OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - asyl.net: M13753
https://www.asyl.net/rsdb/M13753
Leitsatz:

Keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gruppenverfolgung von Hindus in Afghanistan; keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG für Hindus in Afghanistan.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Hindus, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Übergriffe, Diskriminierung, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Kumulierung, Verfolgungshandlung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, ernsthafter Schaden, bewaffneter Konflikt, willkürliche Gewalt, Anerkennungsrichtlinie, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Versorgungslage, Situation bei Rückkehr, Wohnraum
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gruppenverfolgung von Hindus in Afghanistan; keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG für Hindus in Afghanistan.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Begehren der Kläger bleibt auch im Berufungsverfahren ohne Erfolg.

Für das Begehren der Kläger ist auf das Kriterium der beachtlichen Wahrscheinlichkeit abzustellen. Denn der Senat konnte ebenso wie das Verwaltungsgericht und das Bundesamt nicht die Überzeugung gewinnen, dass die als für das Verlassen Afghanistans ausschlaggebend geschilderten Umstände der Wahrheit entsprechen.

Zur Situation der Hindus in Afghanistan bis zur und für die angegebene Zeit der Ausreise der Kläger ist mit Aussagewert zum einen für die aufgezeigten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der als fluchtauslösend gebotenen Ereignisse und zum anderen für das Fehlen einer Gruppenverfolgung in dem bereits genannten Urteil des Senats vom 20 März 2003 – 20 A 4329/97.A – ausgeführt:

"Aus dem Gesamtbild ist nicht auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der politischen Verfolgung von Hindus im Falle der Rückkehr nach Afghanistan zu schließen. Obwohl die derzeitige Lage nachhaltig von der Anwesenheit der ISAF und damit ausländischen Interessen beeinflusst wird, die wiederum Veränderungen wegen sonstiger aktueller internationaler Konflikte – etwa um den Irak – unterliegen können, ist eine Wiederholung der Zustände, die in den Jahren des Bürgerkriegs in Kabul für Hindus geherrscht haben, nicht abzusehen. Eine hinreichende Dichte von Übergriffen mit asylerheblicher Intensität, wie sie zur Zeit der Ausreise des Klägers gegeben gewesen sein mag, erscheint, da von der Annahme eines Überfälle lohnenden wirtschaftlichen Status der Hindus kaum mehr auszugehen ist, selbst für den Fall nicht wahrscheinlich, dass es zum Entfallen der gegenwärtig konstatierten relativen Ordnung kommen sollte."

Hierauf kann verwiesen werden, weil die zugrunde liegenden Erkenntnisquellen auch in das vorliegende Verfahren eingeführt worden sind.

Für die danach erforderliche Feststellung, ob eine Verfolgung der Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, knüpft der Senat an die Ergebnisse seiner dargestellten Rechtsprechung an, weil die Kläger über die Zugehörigkeit zu den Hindus hinaus keine Anknüpfungspunkte gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG aufgezeigt haben. Entscheidend ist mithin, ob sich die maßgeblichen Verhältnisse in relevanter Weise verändert haben, ob bei der Beurteilung nunmehr andere Kriterien zu beachten sind und/oder ob sich die früheren Wertungen des Senats im Nachhinein als falsch erwiesen haben. Keine dieser Alternativen trifft zu.

Zur weiteren tatsächlichen Entwicklung der Situation der Hindus hat der Senat etwa im Beschluss (§ 130a VwGO) vom 15. Dezember 2006 – 20 A 666/05.A – festgestellt: ...

Diese Feststellungen sind zwar in einem Verfahren getroffen worden, in dem lediglich die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Rede stand; sie enthalten aber zum Tatsächlichen alles, was für die Lage der Hindus nach dem damaligen Stand der Auskünfte zusammenzutragen war, und können so auch der Beurteilung des Anspruchs auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG zugrunde gelegt werden. Wesentliche neue Erkenntnisse haben sich seither nicht ergeben.

Das nach alldem zu gewinnende Bild reicht nach Überzeugung des Gerichts noch nicht aus, um es als beachtlich wahrscheinlich anzusehen, dass die Kläger im Falle der Rückkehr nach Afghanistan im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedroht sind. Dabei wird die Gesamtheit der Beeinträchtigungen, die zurückkehrenden Hindus begegnen können, in den Blick genommen. Eine Differenzierung nach deren Urheber ist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht erforderlich. Wegen des Charakters der zu betrachtenden Akte als Verfolgungshandlung, die § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit einer Bedrohung von Leben oder Freiheit umschreibt, ist nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG Artikel 9 der Qualifikationsrichtlinie ergänzend heranzuziehen. Danach muss es sich um Handlungen handeln, die aufgrund ihrer Art oder der Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, wobei sich der Charakter der Handlungen als gravierend auch aus einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen ergeben kann. Von den Beispielsfällen des Art. 9 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ist allein die Anwendung von Gewalt (Buchst. a)) näher anzusprechen. Ein diskriminierender Charakter der Verfassungs- und Rechtslage als solcher (Buchst. b)) ist nicht gegeben; zwar ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einer diskriminierenden Handhabung kommt, zwingend aber ist das im Nebeneinander der Anerkennung der Religionsfreiheit sowie der geschlossenen internationalen Verträge einerseits und der Betonung der Scharia andererseits – wie oben bereits gesagt – angesichts des Zustandes des Justizwesens aber keineswegs. Konkrete Erfahrungen zur Reichweite der Übertragung rein islamischer Grundregeln auf Hindus liegen ebenso wenig vor wie Erkenntnisse zu echten und tiefgreifenden Kollisionen mit hinduistischen Vorstellungen. Angesichts der jedenfalls nur geringen Zahl der Hindus, die als solche schwerlich eine prägende und die Moslems in Frage stellende Rolle einnehmen können, reicht die festzustellende Beibehaltung und Betonung der islamischen Ausrichtung Afghanistans allein noch nicht aus, um belastbar auf eine zu erwartende menschenrechtswidrige Überformung hinduistischer Lebensführung durch islamisches Recht und/oder die Art von dessen Anwendung zu schließen. Für strafrechtliche Sanktionen im Sinne der Buchstaben c) bis e) ergibt sich nichts. Gegen Kinder gerichtete und an das Geschlecht anknüpfende Handlungen (Buchst. f)) sind zwar im Sinne der Entführung von minderjährigen Mädchen mit dem Ziel der Islamisierung und Zwangsverheiratung verschiedentlich berichtet worden, von einer konkreten Gefahr kann insofern angesichts der Feststellungen der SFH, die sich dabei gerade auch mit den gegenläufigen Aussagen von Danesch befasst hat, nicht gesprochen werden. Hinsichtlich der Gewaltanwendung kommt nur die Drohung mit Gewalt im Sinne eines psychischen Zwanges näher in Betracht. Berichte über tatsächlich erfolgte körperliche Übergriffe in einer Dichte, die Besorgnisse für jeden Hindu rechtfertigt, jederzeit in der Gefahr zu stehen, ohne konkreten – gegebenenfalls vermeidbaren – Anlass Opfer einer solchen Gewalthandlung zu werden, liegen nicht vor. Erwähnung finden solche Vorkommnisse nur im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Verbrennungsrituale. Von Bedeutung ist vielmehr, dass zahlreiche Umstände es den Hindus nahe legen, sich nicht als solche zu erkennen zu geben, etwa auf den roten Punkt zu verzichten und die ortsübliche Sprache zu benutzen (SFH vom 13.09.2007). Derartige Vermeidungstechniken einer Minderheit mit dem Ziel, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, erreichen nicht ohne Weiteres das Gewicht einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) der Qualifikationsrichtlinie. Dass Hindus, die auf solche Weise versuchen, in der Gesellschaft unauffällig zu bleiben, dadurch gegen von ihnen empfundene Grundregeln und pflichten verstoßen und so in innere Probleme geraten könnten, ist nicht ersichtlich. Das Tragen des roten Punktes etwa ist – wie auch die mündliche Verhandlung in dieser Sache zeigte – offensichtlich kein als verbindlich empfundenes Gebot; insofern mag es sich anders verhalten, wenn es um unmittelbare Handlungen der Religionsausübung geht. Die Modalitäten des Feierns von Festen ist dabei allerdings auch noch ein Umstand, der nach den Schilderungen in den Auskünften nicht zwingenden Glaubensvorgaben entspringt, sodass diesbezügliche Beschränkungen und Zurückhaltung nicht an die Substanz der religiösen Betätigung gehen. Aus Artikel 10 Abs. 1 Buchst. b) der Qualifikationsrichtlinie ist insofern nichts Gegenteiliges und die Wertung Mitbestimmendes herzuleiten. Denn diese Regelung betrifft möglicherweise relevante Anlässe für Verfolgungshandlungen, die ihrerseits den Kriterien des Art. 9 der Qualifikationsrichtlinie genügen müssen, ihnen aber nicht ohne Weiteres genügen oder gleichstehen. Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie äußert sich zum Anlass von Sanktionen, zu denen auch bestimmte Formen des Ausdrucks der Religion in der Öffentlichkeit gehören; dass alle Umstände, die das vorsorgliche Unterlassen solchen Tuns nahe legen, das Gewicht einer Verfolgungshandlung aufweisen, folgt daraus nicht. Was die aus dem Glaubensverständnis der Hindus sehr wichtigen Totenrituale betrifft, ergibt sich kein verlässliches Bild dahin, dass ein – von wem auch immer ausgehender – faktischer Zwang im Sinne einer psychischen Gewalt besteht, hier gegen feste Glaubensvorgaben zu verstoßen. Die Gesamtschau der Mitteilungen über Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Leichenverbrennung zeigt, dass hier Elemente des Unerlässlichen, des Gewohnten und des Wünschenswerten zusammenfließen. Dass es im Einzelfall zu einem schwerwiegenden Verstoß gegen ein als zwingend empfundenes Gebot im Hinblick auf den Verstorbenen oder die Hinterbliebenen gekommen ist, wird von keiner Seite aufgezeigt; auch Danesch (vom 09.05.2007) äußert sich insofern nicht näher. Zudem ergibt sich aus den Auskünften, dass das Thema der Sicherstellung von Verbrennungen Gegenstand der Erörterungen mit der Regierung ist, in deren Rahmen die Hindus ihre Vorstellung einbringen (IOM vom 17.07.2007 und AA vom 17.01.2008). Dass es durch Erschwernisse der schulischen Bildung hinduistischer Kinder schon zu schwerwiegenden Verletzungen von grundlegenden Menschenrechten kommt, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Zwar bietet die Regierung keine Schule für sie an – allerdings soll sie in Ghazni eine solche unterstützen (UNHCR –.12. 2007) –, jedoch übt sie auch keinen Zwang aus, die Kinder zusammen mit moslemischen Gleichaltrigen unter staatlich-islamischem Einfluss auszubilden. Die Notwendigkeit für die Hindus, selbst durch eine eigene schulische Einrichtung – wie sie in einem Tempel in Kabul existiert – oder durch Privatunterricht Abhilfe zu schaffen, entspricht Gegebenheiten, die für kleine Minderheiten zwar eine erhebliche Erschwernis darstellen, aber nicht untypisch sind.

Die weiterhin aufgezeigten Beeinträchtigungen und Erschwernisse für Hindus, so sie als solche erkannt oder bekannt sind, stellen sich – wie insbesondere in dem Bericht der SFH (vom 13.09.2007) ausgeführt – als eine dem Minderheitenstatus entsprechende Steigerung der allgemeinen Notlagen dar, bei der schon eine klare Zuordnung zu den Verfolgungsgründen sei es über Rasse, Religion oder soziale Gruppe nicht mehr verlässlich möglich ist. Jedenfalls kann auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Verfolgungshandlung durch Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b) der Qualifikationsrichtlinie, vor dem Hintergrund der insgesamt sehr unsicheren und unzulänglichen Verhältnisse in Afghanistan noch nicht mit dem erforderlichen Grad der Überzeugungsbildung von einer jeden Hindu wegen dieser seiner Eigenschaft treffenden Bedrohung ausgegangen werden.

Da mithin das Hauptbegehren der Kläger erfolglos bleibt, ist auf das Hilfsbegehren einzugehen. Von den danach zu prüfenden weiteren Schutzmöglichkeiten gemäß § 60 AufenthG kommt – zumal nach den tatsächlichen Feststellungen zur Flüchtlingseigenschaft – allein Absatz 7 näher in Betracht. Dessen Voraussetzungen sind jedoch ebenfalls nicht erfüllt.

§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, zu dem sich die oben angesprochene, an Art. 15 Buchst. c) der Qualifikationsrichtlinie anknüpfende Frage der Zulässigkeit des Erfordernisses einer erforderlichen Zuspitzung der Gefahr bei Gruppenbetroffenheit stellt, trägt das streitige Begehren nicht. Dazu bedarf es keiner näheren Beschäftigung mit dem Charakter der in Afghanistan bestehenden Unsicherheit der allgemeinen Lage als bewaffneter Konflikt und der Frage nach dem Erfordernis einer extremen Gefahr wegen Betroffenheit der gesamten Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe. Denn trotz der zunehmenden Zahl von Attentaten, Überfällen und Übergriffen sowie sonstiger gewaltsamer Auseinandersetzungen kann ein Ausgesetztsein im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, womit die in Art. 15 Buchst. c) der Qualifikationsrichtlinie genannte ernsthafte Bedrohung aufgegriffen worden ist, nicht festgestellt werden. Dass es sich hierbei um eine Bedrohung handelt, die für den einzelnen um Schutz Nachsuchenden festgestellt werden muss, also das bloße allgemeine Vorkommen im Heimatstaat nicht ausreicht, ist nach der Funktion der (subsidiären) Schutzgewährung im Einzelfall und nach dem Wortlaut von Art. 15 Buchst. c) sowie dem Erwägungsgrund Nr. 26 der Qualifikationsrichtlinie nicht ernstlich zu bezweifeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2007 – 1 B 217.06 –).

Zwar hat sich die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan entgegen den Erwartungen, die nicht zuletzt mit der Stationierung der ISAF und der Hilfe beim Aufbau der Polizei verbunden waren, – wie laufend den allgemein zugänglichen Quellen zu entnehmen ist – negativ entwickelt. Sie ist jedoch nicht so kritisch, dass jeder in sein Heimatland zurückkehrende und nach Kabul gelangende Afghane berechtigter Weise die Sorge hegen muss, Opfer eines Übergriffs oder Anschlags zu werden oder in sonstiger Weise von rivalisierenden ethnischen, religiösen oder sonst motivierten Gruppen oder Banden in seinem Leben oder seiner Unversehrtheit geschädigt zu werden, also ernsthaft individuell bedroht zu sein. Wenngleich sich das in der Qualifikationsrichtlinie angesprochene Willkürhafte bei Gewalt gerade auch in einer Unberechenbarkeit und einem dadurch bedingten Mangel an Ausweichmöglichkeiten manifestiert, bedarf es dennoch einer gewissen Dichte der gefährlichen Vorkommnisse, um von einer Ernsthaftigkeit der Bedrohung sprechen zu können. Denn die Bedrohung ist ein objektives Faktum und auch ihre Ernsthaftigkeit geht über den Bereich subjektiven – von Ängstlichkeit oder Robustheit bestimmten – Empfindens hinaus. In der Spannweite zwischen einer quasi absoluten Sicherheit und einer geradezu unausweichlichen Rechtsgutbeeinträchtigung ist daher abwägend nach der Zumutbarkeit der Konfrontation mit einer bestimmten Situation zu fragen. Dies setzt neben der Berücksichtigung der Häufigkeit einschlägiger Vorkommnisse in Relation zur Größe des betrachteten Gebietes insbesondere die Feststellung eventueller räumlicher Schwerpunkte sowie der Anlässe und Zielpersonen oder -objekte von Gewaltaktionen voraus, da sich u.a. danach bestimmt, inwieweit das Verhalten des Einzelnen und seine Entfaltungsmöglichkeiten beeinflusst werden. Dies zugrunde legend lässt sich nicht feststellen, dass die Sicherheitslage, auch soweit sie von den innerstaatlichen, teils mit Waffeneinsatz einhergehenden Geschehnissen (mit-) bestimmt wird, Schutz für den Einzelnen erfordert. Die Auseinandersetzungen, seien sie zwischen Warlords und ihren jeweiligen Anhängern oder Regierungskräften und Taliban, sind jedenfalls noch nicht so stark in den Bereich Kabul hineingetragen, dass sich der Einzelne begründeter Weise als ernsthaft bedroht sehen muss.

Für die Hindus gilt insofern nichts Besonderes. Zum Aspekt des bewaffneten Konflikts ist nämlich wesentlich, dass die Hindus wegen der geringen Größe ihrer Gruppe und ihres Verhaltens in den letzten Jahren weder einen Machtfaktor im Kreis der rivalisierenden und sich bekämpfenden Gruppierungen darstellen noch einer bestimmten Richtung zugeordnet werden oder Anlässe für Racheakte bieten.

Die für Rückkehrer nach Afghanistan weiter einzustellenden Gefahren für die Schutzgüter des § 60 Abs. 7 AufenthG sind solche allgemeiner Art im Sinne des Satzes 3 der Vorschrift. Das gilt zunächst für die Gefahr, durch Mangel an Lebensmitteln, Wohnraum sowie – vorbehaltlich besonderer Umstände – gesundheitlicher und sozialer Infrastruktur oder durch Gewaltmaßnahmen – jenseits des Anwendungsbereichs des Satzes 2 – bei unzureichendem polizeilichen Schutz zu Schaden zu kommen. Auch die Zugehörigkeit zu einem religiösen Bekenntnis oder einer politischen Richtung ist neben anderen ein typischer Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung von Bevölkerungsgruppen, denen menschenrechtswidrige Repressalien drohen können.

Der Senat hat sich mit der Frage eines verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes für afghanische Staatsangehörige bereits wiederholt befasst und unter Betrachtung der spezifischen Umstände verschiedener Gruppen eine extreme Gefahrenlage für einzelne besondere Fallgruppen anerkannt. Die Hindus gehören nach der bisherigen Senatsrechtsprechung nicht dazu (vgl. etwa den schon angeführten Beschluss vom 15. Dezember 2006 – 20 A 666/05.A –). Die Feststellungen, die dem zugrunde liegen, sind oben schon wiedergegeben und bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft berücksichtigt worden. In jenem Zusammenhang ist auch dargestellt worden, dass die weiteren Entwicklungen der Verhältnisse in Afghanistan und der Gehalt der in der Folgezeit eingegangenen Auskünfte keinen Anlass geben, von einer nennenswert anderen Situation auszugehen. Für die oben bereits zu § 60 Abs. 1 AufenthG unter Einbeziehung der Vorgaben vor allem der Artikel 9 und 10 der Qualifikationsrichtlinie erörterten Gefahrenaspekte ist festzuhalten, dass die dort verneinte beachtliche Wahrscheinlichkeit eines relevanten Schadenseintritts die Bejahung des hier aus Rechtsgründen anzulegenden Maßstabs der extremen Gefahr allemal ausschließt. Bei den weiteren Umständen, die zum subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen können, unterscheiden sich Hindus – wie insbesondere dem speziell auf Hindus bezogenen Bericht der SFH (vom 13.09.2007) zu entnehmen ist – nicht grundlegend von dem, was alle trifft, die nach längerem Auslandsaufenthalt nach Afghanistan zurückkehren. Zwar ist einzustellen, dass die Hindus als relativ kleine Minderheit in der eigenen Gruppe wenig Rückhalt finden können und gegebenenfalls Einschüchterungen und Benachteiligungen ausgesetzt sind; dies kann aber allenfalls dazu führen, dass für Hindus die Annahme der Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG noch eher und deutlicher zu bejahen sein mag als für die Afghanen allgemein. Darüber hinausgehend auch eine extreme Gefahr anzunehmen, geht aber schon deshalb nicht an, weil es an hinreichend tragfähigen Indizien, geschweige denn Belegen fehlt, die in einem so unter internationaler Beobachtung stehenden Bereich wie Kabul zu erwarten wären. Insoweit wird auf die nachstehenden Ausführungen zur allgemeinen Situation von Rückkehrern verwiesen, in die gerade auch das an Informationen – insbesondere von Danesch und Merzadah – eingeflossen ist, was aus speziellen Berichten zur Lage der Hindus zu folgern ist. Zudem ist gerade im Hinblick auf die allgemeinen Lebensbedingungen darauf zu verweisen, dass immer wieder mitgeteilt worden ist, dass sich Hindus bemühen, draußen und im Alltag nicht als solche erkannt zu werden und auf diese Weise Benachteiligungen und sonstige Beeinträchtigungen zu vermeiden.

Eine extreme Gefahr ist wegen Fehlens eines subsidiären sozialen Netzwerkes für alte, behinderte und schwer erkrankte Personen ohne Bezugspersonen in Afghanistan, die für eine Hilfestellung in Betracht kämen, bejaht worden (vgl. Urteil des Senats vom 15. Mai 2003 – 20 A 3332/97.A –).

Eine relevante Zuspitzung der Lage ist – vorbehaltlich besonderer Umstände – auch für Frauen konkret zu befürchten, die ohne männliche Begleitung nach Afghanistan zurückkehren müssen und nicht in intakten Strukturen Aufnahme finden. Vgl. Urteil des Senats vom 20. März 2003 – 20 A 4270/97. A –, in dem bei einer unverheirateten Frau auf die bei realistischer Betrachtung der konkreten Umstände allein zu erwartende Rückkehr gemeinsam mit einem Bruder abgestellt worden ist.

Extrem kritisch kann sich auch die Lage von Personen darstellen, die unter gesundheitlichen Problemen leiden, die nicht als individuelle erhebliche Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einzuordnen sind, aber doch eine die Grundelemente in Behandlung und Medikamentation übersteigende Versorgung benötigen (vgl. zu den Fallgruppen im Einzelnen noch den Beschluss des Senats vom 23. April 2007 – 20 A 2199/06.A – m.w.N.).

Im Übrigen hat der Senat bisher die Voraussetzungen für eine Überwindung von § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bzw. der Vorgängerregelungen verneint.

Vorliegend greift keiner der genannten Fallbereiche der extremen Gefahr ein.

Eine Erweiterung der als extrem gefährlich zu qualifizierenden Konstellationen ist nicht gerechtfertigt.

Der Senat verbleibt daher bei seiner Einschätzung, dass für Rückkehrer aus Deutschland nach Afghanistan nicht grundsätzlich und allgemein, sondern lediglich für besonders empfindliche Gruppen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG bejaht werden können. Auch die oben bereits genannte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 6. Mai 2008 – 6 A 10749/07.OVG –), nach der auch ein alleinstehender, gesunder junger Mann, der nicht mit der Hilfe von Verwandten oder Bekannten bei der Wiedereingliederung rechnen kann, im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einer extremen Gefahr ausgesetzt ist, gibt keinen Anlass, die Einschätzung der Lage durchgreifend in Frage zu stellen. Der Senat vermag – wie im Vorstehenden schon ausgeführt – dem dort maßgeblich herangezogenen und zum Teil auch schon in den Beweisfragen anklingenden Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine solche Verelendung, wie sie dem genannten Urteil zugrunde liegt, nichts hergeben, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden kann, es fehle jegliches Potential für Vergleichsfälle. Auch scheinen die in jenem Urteil zum Tragen gekommenen Anforderungen an die Überzeugungsbildung zur extremen Gefahr hinter dem in der Rechtsprechung des Senats – nach seiner Überzeugung zutreffend – als maßgeblich Erachteten zurückzubleiben.