Ist ungeklärt, ob einem Ausländer i.S.d. § 8 Abs. 2 SGB II die Erwerbstätigkeit erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, sind ihm gem. § 44 a SGB II bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle Leistungen nach dem SGB II zu gewähren; das gilt auch, wenn noch keine Einigungsstelle eingerichtet ist.
Ist ungeklärt, ob einem Ausländer i.S.d. § 8 Abs. 2 SGB II die Erwerbstätigkeit erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, sind ihm gem. § 44 a SGB II bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle Leistungen nach dem SGB II zu gewähren; das gilt auch, wenn noch keine Einigungsstelle eingerichtet ist.
(Leitsatz der Redaktion)
Die gemäß § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Die Anspruchsvoraussetzungen folgen aus § 7 Abs. 1 SGB II. Danach erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Ausländer haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und erhalten Leistungen nach dem SGB II, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 SGB II vorliegen. Nach § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer, welche im übrigen die sozialmedizinischen Voraussetzungen der Erwerbsfähigkeit des Abs. 1 erfüllen, nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung tatsächlich erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Liegen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 SGB II nicht vor, ist das Leistungssystem des SGB XII - Sozialhilfe - eröffnet.
Noch nicht rechtskräftig anerkannten Asylbewerbern kann nur unter der Voraussetzung des § 61 AsylVfG die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden. Danach darf der Betreffende gemäß § 61 Abs. 2 AsylVfG nicht mehr der Pflicht unterliegen, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen und er muss sich seit mindestens einem Jahr gestattet im Bundesgebiet aufhalten. Diese Voraussetzungen liegen bei den Klägern unstreitig vor. Abweichend von § 4 Abs. 3 AufenthG kann die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Weiterhin ist eine Vorrangprüfung entsprechend dem § 39 AufenthG vorzunehmen, § 61 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG.
Ob das "erlaubt werden können" im Sinne des § 8 Abs. 2, 2 Alt. SGB II eine positive Beschäftigungsprognose der Bundesagentur für Arbeit im Einzelfall gemäß § 39 AufenthG voraussetzt, ist strittig.
Die Kammer konnte die hoch umstrittene und noch nicht höchstrichterlich geklärte Frage, ob 8 Abs. 2, 2. Alt. SGB II einschränkend auszulegen ist, im Ergebnis offen lassen. Denn ein zwischen den Leistungsträgern des SGB II und SGB XII bestehender Streit über die Frage der Erwerbsfähigkeit hat zur Konsequenz, dass die Agentur für Arbeit und die kommunalen Träger bzw. nach § 44 b Abs. 3 SGB II die Arbeitsgemeinschaften Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der Einigungsstelle zu erbringen haben. Die zwischen den Leistungsträgern strittige Frage der Erwerbsfähigkeit des Klägers zu 1) wird auf Grundlage des § 44 a SGB II in der Fassung vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954) für den hier streitigen Zeitraum fingiert. Denn der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist auch dann zur Zahlung von Leistungen verpflichtet, wenn er zwar vom Fehlen der Erwerbsfähigkeit ausgeht, aber keine Abstimmung mit dem zuständigen Sozialhilfeträger über das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit herbeigeführt hat (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 10/06 R, zitiert nach juris-Datenbank). Da es sich bei § 44 a SGB II um eine gesetzliche Fiktion handelt, hat das Gericht die Frage der Erwerbsfähigkeit nur dann selbst zu klären und entsprechend zu ermitteln, wenn die Leistungsträger eine Einigung über die Erwerbsfähigkeit erzielt haben und für die gesetzliche Fiktion kein Raum ist, weil über die Erwerbsfähigkeit Einigkeit besteht. Für die Entscheidung über die strittige Erwerbsfähigkeit und die daraus resultierende Fiktion derselben ist der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung maßgebend. Da die Leistungsträger im Streitfall jederzeit die Möglichkeit und die Verpflichtung haben, die Einigungsstelle anzurufen oder eine Einigung über den "kleinen Dienstweg" zu erzielen, besteht auch nicht die Gefahr, dass die Leistungen von dem Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitsuchende dauerhaft gezahlt werden müssen. Auch wenn für eine solche Interpretation des § 44 a SGB II der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1516, S. 63) nichts zu entnehmen ist, entspricht sie Sinn und Zweck der Norm, die die Erwerbsfähigkeit für die Dauer des Konflikts fingiert (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.03.2007, Az. L 8 AS 6504/06, zitiert nach juris-Datenbank).
Gemäß § 44 a SGB II in der Fassung vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954) stellt die Agentur für Arbeit bzw. die Arbeitsgemeinschaft nach § 44 b SGB II fest, ob der Arbeitsuchende erwerbsfähig und hilfebedürftig ist. Teilt der kommunale Träger oder ein anderer Leistungsträger, der bei voller Erwerbsminderung zuständig wäre, die Auffassung der Agentur für Arbeit nicht, entscheidet die Einigungsstelle. Bis zur Entscheidung der Einigungsstelle erbringen die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB II entscheidet bei Streitigkeiten über die Erwerbsfähigkeit eines Arbeitsuchenden zwischen den Trägern der Leistungen nach dem SGB II sowie bei Streitigkeiten über die Erwerbsfähigkeit mit einem Leistungsträger, der bei voller Erwerbsminderung zuständig wäre, eine gemeinsame Einigungsstelle. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat aufgrund der Ermächtigung in § 45 Abs. 3 SGB II am 23.11.2004 mit Wirkung zum 01.01.2005 eine Verordnung zur Regelung der Grundsätze des Verfahrens für die Arbeit der Einigungsstelle nach dem SGB II erlassen. Die Einigungsstelle ist gemäß § 4 Einigungsstellen-Verfahrensordnung (EinigungsStVV) von dem Träger anzurufen, der eine von der Entscheidung des anderen Trägers abweichende Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit treffen will. Die Anrufung hat unverzüglich nach der Feststellung zu erfolgen, dass der anrufende Träger eine abweichende Entscheidung treffen will. Haben beide Träger bereits eine Entscheidung getroffen, kann die Einigungsstelle von beiden Trägern angerufen werden, § 4 Abs. 1 EinigungsStVV. Die Entscheidung der Einigungsstelle ist nach § 8 Abs. 1 Satz 5 EinigungsStVV für die an der Entscheidung beteiligten Träger verbindlich (vgl. ausführlich zum Erfordernis der Anrufung der Einigungsstelle LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.10.2006, Az. L 13 AS 4113/06 ER-B, www. sozialgerichtsbarkeit.de).
§ 44 a SGB II stellt damit eine einheitliche Entscheidung der Leistungsträger in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit sicher und verhindert, dass die Differenzen zu Lasten der Arbeitsuchenden gehen und sie bildlich gesprochen zwischen den Stühlen sitzen. Denn ein Streit über die Erwerbsfähigkeit könnte andernfalls dazu führen, dass sie weder vom Sozialhilfeträger noch vom SGB II-Träger Leistungen erhielten (BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7 b AS 10/06 R, zitiert nach juris-Datenbank; Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 44 a Rn. 2). Die Feststellungsbefugnis gemäß § 44 a SGB II hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit umfasst nicht nur das gesundheitliche Leistungsvermögen des Hilfebedürftigen im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II, sondern auch die Beurteilung, ob einem Ausländer die Aufnahme einer Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II erlaubt ist oder erlaubt werden könnte (Berlit, in: Münder (Hg.), SGB II Kommentar, 2. Aufl., § 44 a Rn. 7). § 44 a Satz 3 SGB II enthält nicht lediglich die Anordnung einer vorläufigen Leistung, sondern eine Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 SGB III (BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 10/06 R mwN).
Streitigkeiten über die Erwerbsfähigkeit zwischen den Leistungsträgern liegen vor, wenn sich diese über die Erwerbsfähigkeit des Hilfesuchenden nicht einig sind. Nach Sinn und Zweck des § 44 a SGB II setzt eine Kompetenzstreitigkeit nicht voraus, dass beide Leistungsträger aufgrund eines Leistungsantrages des Hilfesuchenden bereits mit einem Verwaltungsverfahren befasst sind. Denn die Gefahr einer abweichenden Leistungsbeurteilung besteht nicht erst dann, wenn beide Träger mit dem Sachverhalt befasst sind, sondern bereits dann, wenn nur ein Träger befasst ist und seine Zuständigkeit wegen fehlender Erwerbsfähigkeit ablehnen möchte. Der Leistungsträger nach dem SGB II wird deshalb bei dem Leistungsträger nach dem SGB XII anzufragen haben, wie dieser die Erwerbsfähigkeit beurteilt, wenn er selbst von einer fehlenden Erwerbsfähigkeit ausgeht. Umgekehrt obliegt es dem Sozialhilfeträger eine Anfrage an den Leistungsträger nach dem SGB II, wenn er den Arbeitsuchenden für erwerbsfähig hält (Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, § 44a SGB II Rn. 13-15). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der Hilfebedürftige auf diese Weise nicht nur bei einem schon bestehenden Streit zwischen den Leistungsträgern bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle, sondern bereits im Vorfeld so zu stellen als wäre er erwerbsfähig. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung darf der Träger der Grundsicherung Arbeitsuchende die fehlende Erwerbsfähigkeit nicht annehmen, ohne den zuständigen Sozialhilfeträger eingeschaltet zu haben (BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 10/06 R).
Selbst wenn im Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung der Beklagten im Juli 2005 noch keine Einigungsstelle gemäß § 45 SGB II im Landkreis Märkisch-Oderland ins Leben gerufen war, hätte sich die Beklagte mit dem Beigeladenen über die strittige Frage der Erwerbsfähigkeit des Klägers zu 1) ins Benehmen setzen müssen. Auch ohne Bestehen einer Einigungsstelle ist § 44 a SGB II in der Anfangszeit des Inkrafttretens des SGB II und SGB XII anzuwenden, da aus Sinn und Zweck des § 44 a SGB II folgt, dass eine Kompetenzstreitigkeit zwischen den Leistungsträgern zu Lasten des Hilfebedürftigen gerade vermieden werden soll.