OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.04.2008 - 8 A 1102/08.A - asyl.net: M13652
https://www.asyl.net/rsdb/M13652
Leitsatz:

Hat das Bundesamt innerhalb der Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG die Widerrufsvoraussetzungen sachlich geprüft und verneint, setzt ein späterer Widerruf Ermessensausübung voraus, auch wenn er auf andere Gründe gestützt wird.

 

Schlagwörter: Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Widerrufsprüfung, Mitteilung, Bundesamt, Ausländerbehörde, Ermessen, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Umdeutung, Divergenzrüge
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 2a; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

Hat das Bundesamt innerhalb der Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG die Widerrufsvoraussetzungen sachlich geprüft und verneint, setzt ein späterer Widerruf Ermessensausübung voraus, auch wenn er auf andere Gründe gestützt wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehenen Anforderungen an eine Negativentscheidung im Sinne des § 73 Abs. 2 a AsylVfG sind damit hinreichend geklärt, ein darüber hinausgehender Klärungsbedarf allgemeiner Art ist nicht ersichtlich. Erforderlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine sachliche Prüfung der Widerrufs- bzw. Rücknahmevoraussetzungen, die zu dem Ergebnis geführt hat, dass die Voraussetzung im konkreten Fall nicht vorliegen. Weitere Anforderungen an eine Negativentscheidung ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Erforderlichkeit einer Ermessensentscheidung nach vorangegangener, der Ausländerbehörde mitgeteilter Negativprüfung, die nach der Konzeption der Regelung nach drei Jahren (vgl. § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG) bzw. bei Alt-Anerkennungen bis zum 31. Dezember 2008 (vgl. § 73 Abs. 7 AsylVfG) zu erfolgen hat, steht in Zusammenhang mit der gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG grundsätzlich nach dreijährigem Besitz der Aufenthaltserlaubnis eintretenden Aufenthaltsverfestigung (vgl. zu Letzterem: BVerwG, Urteil vom 20. März 2007 - 1 C 21.06 -, a.a.O).

Aus welchen Erwägungen das Bundesamt von einem Widerruf absieht, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Dem entspricht, dass der Ausländerbehörde gemäß § 73 Abs. 2 a Satz 2 AsylVfG nur das Ergebnis der Prüfung mitzuteilen ist.

Dies zugrunde, gelegt stellt etwa eine bloße Mitteilung, dass "zur Zeit von einem Widerruf abgesehen wird, da aufgrund behördeninterner Priorisierungen andere Personengruppen vorrangig zu bearbeiten sind", keine Negativentscheidung dar, die das Erfordernis einer Ermessensentscheidung im Falle eines späteren Widerrufs begründen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2007 - 1 C 38.06 -, Juris Rn. 10).

Dass es sich bei den im vorliegenden Fall erfolgten Mitteilungen, dass "derzeit trotz der erheblichen Straffälligkeiten noch kein Widerrufsverfahren eingeleitet werden kann, da nicht nur die Anerkennung wegen Familienasyl, sondern diese laut Urteil auch wegen eigener Asylgründe im Raum" stehe und dass sich seit dem vorangegangenen Schreiben an der Situation nichts geändert habe und deshalb ein Widerruf nicht möglich sei, um auf einer sachlichen Prüfung beruhende Negativentscheidungen im Sinne des § 73 Abs. 2 a Satz 4 AsylVfG handelt, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden.

Die demgegenüber vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass eine Ermessensentscheidung nach § 73 Abs. 2 a Satz 4 AsylVfG nur erforderlich sei, wenn der vorangegangenen Negativentscheidung ein im Wesentlichen identischer Sachverhalt zugrunde gelegen habe, lässt sich weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Regelung oder der Gesetzessystematik begründen. Um den Schutz eines an die Prüfung bestimmter Umstände anknüpfenden Vertrauens geht es hier entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht, da die Erwägungen, die zu der Negativentscheidung führen, nicht in vertrauensbegründender Weise nach außen dringen müssen. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. BT-Drs. 15/240) keinen Anhalt für die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung bietet, die überdies - soweit ersichtlich - weder in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung noch im Schrifttum geteilt wird.