VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 23.04.2008 - 8 K 1410/07.A - asyl.net: M13679
https://www.asyl.net/rsdb/M13679
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung eines eritreischen Staatsangehörigen wegen Zugehörigkeit zu einer Pfingstgemeinde.

 

Schlagwörter: Eritrea, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, religiös motivierte Verfolgung, Christen, Pfingstgemeinden, Freikirchen, Drei-Monats-Frist, Kenntnis, Lagebericht, religiöses Existenzminimum, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung eines eritreischen Staatsangehörigen wegen Zugehörigkeit zu einer Pfingstgemeinde.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 71 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG.

Vorliegend hat sich die Sachlage nach Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens zugunsten des Klägers geändert. Kleiner Religionsgemeinschaften, insbesondere Gemeinschaften der Pfingstbewegung, werden in Eritrea verfolgt. Dabei hatten die Repressalien gegen Angehörige derartiger Glaubensgemeinschaften zum Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des ersten Asylverfahrens des Klägers im Jahr 2004 bei Würdigung und Zugrundelegung der Lageberichte des Auswärtigen Amtes die Schwelle zur Asylerheblichkeit noch nicht überschritten. Die als Änderung der Sachlage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu bewertende asylrechtlich relevante Verschärfung der Verfolgungssituation für Pfingstler und ihnen nahe stehende Religionsgemeinschaften ist damit "nachträglich" i.S.d. Vorschrift eingetreten.

Der Antrag ist auch rechtzeitig i. S. d. § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt worden.

Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen 3 Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erlangt.

Der danach maßgebliche Zeitpunkt ist nicht der Zeitpunkt des Beitrittes des Klägers in die Religionsgemeinschaft, sondern der Zeitpunkt, in dem aufgrund der nachträglichen Verschärfung der Verfolgungssituation ein erneuter Asylantrag mit Aussicht auf Erfolg gestellt werden konnte. Die nach § 51 Abs. 3 VwVfG erforderliche positive Kenntnis des Klägers davon, dass er mit Aussicht auf Erfolg einen erneuten Asylantrag stellen kann, kann dem Kläger frühestens ab dem Zeitpunkt unterstellt werden, ab dem auch die von der Beklagten ihren Entscheidungen zugrunde gelegte Auskunftslage eine politische Verfolgung von Zugehörigen kleinerer Religionsgemeinschaften nahe legte. Dies war ausgehend von den Lageberichten des Auswärtigen Amtes erst Ende Mai 2006 der Fall. Noch im Lagebericht vom 18. Juli 2003 wurde mitgeteilt, dass die von der Regierung propagierte religiöse Neutralität des Staates in der Praxis auch grundsätzlich beachtet werde. Im folgenden Lagebericht aus März 2005 ist erstmals davon die Rede, dass sich kleinere Religionsgemeinschaften, wie z.B. Pfingstler, registrieren lassen müssten, um religiöse Aktivitäten weiter ausüben zu dürfen. Erst im Lagebericht vom 24. Mai 2006 wird aber erstmals mitgeteilt, dass es immer. wieder zu Übergriffen von Regierungsseite kommt, dass im Oktober 2005 über 200 Mitglieder evangelikaler Kirchen im Rahmen von Großeinsätzen der eritreischen Behörden festgenommen wurden und dass sich Anfang 2006 1.750 Anhänger evangelikaler Kirchen in Haft befanden. Der am 24. Mai 2006 veröffentlichte Lagebericht schildert erstmals anhand konkreter Zahlen und unter Benennung von Fundstellen Umstände, die mit der erforderlichen Eindeutigkeit Rückschlüsse auf eine politische Verfolgung zulassen. Davon ausgehend ist der Asylfolgeantrag vom 3. August 2006 innerhalb der 3-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt worden.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Eritrea in seinem Fall vorliegen.

Das Gericht hat vorliegend die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Eritrea aufgrund seiner religiösen Überzeugung asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen drohen. Die Kammer geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Anhänger der kleineren freikirchlichen Religionsgemeinschaften (Pfingstler und andere evangelikale Freikirchen) in Eritrea politisch verfolgt werden, da das sog. forum internum der Religionsausübung für die Mitglieder dieser Religionsgemeinschaften in Eritrea nicht gewährleistet ist. Auch das Bundesamt hat in dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, dass dem Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zu der "Eritreischen Gemeinde für das ganze Evangelium", die Mitglied im Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden ist, im Falle der Rückkehr eine menschenrechtswidrige Behandlung droht und ein Eingriff in das forum internum der Religionsausübung vorliegt.

§ 28 Abs. 2 AsylVfG steht der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegend nicht entgegen. Die Ausschlussnorm betrifft nur subjektive Nachfluchtgründe, die der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags selbst geschaffen hat. Vorliegend beruht das Wiederaufgreifen des Asylverfahrens aber auf der nachträglichen, asylerheblichen Verschärfung der Verfolgungssituation. Diesen nachträglich eingetretenen Umstand hat der Kläger, der bereits während des noch laufenden Asylerstverfahrens Mitglied der "Eritreischen Gemeinde für das ganze Evangelium" war, nicht selbst geschaffen.