OLG Braunschweig

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Zitieren als:
OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.06.2008 - 6 W 23/08 - asyl.net: M13671
https://www.asyl.net/rsdb/M13671
Leitsatz:

Die vorläufige Festnahme durch die Ausländerbehörde ist rechtswidrig, wenn die Ausländerbehörde nicht von ihren Festnahmerecht nach § 62 Abs. 4 AufenthG Gebrauch machen wollte, sondern sich irrtümlich auf einen richterlichen Haftbeschluss stützte; ist ein Haftbeschluss durch Zeitablauf unwirksam geworden, kann das Gericht den Beschluss nicht aufrecht erhalten, sondern muss ggf. einen neuen Haftbeschluss erlassen; die aufgrund einer rechtswidrigen Festnahme erfolgte Inhaftierung ist rechtswidrig, auch wenn die materiellen Voraussetzungen der Abschiebungshaft vorliegen.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Festnahme, Inhaftierung, Ausländerbehörde, Richtervorbehalt, Haftbefehl, vorläufige Festnahme
Normen: AufenthG § 62 Abs. 1; AufenthG § 62 Abs. 4
Auszüge:

Die vorläufige Festnahme durch die Ausländerbehörde ist rechtswidrig, wenn die Ausländerbehörde nicht von ihren Festnahmerecht nach § 62 Abs. 4 AufenthG Gebrauch machen wollte, sondern sich irrtümlich auf einen richterlichen Haftbeschluss stützte; ist ein Haftbeschluss durch Zeitablauf unwirksam geworden, kann das Gericht den Beschluss nicht aufrecht erhalten, sondern muss ggf. einen neuen Haftbeschluss erlassen; die aufgrund einer rechtswidrigen Festnahme erfolgte Inhaftierung ist rechtswidrig, auch wenn die materiellen Voraussetzungen der Abschiebungshaft vorliegen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde hat Erfolg. Die Inhaftierung des Betroffenen war von Anfang an rechtswidrig.

1. Dies gilt zunächst für die Zeit ab der vorläufigen Festnahme durch Mitarbeiter des Landkreises Goslar anlässlich einer Vorsprache des Betroffenen am 11. Oktober 2007 bis zum amtgerichtlichen Beschluss vom 12.10.2007.

Hierbei kann dahinstehen, ob der Ausländerbehörde nach § 62 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes ein vorläufiges Festnahmerecht zugestanden hat. Hiergegen könnte allerdings sprechen, dass vor der Inhaftierung eine richterliche Entscheidung sowie Anordnung der Sicherungshaft hätte eingeholt werden können (§ 62 Abs. 4 Nr. 2 AufenthaltsG, vgl. OLG Celle, Beschluss vom 02.06.2008, Az.: 22 W 23/08), zumal der Wortlaut der Norm keine Anwendungseinschränkung auf Ersthaftanträge vorsieht und ein erneuter Haftantrag durchaus zumutbar erscheint. Ein solches Vorgehen wäre auch notwendig gewesen, weil der Beschluss des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld vom 14.08.2008 - wie die Kammer zutreffend erkannt hat - durch Zeitablauf unwirksam geworden war (vgl. BayObLG, FG Prax 1996, 240). Hierauf kommt es aber deshalb nicht an, weil der Landkreis Goslar - wie bereits dessen Stellungnahme vom 31.03.2008 zeigt - die Festnahme gerade nicht gestützt auf § 62 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes vollziehen wollte, sondern irrtümlich davon ausgegangen ist, die Festnahme aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld vom 14. August 2007 vornehmen zu können.

Damit hat der Landkreis indes ein etwaig ihm zustehendes eigenes Festnahmerecht nicht ausgeübt. Angesichts der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur Beschluss vom 12. März 2008, Az.: 2 BvR 2042/05) verbietet es sich entgegen älterer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NJW 1962, 1020, 1021) hierbei auch, die Rechtmäßigkeit der Festnahme des Betroffenen unter hypothetischen Gesichtspunkten zu prüfen. Vielmehr ist die Behörde gehalten, die ihr zustehenden Rechte wahrzunehmen und das entsprechende Verfahren einzuhalten. Das ist vorliegend nicht erfolgt. Es fehlt nämlich an einer nach außen hin zu Tage getretenen Entscheidung der Behörde, mit der sie zu erkennen gibt, ihr auf § 62 Abs. 4 AufenthaltsG fußendes Festnahmerecht auszuüben und insoweit auch die Verantwortung für das Vorliegen der Voraussetzungen der Festnahme zu übernehmen.

2. Auch die weitere Inhaftierung ab dem 12.10.2007 ist rechtswidrig gewesen.

Insoweit fehlt ein wirksamer Sicherungshaftbeschluss des Amtsgerichts.

Denn der ursprüngliche Beschluss des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld vom 14. August 2007 war nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung durch Zeitablauf unwirksam geworden (vgl. nur BayObLG a.a.O.). Das Amtsgericht hat daher einen zuvor unwirksam gewordenen Beschluss aufrechterhalten, was unzulässig ist. Auch insoweit gilt darüber hinaus, dass hypothetische Erwägungen zur Rechtmäßigkeit eines eventuell möglichen neuen Sicherungshaftbeschlusses zur Begründung der Rechtmäßigkeit der konkreten Haftanordnung nicht herangezogen werden können. Auch wenn das Amtsgericht mit seiner Entscheidung seine Auffassung zu erkennen gegeben hat, die Haftvoraussetzungen lägen auch zum Zeitpunkt der Festnahme noch vor, ändert dies nichts daran, dass es an einem verfahrensfehlerfrei zustande gekommenen neuen, zudem zu begründenden Haftbeschluss mangelt. Das Erfordernis eines solchen neuen Beschlusses ergibt sich hierbei nicht zuletzt aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Allen Beteiligten, vor allem dem Betroffenen - aber etwa auch den Vollzugsbehörden - muss unzweifelhaft deutlich gemacht werden, auf welche Haftanordnung die Inhaftierung gestützt wird. Dies war hier aber der Beschluss des Amtsgerichts vom 14.08.2007, der indes - wie aufgezeigt - durch Zeitablauf unwirksam geworden war.