VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 24.06.2008 - 19 C 08.478 - asyl.net: M13748
https://www.asyl.net/rsdb/M13748
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Aussetzung des Verfahrens, Rücknahme, Flüchtlingsanerkennung, Konventionsflüchtlinge, subsidiärer Schutz, Niederlassungserlaubnis
Normen: VwGO § 94; AufenthG § 25 Abs. 2; AufenthG § 25 Abs. 3; AufenthG § 25 Abs. 4; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 26
Auszüge:

Die Beschwerden gegen den Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts sind unbegründet.

1. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach seine Entscheidung über die Begehren auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen vom Ausgang der Verfahren über die Bundesamtbescheide vom 13. Februar 2007 abhängt, ist nicht zu beanstanden. Diese Bescheide nehmen die Feststellungen des Bundesamtes zu § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 4 AuslG vom 10. Oktober 2002 zu Bedrohungen im Falle einer Rückkehr in die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) zurück, weil die Klägerinnen nach der Verfassung Südkoreas (auch) Staatsangehörige dieses Landes seien (Doppelstaatsangehörigkeit aller Nordkoreaner).

Eine Abhängigkeit von einem anderen Rechtsstreit im Sinne des § 94 VwGO liegt vor, wenn die andere Entscheidung irgendeinen rechtlichen Einfluss auf das ausgesetzte Verfahren hat (Rennert in Eyermann, VwGO, 12. Auflage 2006, RdNr. 4 zu § 94 m.w.N.). Der Überprüfung im Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts zu Grunde zu legen, es sei denn, diese Rechtsauffassung ist grob fehlerhaft zustande gekommen. Bei einer vollständigen Überprüfung würde die gesetzliche Reihenfolge der Instanzen dadurch verletzt, dass das Beschwerdegericht in einem Zwischenstreit über die Aussetzung des Verfahrens den gesamten Streitstoff beurteilen und dem Ausgangsgericht praktisch sein Urteil in der Hauptsache vorgeben müsste (BayVGH vom 4.6.1991 NVwZ-RR 1992, 215; VGH Mannheim vom 2.11.1999 Az. 11 S 1770/99 – Juris; Rudisile in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 41 zu § 94; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, RdNr. 7 zu § 94).

a) Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass den Klägerinnen die begehrten Aufenthaltserlaubnisse zustehen, wenn sie mit ihren Klagen gegen die Rücknahmebescheide des Bundesamtes letztendlich Erfolg haben, ist nach diesen Maßstäben nicht zu beanstanden. Auf die Möglichkeit, dass die Klägerinnen in Wahrheit nicht nordkoreanische Staatsangehörige, sondern Staatsangehörige der Volksrepublik China sind, kommt es bei der Überprüfung des Aussetzungsbeschlusses nicht an. Von ausreichenden Anhaltspunkten hierfür – die den Begehren auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen die Grundlage entziehen würden – geht das Verwaltungsgericht derzeit nicht aus. Dies ergibt sich aus dem Beschluss, das Verfahren auszusetzen.

b)Wenn die Klägerinnen dagegen im Verfahren um die Rücknahmebescheide letztlich erfolglos bleiben, ist zwar eine Zuerkennung von Aufenthaltserlaubnissen ebenfalls nicht ausgeschlossen. In diesem Fall sind jedoch komplexe Fragen des Aufenthaltsrechts zu beantworten, die es rechtfertigen, das Verfahren über die Begehren auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen bis zum Abschluss der asylrechtlichen Verfahren über die Rücknahmebescheide zurückzustellen, zumal deren Ergebnisse auch dann von Bedeutung sein können, wenn die Klägerinnen in diesen Verfahren nicht obsiegen.

aa) Wenn die asylrechtlichen Rücknahmebescheide Bestand haben, können die Klägerinnen die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 2 AufenthG nicht mehr beanspruchen (§ 70 Abs. 1 AsylVfG in der bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung bildet keine geeignete Rechtsgrundlage mehr, weil grundsätzlich das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht anzuwenden ist und eine Übergangsregelung fehlt, die für den vorliegenden Fall ein Abweichen von diesem Grundsatz vorsieht).

Die Rücknahmebescheide vom 13. Februar 2007 beseitigen die den Klägerinnen günstigen Feststellungen mit Wirkung für die Zukunft. Zwar sind die Feststellungen des Bundesamtes vom 10. Oktober 2002 nach wie vor "unanfechtbar" im Sinne des § 25 Abs. 2 AufenthG. Erteilte Aufenthaltserlaubnisse wären aber nun widerrufbar (§ 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und Nr. 5 Buchst. a, § 101 Abs. 2 AufenthG), und zwar auch schon vor dem Eintritt der Bestandskraft des Rücknahmebescheides. Nach der dem Aufenthaltsgesetz zu Grunde liegenden Vollzugstheorie lässt die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Rücknahmebescheid die Wirkung der Rücknahme unberührt (Schäfer in GK AufenthG, RdNr. 80 zu § 52, Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, RdNr. 9 zu § 52). Das Interesse an einer Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, die sogleich widerrufen werden könnten, ist rechtlich nicht schutzwürdig.

Auch hinsichtlich des Zeitraums bis zum Erlass der Bescheide vom 13. Februar 2007 können die Klägerinnen Ansprüche auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 2 AufenthG nicht geltend machen. Zwar kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für zurückliegende Zeiträume zugesprochen und dadurch einer Säumnis oder Weigerung der Ausländerbehörde trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen abgeholfen werden. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor, so treten ihreWirkungen auch dann bereits zu diesem Zeitpunkt ein, wenn die Ausländerbehörde die Erteilung zunächst abgelehnt hat und erst später gerichtlich dazu verpflichtet wird (BVerwG vom 21.1.1992 NVwZ 1992, 1211 – Juris-RdNr.13 – sowie vom 24.5.1995 BVerwGE 98, 313 – JurisRd-Nr. 27; Renner a. a.O. RdNr. 8 zu § 26; vgl. auch § 84 Abs. 2 S. 3 AufenthG). Für einen bereits abgelaufenen Zeitraum kann eine Aufenthaltserlaubnis jedoch nicht erteilt werden (BVerwG vom 1.3.1983 BVerwGE 67, 47).

bb) Ob die Ansprüche der Klägerinnen im Hinblick auf andere ausländerrechtliche Vorschriften begründet sind, ist offen; das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anlass, der abschließenden Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts vorzugreifen.

(1) Ein Anspruch aufgrund § 25 Abs. 3 AufenthG i. V. m. der Vorschrift des § 60 Abs. 5 AufenthG (die § 53 Abs. 4 AuslG abgelöst hat) besteht nicht, weil eine erteilte Aufenthaltserlaubnis sogleich widerrufen werden könnte (vgl. Nr. 1a). Die Vorschriften des § 25 Abs. 4 und Abs. 5 AufenthG legitimieren entweder nur einen (dem Begehren der Klägerinnen nicht entsprechenden) vorübergehenden Aufenthalt für nicht vollziehbare ausreisepflichtige Ausländer oder setzen eine Unmöglichkeit der Ausreise (nicht: der Abschiebung) aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen voraus. Hinsichtlich Südkorea geht das Verwaltungsgericht bislang von einer solchen Unmöglichkeit der Ausreise nicht aus; die Ergebnisse der Verfahren über die Rücknahmebescheide des Bundesamtes können hier von Bedeutung sein.

(2) Eine Anwendung des § 26 AufenthG erscheint nicht von vornherein als ausgeschlossen. Es spricht einiges dafür, dass den Klägerinnen Ansprüche auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Vorschrift des § 70 Abs. 1 AsylVfG zugestanden haben (vgl. die Entscheidung des Senats vom 9.5.2007 Az. 19 C 06.2835). Erst recht gilt dies für die Zeit ab dem 1. Januar 2005; die Vorschrift des § 25 Abs. 2 AufenthG enthält nicht mehr die noch in § 70 Abs. 1 AsylVfG a. F. genannte Voraussetzung, dass die Abschiebung des Ausländers aus rechtlichen oder tatsächlichen nicht nur vorübergehenden Gründen unmöglich ist. Die Auffassung des Beklagten, diese Voraussetzung gelte dennoch im Rahmen des § 25 Abs. 2 AufenthG weiterhin wegen der Vorschrift des § 26 Abs. 2 AufenthG, dürfte dem Gesetz widersprechen (vgl. § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG einerseits und § 25 Abs. 2 Satz 2 AufenthG andererseits sowie Hailbronner, Ausländerrecht, RdNr. 39 zu § 25).

Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor, kann der Ausländer nachträglich die Anerkennung erreichen, dass ihm bereits zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht zur Seite gestanden hat (vgl. Nr. 1a). Vorliegend wären die Verwaltungsgerichte zwar – wenn die Rücknahmebescheide des Bundesamtes Bestand haben – durch den nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse an Verpflichtungsaussprüchen gehindert. Das Bundesamt hat aber die den Klägerinnen günstigen Feststellungen – weil sie nicht durch rechtswidriges Verhalten der Klägerinnen, sondern durch eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Bundesamtes herbeigeführt worden sind – nur für die Zukunft zurückgenommen. Es hat damit diese rechtliche Voraussetzung für die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen (ab dem 1.1.2005: von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 2 AufenthG) für die Zeit bis zur Rücknahmeentscheidung nicht beseitigt.