßen" Verfahrens zu "einem echten Wechsel der Regierung" gekommen ist, kann bei wertender Gesamtbetrachtung der Entwicklung in Togo seit 2005 nicht positiv beantwortet werden.

Die Macht wurde im Jahr 2005 - verfassungswidrig - durch das Militär auf den Sohn des seit 1967 diktatorisch herrschenden Staatspräsidenten Gnassingbé Eyadéma übertragen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 30.11.2006, S. 4). Aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2005 - etwa der unkorrekten Ausgabe von Wahlkarten und dem Entfernen von Wahlurnen durch uniformierte Kräfte (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Togo vom 29.01.2008, S. 5 [im Folgenden: Lagebericht]) - gab es nach der Bekanntgabe der Ergebnisse, wonach Faure Gnassingbé, Sohn des Gnassingbé Eyadéma, obsiegt haben sollte, erhebliche Unruhen in Lomé, die sich auf weitere größere Städte und ländliche Regionen ausbreiteten. Es kam zu einer massiven Unterdrückung durch Militär und Polizei.

Die im September 2006 gebildete "Regierung der nationalen Einheit" unter Beteiligung von Oppositionsparteien (Lagebericht, S. 6) hatte nur kurzen Bestand.

Demokratischen Mindeststandards genügende Wahlen können, legt man den am 11.03.2008 publizierten Bericht des U.S. Department of State über die Menschenrechtslage in Togo im Jahr 2007 (http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/) zugrunde, kaum angenommen werden: "...partial inability of citizens to change their government...".

Die Machtverhältnisse sind - und auch das lässt einen "echten Wechsel der Regierung" als zweifelhaft erscheinen - in ethnischer Hinsicht ausgesprochen ungleich verteilt und verfestigt.

(2) Ob die im Oktober gewählte Regierung im Sinne der UNHCR-Richtlinie der "Achtung der fundamentalen Menschenrechte verpflichtet ist", kann ebenfalls noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.

Die bisher erfolgten Reformschritte in der Republik Togo haben allerdings die Anerkennung aller politischen Beobachter gefunden (Lagebericht, S. 6). Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass sich die - schwach organisierten und demokratisch unerfahrenen - Oppositionsparteien "gegenwärtig" frei und ohne Einschränkungen betätigen können (Lagebericht, S. 7). Gleiches gilt für Menschenrechtsorganisationen. Auch hier stellt das Auswärtige Amt allerdings ausdrücklich auf die "gegenwärtige" Lage ab (Lagebericht a.a.O.). Diese aktuelle Einschätzung korrespondiert mit der Bewertung der Gefährdung von Rückkehrern. Die in mehreren Fällen gegenüber dem Auswärtigen Amt aufgestellte Behauptung, togoische Staatsangehörige seien nach ihrer Rückkehr Opfer staatlicher Repression geworden, hat sich danach trotz angestellter Nachforschungen nicht bestätigt (Lagebericht, S. 13). Diese Sachlage rechtfertigt es regelmäßig, togoischen Staatsangehörigen, die nicht als "vorverfolgt" gelten, wegen des dann anzuwendenden Maßstabes der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung zu versagen (vgl. VG Schwerin, Urt. v. 20.11.2007, 5 A 1445/04 As; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 9.01.2008, 10a K 2487/02.A; a.A. VG Oldenburg, Urt. v. 19.11.2007, 7 A 3486/04: auch ein Vorverfolgter, der 1990 vor dem Zugriff von Milizen fliehen musste, ist hinreichend sicher), auch wenn davon auszugehen ist, dass politische Aktivitäten von Togoern und togoischen Exilorganisationen in Deutschland von togoischen Regierungskreisen beobachtet werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 23.02.06, S. 14).

Insgesamt ist die Menschenrechtslage in Togo jedoch auch noch im Jahr 2007 als ernst bewertet worden (vgl. insoweit U.S. Department of State, Togo, Country Reports on Human Rights Practices - 2007: "...serious human rights problems continued www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/). Die Institutionen des Staates (Justiz, Ordnungskräfte, Militär) wie auch die politischen Parteien werden als schwach und demokratisch unerfahren eingeschätzt, "... so dass von einer Konsolidierung Togos noch keine Rede sein kann..." (Lagebericht, S. 4).

aa) Ungeachtet des Drucks aus dem In- und Ausland herrscht in Togo offenbar weiter ein Klima der Straflosigkeit.

bb) Auch die Entwicklung im Jahr 2007 lässt eine zureichende Verstetigung des begonnenen Reformprozesses ungeachtet der durchgeführten Wahlen als fraglich erscheinen. Ein vermeintliches "Wohlverhalten" aufgrund internationalen Drucks dürfte keine hinreichende Gewähr für erfolgreiche Reformen sein.

b) Für Rückkehrer kann keine hinreichende Verfolgungssicherheit prognostiziert werden. Bei der unter a) aufgezeigten instabilen Lage kann trotz aller positiven Ansätze nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass als Flüchtlinge anerkannten togoischen Staatsangehörigen bei einer Rückkehr in ihr Heimatland staatliche Übergriffe drohen. An die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses sind hohe Anforderungen zu stellen. Es muss mehr als nur überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Flüchtling im Heimatstaat vor Verfolgungsmaßnahmen sicher ist. Zwar braucht die Gefahr des Eintritts politischer Verfolgungsmaßnahmen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden, so dass jeder auch nur geringe Zweifel an der Sicherheit des Flüchtlings vor politischer Verfolgung seinem Begehren zum Erfolg verhelfen müsste. Lassen sich aber ernsthafte Bedenken nicht ausräumen, so wirken sie sich nach diesen Maßstäben zu seinen Gunsten aus (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.02.1997, NVwZ 1997, 1134). Danach stehen schon die Einreisemodalitäten der Annahme einer zureichenden Verfolgungssicherheit entgegen. Zwar sind die togoischen Behörden "in der Regel" um eine korrekte Behandlung bemüht, um weder den deutschen Behörden noch den togoischen Exilorganisationen Anlass zu Kritik zu geben. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass Grenzkontroll-, Polizei- oder andere Beamte Rückkehrer in Einzelfällen "inkorrekt" behandeln (Lagebericht, S. 12). Folter stellt in Togo heute ebenso ein Problem dar wie eine von der Regierung abhängige Justiz (vgl. U.S. Department of State a.a.O.). Dass staatliche Übergriffe keine Ausnahmeerscheinungen sind, zeigen schon der Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Folter vom 18.04.2007 sowie die Behandlung dessen Mitarbeiter im Militärlager von Kara (s.o.).

Für die Annahme einer hinreichenden Verfolgungssicherheit wird es nach alledem erforderlich sein, den eingeleiteten Demokratisierungsprozess in Togo noch über einen gewissen Zeitraum von wohl ein bis zwei Jahren zu beobachten (ebenso VG Osnabrück, Urt. v. 20.11.2007, 5 A 209/07; a.A. VG Osnabrück, Urt. v. 25.03.2008, 5 A 23/08).