VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Beschluss vom 24.07.2008 - 5 E 20094/08 We - asyl.net: M13715
https://www.asyl.net/rsdb/M13715
Leitsatz:

Aussetzung der Überstellung im Dublin-Verfahren nach Griechenland wegen Verletzung europarechtlicher Vorgaben für das Asylverfahren (im Anschluss an VG Gießen, Beschluss vom 25.4.2008 - 2 L 201/08 - ASYLMAGAZIN 5/2008, S. 11).

Schlagwörter: Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, vorbeugender Rechtsschutz, Vorwegnahme der Hauptsache, Griechenland (A), Abschiebungsanordnung, Verfassungsmäßigkeit, Drittstaatenregelung, Genfer Flüchtlingskonvention, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Verfahrensrichtlinie, Aufnahmebedingungen, Verfahrensrecht, Flüchtlingslager, Unterbringung, Inhaftierung, Minderjährige, Selbsteintrittsrecht, Ermessen, Darlegungserfordernis, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; VO Nr. 343/2003 Art. 18; AsylVfG § 27a; AsylVfG § 34a; GG Art. 16a Abs. 2; AsylVfG § 26a; VO Nr. 343/2003 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

Der Antrag ist als Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Sicherungsanordnung zulässig.

Das Bundesamt hatte bereits zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht das Verfahren zur Abschiebung des Antragstellers in den nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 - VO Nr. 343/2003/EG - (im Folgenden Dublin II-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat eingeleitet. Da Griechenland das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland zum einen nicht innerhalb der Frist beantwortet hat, ist bereits nach Art. 18 Abs. 1 und 7 der Dublin II-VO davon auszugehen, dass dem Aufnahmeersuchen stattgegeben ist, was sich so zum anderen auch durch die Mitteilung der griechischen Behörden unter dem 2. Juli 2008 bestätigt hat. Da laut Auskunft des Bundesamtes nunmehr der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 27 a AsylVfG unmittelbar bevorsteht, ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers gegeben.

Der Antrag ist auch insoweit zulässig, als dass § 34 a Abs. 2 AsylVfG bestimmt, dass die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, der auf dem Wege des § 27 a AsylVfG - wie hier - ermittelt worden ist, nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf.

Entscheidend für den verfassungskonformen Ausschluss des Eilrechtsschutzes mit Wirkung für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist, ob das angerufene Gericht davon ausgehen kann, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 AsylVfG vorliegen. Dies ist nach der vorliegend zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zur Drittstaatenregelung) dann aber nicht der Fall, wenn die Bundesrepublik Deutschland aus verfassungs- oder konventionsrechtlichen Gründen Schutz zu gewähren hat, weil dessen Gewährung durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und somit nicht zu den Regelfällen des § 34a AsylVfG gehören, für die Eilrechtsschutz nicht in Frage kommt (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 - BVerfGE 94, 49, 99). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt zur Überzeugung des Gerichts ein Regelfall dann nicht vor, wenn eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage im Drittstaat gegeben ist. Ausgeschlossen ist der Ausländer lediglich mit der Behauptung, in seinem Fall werde der Drittstaat - entgegen seiner sonstigen Praxis - Schutz verweigern.

Insoweit hat sich die verfassungskonforme Auslegung des § 34 a AsylVfG auch nach Inkrafttreten der Änderung des Asylverfahrensgesetzes durch Art. 3 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien des Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl I S. 1970) nicht geändert. Der Gesetzgeber hat zwar die Prüfungskompetenz des Bundesamtes durch die Neufassung des § 27 a AsylVfG erweitert und dem Eilrechtsschutz, der zuvor gegen auf §§ 29 Abs. 3 Satz 1, 35 Satz 2 AsylVfG (1992) gestützte Anordnungen zulässig war, seine Grundlage entzogen (vgl dazu: HessVGH, Beschluss vom 31.08.2006, 9 UE 1464/06.A, dokumentiert in juris; VG Frankfurt a.M. Beschluss vom 01.08.2002 - 5 G 2082/02.A(3) -, AuAS 2002, S. 201). Dies enthebt das Gericht jedoch nicht von seiner Verpflichtung zur Prüfung, ob ein Ausnahmefall i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht beispielhaft Sonderfälle gebildet, deren gemeinsames Kennzeichen ist, dass bei ihrem Vorliegen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat unzulässig wäre (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 99). Hierzu gehören etwa die drohende Todesstrafe im Drittstaat, sonstige Ausnahmesituationen, aber auch, dass der Drittstaat - etwa aus politischer Rücksichtsnahme gegenüber dem Herkunftsstaat - sich des Flüchtlings ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen könnte.

Davon ausgehend, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26 a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zu Grunde liegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) grundsätzlich sichergestellt ist. Zudem beruht die Dublin II-VO wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1. EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und 12 der Dublin II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EGV).

Das erkennende Gericht hält die oben aufgeführten Sonderfälle - erstens - für nicht abschließend und - zweitens - grundsätzlich auch unter der Bedingung eines verfahrensrechtlich abgesicherten europäischen Asylrechts auf die vorliegende Sachlage übertragbar.

Nach dieser Maßgabe lässt sich vorliegend die der einstweiligen Anordnung zugrundeliegende Abwägung dahin gehend fassen, dass deren Erlass dann notwendig ist, wenn dem Antragsteller nach der Abschiebung nach Griechenland dort insbesondere ein die europäische Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326 S. 13) verletzendes Verfahren droht. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass dies einen schweren Nachteil für den Antragsteller bedeuten würde, der zudem irreversibel sein dürfte. Die in diesem Fall feststellbare Verletzung europäischen Rechts dürfte als weiterer, von dem Bundesverfassungsgericht zur Zeit des Ergehens seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigungsfähiger Sonderfall hinzukommen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind an die Darlegung eines Sonderfalles allerdings strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG, a.a.O. S. 100).

Das erkennende Gericht erachtet diesen Fall von vergleichbarem Gewicht wie den vom Bundesverfassungsgericht aufgeführten Sonderfall, dass sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26 a AsylVfG hierauf noch aussteht. Der Dublin II-VO liegt die gemeinschaftsrechtlich verankerte und gesicherte Erwägung zugrunde, dass Flüchtlingen in allen Mitgliedstaaten (jedenfalls normativ) ein gleichwertiges Asylverfahren offen steht. Entgegen dieser Erwägung ist dies Griechenland betreffend nicht der Fall.

Ausgehend von der Zielrichtung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, nämlich eine Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten zu erreichen, lässt sich feststellen, dass Griechenland als an der Außengrenze der EU liegendes Land aktuell ungleich stärker belastet und erheblich überfordert ist. Entsprechend wird kritisiert, mit der Dublin II-Verordnung werde die Bewältigung des Flüchtlingsansturms hauptsächlich auf die Länder mit Außengrenzen in Ost- und Südeuropa abgewälzt.

Die Lage in der Ost-Ägäis hat sich in den letzten fünf Jahren verschärft. In diesem Zeitraum haben fast 400.000 Personen versucht, illegal nach Griechenland einzureisen. Allein auf Samos wurden 2007 in den ersten neun Monaten mehr als 3.500 illegal eingereiste Migranten festgenommen (Bericht der NZZ vom 5.10.2007).

Nach dieser Maßgabe stellt sich der Antrag insoweit als begründet dar, als vorläufig von der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland abzusehen ist.

Nach dem gegenwärtigen Sachstand hat der Antragsteller unter Hinweis auf die vorgelegten Erkenntnisquellen glaubhaft dargetan, dass er ohne weitere, im einzelnen nachfolgend aufgeführte Garantien, seitens der griechischen Behörden mit der Abschiebung nach Griechenland, ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren befürchten müsse.

Es ist insoweit auch nicht zu verlangen, dass er darzulegen habe, wie er konkret selbst von der allgemein dargestellten Lage betroffen sein würde. Ein anderer Vortrag als solcher ausgerichtet an dem Rückschluss vom Allgemeinen auf das Konkrete wird er schwerlich erbringen können, zumal er selbst keinerlei Erfahrungen zu einem Asylverfahren in Griechenland hat, da er ein solches bislang dort nicht betrieben hat. Die von ihm dargelegten Umstände reichten insoweit für die zu stellende Prognose aus.

Griechenland hat bisher die Asylrichtlinien nicht in nationales Recht umgesetzt. Zur Zeit wird ein Präsidialerlass erarbeitet, mit dem die Aufnahmerichtlinie, die Verfahrensrichtlinie, die Qualifikationsrichtlinie und einige Bestimmungen der Familienzusammenführungsrichtlinie umgesetzt werden sollen. Es wird erwartet, dass der Erlass Mitte 2008 in Kraft tritt.

Der Europäische Gerichtshof hat bereits am 19. April 2007 Griechenland verurteilt (Rechtssache C-72/06 - ABl. C 96/16 v. 28.4.2007), weil es die Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG des Rates vorn 27. Januar 2003 nicht umgesetzt hat. Ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren ist im Februar 2006 eingeleitet worden, was zur Änderung der Praxis der griechischen Behörden bei der Handhabung des Abbruchs der Asylverfahren geführt hat (UNHCR Positionspapier vom Juli 2007).

Was die behördliche Praxis anbelangt, erreicht Griechenland nach Auffassung von UNHCR bisher die Standards für die Aufnahmebedingungen, die nach der vorgenannten Richtlinie vorgegeben werden, nicht (vgl. UNHCR Positionspapier zur Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland vom 15. April 2008).

Den vorgenannten Berichten zufolge ist Griechenland mit der Unterbringung von Flüchtlingen und illegalen Migranten erheblich überfordert, so dass diese in Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen, teils ohne Wasser und ohne Toiletten leben oder der Obdachlosigkeit ausgesetzt sind. Zudem berichteten Hilfsorganisationen von schweren Misshandlungen.

Ferner berichtet Pro Asyl von Regelinhaftierungen - auch Minderjähriger.

Vorwürfen der Anwaltskammer Thessaloniki zufolge herrschen skandalöse Zustände im griechischen Polizeigewahrsam: Illegal Eingewanderte und andere Festgenommene, die eigentlich innerhalb 24 Stunden einem Richter vorgeführt werden müssten, verbrächten mitunter zwei Wochen und länger eingepfercht in winzigen, überfüllten und verschmutzten Zellen. Bis zu 30 Gefangene, unter ihnen Jugendliche, Mütter und Kinder, hausten Tage lang auf nur 20 Quadratmetern - ohne Hofgang, ohne Waschmöglichkeiten, ohne medizinische Versorgung. Weiterhin kritisiert die Kammer, dass die Gefangenen keinen ungehinderten Zugang zu Anwälten hätten. Flüchtlingen würden zudem Erklärungen zur Unterschrift vorgelegt, in denen sie sich mit ihrer Abschiebung einverstanden erklärten (Bericht der FR vom 7.10.2007).

Betreffen auch die geschilderten katastrophalen und unmenschlichen Bedingungen in den Abschiebelagern, die behaupteten Misshandlungen durch die Küstenwache und wohl auch die Vorwürfe der Anwaltskammer die Bereiche an den griechischen Grenzen und insbesondere die Behandlung illegal eingereister Migranten, ist im Übrigen festzustellen, dass die griechische Verwaltungspraxis generell eine effektive Schutzgewährung häufig dadurch verhindert, dass sie den Zugang zu Asylverfahren erschwert bzw. nicht ermöglicht (betr. Registrierung, Rechtsbeistand, Dolmetscher, Information, Inhaftierung) und nur extrem beschränkte Aufnahmemöglichkeiten von Asylsuchenden bietet, die viele in menschenunwürdige Umstände treibt (überfüllte Unterkünfte, Obdachlosigkeit, mangelnde medizinische und soziale Versorgung) (vgl. hierzu auch UNHCR Papier, Stopp für "Dublin"-Transfers nach Griechenland vom 16. April 2008).

Hinsichtlich der Registrierung von Asylanträgen führt UNHCR (Auskunft an VG Frankfurt/Main vom 10.01.2008) aus, nach ihm vorliegenden Informationen gebe es hier häufig Probleme.

Im Hinblick auf das angeblich bestehende Risiko der Inhaftierung von Personen am Flughafen, die gemäß der Dublin II-Verordnung nach Griechenland überstellt worden seien, sei zu sagen, dass solche Praktiken keine rechtliche Basis im griechischen Recht hätten, da die Einreise der betreffenden Personen nicht illegal erfolgt sei. UNHCR sei kein Fall bekannt, in dem es zu einer solchen Inhaftierung gekommen sei.

Demgegenüber geht das VG Gießen in seiner Entscheidung vom 25. April 2008 - 2 L 201/08.<GI A - davon aus, dass die dort vorgelegten, für das Gericht glaubhaften Aufzeichnungen von Karl Kopp, Europareferent bei Pro Asyl, vom 8.02.2008 gerade belegen, dass die Festnahmen nicht allein illegal eingereiste Flüchtlinge betreffen. Hiernach wurde der iranische Asylsuchende P. (Antragsteller im vom VG Frankfurt/Main entschiedenen Verfahren 7 G 3911/07) nach seiner Überstellung nach Griechenland neun Tage am Flughafen Athen ohne rechtliche Grundlage inhaftiert. Nur aufgrund verschiedener Interventionen, zwei Besuche der Anwältin im Gewahrsam und einer persönlichen Intervention beim Public Prosecutor sei Herr P. entlassen worden. Die Entlassung sei erfolgt, ohne dass man ihm irgendwelche schriftlichen oder mündlichen Informationen per Dolmetscher gegeben hätte, wohin er sich wegen weiterer Registrierung wenden müsse. Zwar sei Herrn P. eine sechs Monate gültige "Red-Card" ausgehändigt worden, aber ohne Adressangabe. Aufgrund der fehlenden Wohnadresse sei er beim Aliens Department (Attica Police Asylum Departement) weggeschickt worden. Bei der zweiten Vorstellung habe der diensthabende Polizist einen iranischen Flüchtling zwecks Übersetzung herbeizitiert. Herrn P. sei mitgeteilt worden, er bekomme keinen Zugang zu diesem Gebäude, solange er nicht eine Wohnadresse vorweisen könne. Erst bei einer erneuten Vorsprache zusammen mit der Rechtsanwältin T. und seiner Person sei Herrn P. der Zutritt zum Gebäude gewährt worden und er habe sich offiziell als "wohnsitzlos" melden können. Kopp stellt mit dieser Erfahrung fest, dass es Herrn P. ohne Intervention Dritter, ohne Intervention einer Anwältin, ohne Intervention einer Organisation nicht gelungen wäre, sich Zugang zu dem Gebäude zu verschaffen. Kopp führt hierzu weiter aus, seit geraumer Zeit müssten Asylsuchende sonntags anstehen, um Termine für die darauffolgende Woche zu bekommen. Beispielsweise hätten von den knapp 1200 am Sonntag, den 27.01.2008, vor dem Gebäude anwesenden Personen etwa 300 willkürlich ausgewählte Menschen einen Termin bekommen, die anderen seien gezwungen, eine Woche später wieder zu erscheinen, um die gleiche entwürdigende Prozedur zu durchlaufen. Rechtsanwälte und UNHCR Griechenland hätten festgestellt, dass es keinen Zugang zum Gebäude und damit zu einem geregelten Asylverfahren gebe. Ohne das sonntägliche Terminvergabesystem kämen nach Einschätzung des Ecumenical Program for Refugees, der Group of Lawyers und UNHCR Griechenland nur Asylsuchende ins Gebäude, die von Anwälten oder Organisationen begleitet würden. Ohne diesen Einsatz wäre Herr P. in den Akten als "nicht auffindbar" qualifiziert worden. Rechtsanwältin T. habe berichtet, dass im behördeninternen Verfahren Asylsuchende, die sich innerhalb von 5 Tagen nicht beim Aliens Department meldeten, als "nicht auffindbar" gelten würden. Allein die Tatsache, dass der Zugang zum Gebäude nicht gewährleistet sei, führe dazu, dass Schutzsuchende, ohne dass sie es wüssten, aus dem Asylverfahren herausgedrängt würden. Denn die Ablehnung im Erstverfahren würde einfach öffentlich ausgehängt mit der Folge des Fristenablaufs und der entstehenden Rechtskraft der Ablehnung.

Es kann zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts auch nicht als ausreichend angesehen werden, dass die deutsche Botschaft über das Überstellungsansinnen in Griechenland informiert ist und die griechischen Überstellungsbehörden durch das Anhörungsschreiben zur Übernahme und darauf erfolgter Rückäußerung bestätigen, dass der Antragsteller ein Asylverfahren durchführen möchte. Der deutsche Botschafter in Griechenland hat keinerlei rechtliche Handhabe die dortigen Behörden zur ordnungsgemäßen Durchführung eines Asylverfahrens anzuhalten, noch schützt den Antragsteller das Wissen der dortigen Behörden, dass er einen Asylantrag bearbeitet haben möchte, davor, einer unhaltbaren Versorgungslage ausgesetzt zu sein. Hiervon geht ja auch das Bundesamt selbst aus, wenn es dies dadurch einräumt, dass es deswegen bei den Rückführungsentscheidungen hinsichtlich Griechenlands die Gruppen ausscheidet, die besonders geschwächt sind oder besonderer Hilfe benötigen. Kriterium kann hier auf jeden Fall nicht sein, wer länger irreguläre Verhältnisse durchstehen kann.

Aus alledem folgt, dass für den Antragsteller ein fairer und effektiver Zugang zum Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Vielmehr muss er mit den beschriebenen rechtserheblichen und irreversiblen Nachteilen (von einer Inhaftierung bis hin zur Obdachlosigkeit) rechnen.

Die vorliegend befristet erlassene einstweilige Anordnung soll der Antragsgegnerin die Möglichkeit einräumen, unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen von ihrem Ermessen dahingehend Gebrauch zu machen, dass sie sich gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO für zuständig erklärt. Sofern die Antragsgegnerin sich dazu nicht entschließt, hat sie andererseits die Möglichkeit, während des Anordnungszeitraums von den griechischen Behörden konkrete Garantien dazu einzuholen, dass bei einer Überstellung des Antragstellers diesem umgehend eine Registrierung seines Asylantrags sowie Informationen unter Hinzuziehung eines anerkannten Dolmetschers und Rechtsbeistand ermöglicht wird, dieser in einer angemessenen Unterkunft ohne Haftcharakter untergebracht wird und im Bedarfsfall Zugang zu medizinischer und sozialer Versorgung besteht. Soweit entsprechende Garantien vorliegen, sieht das Gericht voraussichtlich die aufgezeigten drohenden Nachteile ausgeräumt.

Der Antragsteller hat die Möglichkeit, im Fall, dass die Antragsgegnerin sich nicht zum Selbsteintritt entschließt, im Zusammenhang mit dem Ablauf des Anordnungszeitraums erneut eiligen Rechtsschutz zu beantragen.