OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2008 - 18 A 1145/07 - asyl.net: M13737
https://www.asyl.net/rsdb/M13737
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Spezialprävention, Wiederholungsgefahr, Strafrestaussetzung, Bindungswirkung, Ausländerbehörde, Sachverständigengutachten
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die benannten Zulassungsgründe rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.

Hinsichtlich des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bedarf es einer auf schlüssige Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist das für die Strafvollstreckungskammer erstellte Psychiatrische Gutachten des Dr. L. vom 5. April 2006 ebenso wie der Bewährungsbeschluss des Landgerichts Krefeld vom 26. April 2006 – StVK O 1175/05(37) nicht geeignet, die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in seinem mit dem angefochtenen Urteil in Bezug genommenen Beschluss vom 10. Januar 2006 – 27 L 1616/05 – zur Erforderlichkeit der Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen zu widerlegen.

Durch die Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2000 – 9 C 6.00 –, BVerwGE 112, 185 = NVwZ 2001, 442 = DVBl 2001, 483 = InfAuslR 2001, 194, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 9. November 2001 – 10 S 1909/01 –, InfAuslR 2002, 175 = EZAR 043 Nr. 52 und OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2003 – 17 B 1338/02 – sowie Senatsbeschluss vom 16. Juli 2003 – 18 B 1285/03 –, juris) ist geklärt, dass die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden sind, sondern eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen haben. Sie können daher sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen. Dies kann gerade bei einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB deshalb in Betracht kommen, weil hier – anders als bei der auch vom Gesetzgeber im Rahmen der Ausweisungstatbestände berücksichtigten Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB (vgl. §§ 53 Nr. 1 und 2, 54 Nr. 1 AufenthG) – schon wegen der maßgeblichen Bedeutung der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt (§ 454 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO) naturgemäß eher Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Zudem geht es bei der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung um die Frage, ob die vorzeitige Entlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB), während die ausländerrechtliche Beurteilung eine im Regelfall an strengeren Kriterien orientierte und darüber hinaus längerfristige Gefahrenprognose erfordert.

Sind die Verwaltungsgerichte nach alledem an eine strafrichterliche Prognoseentscheidung nicht gebunden, so gilt dies erst recht hinsichtlich der hier weiter in Rede stehenden prognostischen Einschätzungen, die in einem von der Strafvollstreckungskammer in Auftrag gegebenen Gutachten enthalten sind. Denn ein Sachverständiger begutachtet aufgrund seiner besonderen Sachkunde auf einem Fachgebiet (lediglich) als "Gehilfe" des Richters einen grundsätzlich vom Gericht festzustellenden Sachverhalt (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1985 – 8 C 15.84 –, BVerwGE 71, 38 = NJW 1986, 2268 = Dok.Ber. A 1985, 191; Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 98 Rn. 101).

Einem – wie hier – zur Vorbereitung einer Entscheidung nach § 57 StGB eingeholten Gutachten kommt demgemäß allenfalls die Bedeutung einer Entscheidungshilfe für die vom Strafrichter zu treffende Sozialprognose zu (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage 2006, § 57 Rn. 14), was die Annahme einer weitergehenden Bindungswirkung für die vom Verwaltungsgericht unabhängig und eigenständig zu treffende Prognoseentscheidung bereits vom Ansatz her ausschließt.