LSG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.07.2008 - L 23 B 9/08 AY ER - asyl.net: M13724
https://www.asyl.net/rsdb/M13724
Leitsatz:

Gewährt der Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungen nach § 2 AsylbLG ohne zeitliche Beschränkung, so ist darin regelmäßig eine Leistungsgewährung auf unbestimmte Zeit zu sehen, so dass Widerspruch und Anfechungsklage gegen eine spätere Leistungseinschränkung aufschiebende Wirkung haben.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungsbescheid, Verwaltungsakt, Auslegung, Dauerwirkung, Anfechungsklage, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: SGG § 86a Abs. 1; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Gewährt der Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungen nach § 2 AsylbLG ohne zeitliche Beschränkung, so ist darin regelmäßig eine Leistungsgewährung auf unbestimmte Zeit zu sehen, so dass Widerspruch und Anfechungsklage gegen eine spätere Leistungseinschränkung aufschiebende Wirkung haben.

(Leitsatz der Redaktion)

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat den auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichteten Antrag zu Unrecht abgewiesen.

Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers war dahingehend auszulegen, dass beantragt ist, die Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 08. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. April 2008 festzustellen.

Mit dem mit der Klage angefochtenem Bescheid vom 08. Februar 2008 sind dem Kläger Leistungen ab 08. Februar 2008 teilweise entzogen worden. Dies gilt auch, sofern der Antragsgegner zuvor mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden festgestellt hatte, dass der Antragsteller zum Personenkreis des § 2 AsylbLG gehört. Zulässige Klageart gegen den Bescheid vom 08. Februar 2008 ist daher in der Hauptsache die Anfechtungsklage, die nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung hat. In entsprechender Anwendung des § 86 b Abs. 1 SGG kann das Gericht auf Antrag durch Beschluss aussprechen, dass ein Widerspruch oder eine Klage aufschiebende Wirkung hat, wenn zweifelhaft ist, ob eine aufschiebende Wirkung eingetreten ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rn. 15).

Nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Mit dein mit der Klage angefochtenen Bescheid vorn 08. Februar 2008 hat der Antragsgegner in die mit Bescheid vom 19. Juni 2007 gewährten Leistungen für die Zeit ab 01. Juli 2007 teilweise eingegriffen und damit in den laufenden, zuerkannten Leistungsbezug nach § 2 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII eingegriffen.

Zwar sind Leistungen nach dem AsylblG in der Regel - wie Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII - keine rentengleichen Dauerleistungen, sondern Hilfen in einer bestimmten Notsituation (vgl. zu den Leistungen nach dein BSHG: Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - vom 30. November 1996, Vc 29.66, BVerwGE 25, 307; vom 15. November 1967, Vc 71.67 BVerwGE 28, 216). Die Leistungen werden grundsätzlich in Abhängigkeit von der Bedarfssituation nur für die nächstliegende Zeit bewilligt. Grundsätzlich entscheidet daher der Träger der Leistungen nach dem AsylbLG in zulässiger Weise über den nächstliegenden Zahlungszeitraum. Die Einstellung oder Verringerung der Hilfen stellt daher in der Regel auch keinen Widerruf, keine Rücknahme oder Aufhebung eines fortwirkenden (Dauer-)Bewilligungsbescheides dar, sondern die Versagung einer weiteren Bewilligung für die Zukunft. Steht der Grundsatz der Nothilfeleistung nicht negativen Vorabentscheidungen mit Dauerwirkung für den zukünftigen Leistungsbezug über den nächstliegenden Zahlungszeitraum hinaus entgegen (BVerwG vom 14. Juli 1998, 5 C 2/97, juris), ist der Sozialhilfeträger aber nicht gehindert, einen Sozialhilfefall auch für einen längeren Zeitraum zu regeln (BVerwG vorn 19. Januar 1972, VC 10.71, BVerwGE 39, 261, 265, vom 26. September 1991, 5 C 14/87, juris). Trifft er in einem Sozialhilfefall eine Regelung zur Höhe der Leistungen nicht nur für den nächstliegenden Zeitraum, sondern darüber hinaus für einen längeren Zeitraum, muss sich der Sozialhilfeträger daran festhalten lassen. Änderungen greifen dann in eine zuerkannte (Dauer-)Leistung ein. Die Vornahme von Änderungen im Leistungsbezug hat dann nach den weiteren Regeln des Sozialverwaltungsverfahrens über die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (§§ 44 ff. SGB X) zu erfolgen.

Bereits mit Bescheid vom 02. September 2004 hat der Antragsgegner dem Antragsteller die höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG zuerkannt und in der Folge auf der Grundlage dieses Bescheides ausgezahlt. Mit Bescheid vom 10. Januar 2005 hat der Antragsgegner die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG nach Inkrafttreten des SGB XII für die Zeit ab Januar 2005 festgestellt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller im vorliegenden Fall zuletzt mit dem Bescheid vom 19. Juni 2007 Leistungen nach § 2 AsylbLG in Verbindung mit den Regelungen des SGB XII (weiter) für die Zeit ab 01. Juli 2007 zuerkannt und damit die Leistungsgewährung nicht nur für den nächstliegenden, sondern darüber hinaus für einen nicht näher bestimmten Zeitraum gewährt. Aus der Formulierung des Bescheides ergibt sich, dass der Antragsgegner dem Antragsteller auch für die Zeit ab 01. Juli 2007 Leistungen grundsätzlich nach den Regelungen des § 2 AsylbLG i.V.m dem SGB XII gewähren wollte. So hat er mit dem Bescheid ausgeführt, dass der Antragsteller Anspruch auf Leistungen gem. § 2 AsylbLG habe, und weiter die Höhe der Leistung die Zeit ab 01. Juli 2007, die sich aus der Anwendung des § 2 AsylbLG ergab, ohne Angabe einer zeitlichen Befristung für die Zeit ab 01. Juli 2007 ausgewiesen. In der Folge wurden dem Antragsteller jeweils auf der Grundlage dieses Bescheides entsprechend die Leistungen ausgezahlt. Dieses entsprach der bisherigen Verwaltungspraxis gegenüber dem Antragsteller, denn auch zuvor waren die monatlichen Leistungen auf der Grundlage der Bescheide vom 02. September 2004 und 10. Januar 2005, die einen Leistungsanspruch nach § 2 AsylbLG zuerkannt hatten, ausgezahlt worden.

Zwar hat der Antragsgegner hier mit den Bewilligungsbescheiden nicht ausgeführt, dass die Leistungen "bis auf weiteres" gewährt würden. Aus den Formulierungen der Bescheide geht jedoch ebenfalls mit hinreichender Deutlichkeit der Wille des Antragsgegners hervor, dem Antragsteller auf zunächst unbestimmte Zeit - und nicht nur für den nächstliegenden Zeitraum - Leistungen auf der Grundlage des § 2 AsylbLG zu gewähren. Damit hat der Antragsgegner eine Vorabentscheidung für den zukünftigen Leistungsbezug getroffen, die nicht nur für den nächstliegenden Zeitraum wirkt. Das ergibt sich auch daraus, dass er im Juni 2007 die bis dahin erfolgte Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG überprüft hat und den Antragsteller auch bezüglich einer Änderung der Leistungshöhe im Hinblick auf die Anwendung des § 1 a AsylbLG angehört hat. Die Prüfung hat der Antragsgegner aber mit der Feststellung abgeschlossen, dass weiterhin Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren seien. Dies ergibt sich aus dem Aktenvermerk vom 31. Juli 2007. In der Folge ist daher an dem Kläger auch kein neuer Bewilligungsbescheid ergangen, sondern entsprechend dem bereits erteilten Bescheid vom 19. Juni 2007 eine Barauszahlung der Leistungen vorgenommen worden.