Äthiopische Staatsangehörige, die sich in Deutschland engagiert für die im äthiopischen Parlament vertretenen Oppositionsgruppen (hier: Coalition for Unity and Democracy - CUD) einsetzen, droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung.
Äthiopische Staatsangehörige, die sich in Deutschland engagiert für die im äthiopischen Parlament vertretenen Oppositionsgruppen (hier: Coalition for Unity and Democracy - CUD) einsetzen, droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in Bezug auf ihn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.
Das Gericht hat in Anwendung dieser Grundsätze die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger wegen seiner Mitgliedschaft im EPRP - Unterstützungskomitee und seiner Aktivitäten für die EPRP in der Bundesrepublik Deutschland bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen drohen.
Die EPRP (Ethiopian People's Revolutionary Partei) ist in Äthiopien Mitglied des Oppositionsbündnisses UEDF, das an den Parlamentswahlen vom Mai 2005 teilgenommen hat. Die UEDF ist nach dem Regierungsbündnis EPRDF und dem stärksten Oppositionsbündnis CUDE (Coalition for Unity and Democracy), die auch unter dem Kürzel CUD oder ihrem amharischen Namen "Kinijit" bekannt ist, drittstärkste politische Gruppe (vgl. Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 29. Juni 2006).
Die EPRP ist in Äthiopien nicht als Partei zugelassen. Mitglieder der EPRP sind nicht im äthiopischen Parlament vertreten. Allerdings hat sich die EPRP schon vor den Parlamentswahlen vom Mai 2005 im Ausland dem Oppositionsbündnis UEDF angeschlossen.
Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes kommt es für die Beantwortung der Frage, ob wegen exilpolitischer Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr nach Äthiopien drohen, grundsätzlich darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch eingestuft wird (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien Stand September 2007).
Nach den vorliegenden Erkenntnissen wird die EPRP jedenfalls von einigen Regierungsmitgliedern als terroristisch bezeichnet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Aachen vom 6. Januar 2007).
Erkenntnisse darüber, ob diese Einschätzung von der gesamten äthiopischen Regierung oder den äthiopischen Sicherheitskräften geteilt wird, liegen dem Gericht nicht vor. Darauf kommt es nach Auffassung des erkennenden Gerichts nach den Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit in Äthiopien aber auch nicht an.
Denn die Verfolgungsmaßnahmen des äthiopischen Staates richten sich auch gegen die im Parlament vertretenen Oppositionsparteien und -bündnisse.
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (vgl. Auskunft an das VG Magdeburg vom 6. November 2006 zur CUD) werden die Parteien der Oppositionsbündnisse in ihrer Arbeit behindert, obwohl sie als legale Parteien im Parlament vertreten sind. Mitglieder, Anhänger und Kandidaten der Parteien werden durch Bedrohung, Verhaftungen und wirtschaftliche Benachteiligungen eingeschüchtert (vgl. Auskunft an das VG Magdeburg vom 6. November 2006 zur CUD).
Im Prozess gegen die prominentesten Führer der Oppositionspartei CUD wurden im Juli 2007 gegen 38 Angeklagte z. T. lebenslange Haftstrafen verhängt (vgl. FAZ vom 17. Juli 2007 ("Lebenslange Haft für Oppositionelle in Äthiopien")).
Kurz darauf verkündete die äthiopische Regierung - allerdings auf internationalen Druck - eine umfassende Begnadigung für alle Verurteilten, nachdem sie zuvor in einem Brief an den Staatspräsidenten ihre Mitverantwortung an den damaligen Ausschreitungen eingeräumt hatten (vgl. ai-Journal 08/2007; FAZ vom 20. Juli 2007 ("Oppositionelle in Äthiopien frei"); VG Wiesbaden, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 5 L 168/08.WI.A(V) -, juris).
Nach Auskunft des Instituts für Afrikakunde (vgl. gutachterliche Stellungnahmen vom 29. Juni und 1. Oktober 2006) sind seit dem für die Regierungskoalition ungünstigen Wahlausgang in Äthiopien hauptsächlich CUD-Mitglieder und Sympathisanten von den Verhaftungswellen betroffen, obwohl es sich bei der CUD um eine legale Partei handelt, die auch bei den Parlamentswahlen kandidiert hat. Betroffen sind nicht nur die prominente Führungsspitze, sondern auch einfache Mitglieder der Partei (vgl. Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 1. Oktober 2006).
Dem Gutachten des BiDS-Beratungs- und Informationsdienst Schröder vom Februar 2006 ist zu entnehmen, dass davon auszugehen ist, dass die äthiopische Regierung weiterhin die EPRP als politischen Gegner sehr ernst nimmt und alles unternimmt und unternehmen wird, eine erneute Festsetzung der EPRP in Äthiopien zu verhindern. Bei der Bewertung sei auch zu berücksichtigen, dass die im Ausland tätige EPRP zunehmend und unnachgiebig auf eine Politik der Verweigerung und Intensivierung der Konfrontation mit der äthiopischen Regierung dränge (vgl. Gutachten des BiDS-Beratungs- und Informationsdienst Schröder vom Februar 2006 S. 28).
Aus diesen Auskünften und Stellungnahmen lässt sich nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls entnehmen, dass ungeachtet der Frage, ob die EPRP von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuft wird, ein erhebliches Verfolgungsinteresse des äthiopischen Staates hinsichtlich solcher Personen besteht, die sich - wie der Kläger - in der Bundesrepublik Deutschland engagiert für die im Parlament vertretenen äthiopischen Oppositionsgruppen einsetzen (vgl. hinsichtlich der EPRP: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 25. Februar 2008 - 21 B 05.31082 -, juris; Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 1. Oktober 2006; hinsichtlich der CUD: VG Ansbach, Urteil vom 14. August 2007 - AN 18 K 07.30437 -, juris; VG Wiesbaden, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 5 L 168108.WI.A(V) -, juris).
Dies gilt im Fall des Klägers umso mehr, als er durch seine Desertion aus der Sicht des äthiopischen Staates - zusätzlich zu seinem politischen Bekenntnis - ein deutliches und ernsthaftes, gegen den äthiopischen Staat gerichtetes Zeichen gesetzt hat.
Es ist auch davon auszugehen, dass die Aktivitäten des Klägers den äthiopischen Behörden bekannt geworden sind. Die Beobachtung exilpolitischen Verhaltens äthiopischer Staatsangehöriger ist ein erklärtes Anliegen des äthiopischen Staates (vgl. die "Richtlinie zum Aufbau einer Wählerschaft" für das Haushaltsjahr 2005/2006, gerichtet an die Botschaften, Konsulate und ständigen Vertretungen der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien im Ausland; SZ vom 10. Oktober 2006 ("Nach Hause in die Ungewissheit")).
Nach der dem erkennenden Gericht in einer Übersetzung vorliegenden Direktive der äthiopischen Regierung hat diese ihre Auslandsvertretungen angewiesen, Namenslisten der im Exil tätigen Oppositionsführer zu erstellen.
Nach einem Zusatzpapier vom 31. Juli 2006 sollen zudem Listen "extremistischer Elemente" erstellt werden, damit diese in der Heimat angeklagt werden können (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 24. April 2008).
Ungeachtet der Frage, ob der Kläger von den äthiopischen Stellen als "extremistisches Element" angesehen wird, ist jedenfalls auch allgemein davon auszugehen, dass die äthiopischen Auslandsvertretungen die politischen Aktivitäten oppositioneller Vereinigungen und deren Mitglieder observieren (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 24. April 2008).
Nach Angaben des Instituts für Afrikakunde ist zudem anzunehmen, dass die äthiopische Regierung bemüht ist, die Aktivitäten der legalen und illegalen Opposition im Ausland zu erfassen und aktive Mitglieder zu überwachen. Da die äthiopische Exilgemeinde in Deutschland relativ überschaubar ist, sei wahrscheinlich, dass auch weniger exponierte Tätigkeiten den äthiopischen Behörden bekannt würden, da diese bemüht seien, exilpolitische Veranstaltungen durch informelle Geheimdienstmitarbeiter zu überwachen (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 24. April 2008).
Vor dem beschriebenen Hintergrund geben die in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren und engagierten Aktivitäten des Klägers hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er von der äthiopischen Regierung als Oppositionsangehöriger individualisiert und registriert worden ist.