VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 18.07.2008 - 6 K 0106/06 - asyl.net: M13727
https://www.asyl.net/rsdb/M13727
Leitsatz:

Ist der entscheidende Grund für die Passlosigkeit eines Ausländers nicht seine fehlende Mitwirkung, sondern Unwilligkeit oder -fähigkeit seiner Heimatbehörden, kann dem Ausländer das Unterlassen weiterer Bemühungen zur Erlangung von Reisedokumenten nicht vorgehalten werden.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Passlosigkeit, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Auslandsvertretung, Pakistan, Pakistaner, Verschulden, Zumutbarkeit, Ursächlichkeit, Beweislast
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

Ist der entscheidende Grund für die Passlosigkeit eines Ausländers nicht seine fehlende Mitwirkung, sondern Unwilligkeit oder -fähigkeit seiner Heimatbehörden, kann dem Ausländer das Unterlassen weiterer Bemühungen zur Erlangung von Reisedokumenten nicht vorgehalten werden.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Klage ist als Bescheidungsverpflichtungsklage zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufentG.

Der Erteilung der Erlaubnis steht entgegen der Auffassung des Beklagten auch die Vorgabe des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG nicht entgegen. Eine Aufenthaltserlaubnis darf danach nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein solches Verschulden liegt nach § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG dann vor, wenn der Ausländer u.a. zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

Hiervon kann im Fall des Klägers nicht ausgegangen werden. Er hat alle zumutbaren Anforderungen, die zur Beseitigung des bestehenden Ausreisehindernisses (Fehlen von Heimreisepapieren) hätten beitragen können, erfüllt.

Bei der Prüfung, wem objektiv bestehende Ausreisehindernisse angelastet werden, wenn es um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG geht, kommt der Frage entscheidende Bedeutung zu, was das Gesetz unter dem Begriff des "Verschuldens" versteht bzw. was "zumutbar" im Sinne dieser Vorschrift ist. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe unterliegen in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung.

Wie sich aus den Regelbeispielen in § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG ergibt, knüpft der Gesetzgeber zur Konkretisierung des Verschuldensbegriffs entscheidend an das Kriterium der Zumutbarkeit an: Es soll demjenigen eine Aufenthaltserlaubnis verweigert werden, der die zumutbare Möglichkeit hat, ein bestehendes Ausreisehindernis zu beseitigen, dies aber nicht tut (vgl. Benassi, InfAuslR 2005, 357, 362) . § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG ist insofern nahezu wortgleich der Regelung des § 30 Abs. 4 letzter Halbsatz AuslG ("sich weigert, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen") nachgebildet, so dass zur Auslegung zunächst die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung herangezogen werden kann (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 01.06.2005 - 18 B 677/05 -, zitiert nach Juris) . Danach trifft den ausreisepflichtigen Ausländer die Pflicht, alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beizutragen, etwaige Ausreisehindernisse zu überwinden. Dazu ist es nicht erforderlich, dass der Ausländer sich "förmlich" weigert, ein Ausreisehindernis zu beseitigen; es genügt, dass er zumutbare Handlungen zur Ermöglichung seiner Ausreise unterlässt oder verzögert. Über die Zumutbarkeit der dem Ausländer obliegenden Handlungen ist unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 1 C 8.98 -, InfAuslR 1999, 106 m.w.N.) . Des Weiteren geht aus dem Wortlaut von § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG hervor, dass dem Ausländer ein Verschuldensvorwurf nur gemacht werden kann, wenn sein Verhalten für die fehlende Möglichkeit der Ausreise kausal ist (vgl. Benassi, a.a.O.; Zeitler, HTK-AuslR/§ 25 AufenthG/zu Abs. 5 04/2006 Nr. 4.1). Zumutbare Handlungen können daher dann nicht verlangt werden, wenn sie von vornherein aussichtslos sind, d. h. wenn praktisch ausgeschlossen erscheint, dass sie das Ausreisehindernis beseitigen können (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.06.2003, a.a.O.; ebenso Beschl. v. 25.04.2006 - 11 S 1869/05 - zu § 11 BeschVerfV) . Schließlich ist - insbesondere mit Blick auf § 82 Abs. 1 und 3 AufenthG - zu berücksichtigen, dass nach der Konzeption des Gesetzgebers die Verantwortung für die Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht allein und ausschließlich entweder der Ausländerbehörde oder dem Ausländer auferlegt werden kann. Im Rahmen der Verschuldensprüfung nach § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG sind vielmehr wechselseitige Pflichten sowohl des betroffenen Ausländers wie auch der zuständigen Ausländerbehörde zu beachten und zu werten. Den Ausländer trifft eine Mitwirkungs- sowie eine Initiativpflicht hinsichtlich ihm bekannter und zumutbarer Aufklärungsmöglichkeiten: Er ist gehalten, sowohl sämtlichen konkreten Anforderungen der Behörde nachzukommen, soweit diese für ihn zumutbar sind, als auch von sich aus diejenigen Schritte zu ergreifen, die ihm bei objektiver Sichtweise geeignet und möglich erscheinen müssen, das Verfahren zielführend weiter zu betreiben. Der Behörde obliegt hingegen die Erfüllung von Hinweis- und Anstoßpflichten: Sie muss den Ausländer auf diejenigen geeigneten Möglichkeiten zur Beseitigung von Ausreisehindernissen hinweisen, die ihm bei objektiver Sichtweise nicht bekannt sein können; sollen dem Ausländer zusätzliche Obliegenheiten auferlegt werden, muss die Behörde einen entsprechenden Anstoß in Richtung einer bestimmten Maßnahme oder Tätigkeit geben. Erfüllen beide Seiten ihre Obliegenheiten und kann das Ausreisehindernis gleichwohl nicht beseitigt werden, kann dies nicht zu Lasten des Ausländers gehen. Ein Verschulden im Sinne einer subjektiven Vorwerfbarkeit liegt dann nämlich nicht vor. Dies ist etwa der Fall, wenn Dritte, zum Beispiel die Vertretung des Heimatstaates, sich trotz entsprechender Aufforderungen weigern, Heimreisedokumente auszustellen (vgl. zum Ganzen ausführlich: Bayrischer VGH, Urt. v. 23.03.2006 - 24 B 05.2889 -, Juris; Beschl. v. 04.10.2005 - 24 C 05.2856 -, InfAuslR 2006, 189; VG Sigmaringen, Urteil vom 20.07.2006 - 8 K 577/04 -, zitiert nach juris).

Die Regelungen in § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG stehen vorliegend der Annahme eines sogenannten "Sollanspruchs" im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nicht entgegen. Der Kläger hat im Wesentlichen die vom Beklagten geforderten Anstrengungen unternommen. Weitergehende Bemühungen erscheinen angesichts der offensichtlichen Unfähigkeit oder Unwilligkeit der pakistanischen Behörden, dem Kläger ein Reisedokument auszustellen, nicht zielführend. Insbesondere fehlt es an substantiierten Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger gegenüber den Behörden tatsächlich falsche Angaben gemacht hat. Zwar weist der Aktenvermerk vom 18.07.2007 aus, dass sich der pakistanische Generalkonsul nach einer Internetüberprüfung der vom Kläger gemachten Angaben dahingehend geäußert habe. Inwiefern falsche Angaben gemacht worden sein sollen, ist jedoch ebenso unbekannt wie die genauen Umstände, aufgrund derer der Generalkonsul zu dieser Bewertung gelangt ist. Dass allein die entsprechende Äußerung des pakistanischen Generalkonsuls nicht ausreichend ist, eine entsprechende Täuschungshandlung seitens des Klägers anzunehmen, beruht auf dem Umstand, dass der Vermerk weiter ausweist, es seien weitere Überprüfungen im Heimatland des Klägers angeordnet worden. Weshalb bei angeblich falschen Angaben überhaupt noch eine weitere "intensive Überprüfung" im Heimatland des Klägers erfolgen soll, ist nicht nachvollziehbar. Auch aus welchem Grund diese ebenfalls bislang ohne Ergebnis geblieben sind, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Von daher bietet der Sachverhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte, dem Kläger eine Täuschungshandlung vorzuhalten. Soweit der Beklagte vom Kläger fordert, weitere Anstrengungen zur Aufklärung seiner Identität zu unternehmen, setzt eine Zurechnung nicht unternommener Aktivitäten durch den Kläger voraus, dass diese hätten zur Klärung der Identität und insbesondere zur Beseitigung des Ausreisehindernisses beitragen können. Es ist für die Kammer nicht erkennbar, welche weiteren Initiativen der Kläger an den Tag hätte legen sollen, um - worauf es hier allein ankommt - die pakistanische Botschaft dazu zu bewegen, für ihn einen Pass oder andere die Heimreise ermöglichende Dokumente auszustellen.