VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 18.06.2008 - 19 ZB 07.2196 - asyl.net: M13754
https://www.asyl.net/rsdb/M13754
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Aufenthaltserlaubnis, Bleiberechtsregelung 2006, Falschangaben, Identitätstäuschung, Ursächlichkeit, rechtmäßiges Alternativverhalten, China, Auslandsvertretung, Chinesen
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3; AufenthG § 23
Auszüge:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

1. Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht ausreichend dargelegt.

a) Die Frage, "unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass ein Ausländer in nachhaltiger Weise über seine Identität und damit über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht hat", ist nicht klärungsbedürftig (zu den Voraussetzungen vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Auflage 2006, RdNrn. 35/38 zu § 124).

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, der Kläger habe bewusst und gewollt seine wahre Identität nicht preisgegeben und durch ständig wechselnde Angaben die Ausländerbehörde täuschen wollen. Das Zulassungsvorbringen setzt sich weder mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts in diesem Zusammenhang auseinander, noch legt es dar, weshalb bei einem solchen Verhalten die Voraussetzungen eines im Bleiberechtbeschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren (IMK) der Länder vom 17. November 2006 genannten Ausschlussgrundes nicht gegeben sein könnten; Zulassungsgründe werden insoweit nicht geltend gemacht.

b) Auch die Ausführungen des Klägers zum Verhalten der chinesischen Behörden bei Anträgen auf Ausstellung von Identitätspapieren begründen keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, weil die für die Berücksichtigung dieses Verhaltens erforderlichen Grundsätze bereits entwickelt sind und dem Zulassungsvorbringen für einen zusätzlichen Klärungsbedarf nichts zu entnehmen ist.

Die Frage, ob ein chinesischer Staatsangehöriger, der vorsätzlich und nachhaltig seine Identität verschleiert, auch im Falle zutreffender Identitätsangaben den für die Aufenthaltsbeendigung erforderlichen Identitätsnachweis von seinen Heimatbehörden nicht erhalten hätte, stellt sich erst, wenn feststeht, dass der Ausländer das zum Ausschluss vom Bleiberecht führende Verhalten gezeigt hat. Bei ihr geht es darum, ob diesem Verhalten das Scheitern der Aufenthaltsbeendigung rechtlich zuzurechnen ist.

Tragfähige Grundsätze zur Frage, inwieweit rechtmäßiges Alternativverhalten zu berücksichtigen ist, liegen bereits vor. Im Schadensersatzrecht ist rechtmäßiges Alternativverhalten zwar nicht von vornherein unbeachtlich. Es muss jedoch gesichert sein, dass es zu dem rechtlich missbilligten Erfolg auch im Falle rechtmäßigen Verhaltens gekommen wäre; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BGH vom 25.11.1992 NJW 1993, 520/522 m. w. Nachw. und vom 27.4.1995 NJW-RR 95, 937; Mertens in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, RdNr. 160 f. vor § 249; Grunsky in Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl. 1994, RdNr. 90 vor § 249; Heinrichs in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, RdNr. 107 vor § 249). Im Strafrecht ist die Problematik des rechtmäßigen Alternativverhaltens bei vorsätzlichen Taten von geringer Bedeutung. Durch eine Vorverlagerung der Strafbarkeit (vgl. § 95 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) wird bewirkt, dass es auf den Eintritt des Erfolgs nicht ankommt und der Schutz des (vorliegend: öffentlich-rechtlichen) Rechtsguts erhöht ist. Beide Rechtsgebiete, die im Hinblick auf die zugrundeliegenden Sanktions- und Präventionsüberlegungen einem Vergleich mit den Ausschlussgründen des Bleiberechtsbeschlusses zugänglich sind, berücksichtigen, dass die Möglichkeit eines Eintritts des missbilligten Erfolgs auch ohne den Rechtsverstoß kaum jemals ausgeschlossen werden kann und daher eine stärkere Berücksichtigung der Möglichkeit rechtmäßigen Alternativverhaltens das pflichtwidrige Verhalten häufig sanktionsfrei stellen und generell fördern würde. Den vorläufigen bayerischen Bestimmungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses vom 21. November 2006 (vorläufige bayerische Bestimmungen), die die Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG enthalten, liegen offensichtlich diese Überlegungen zu Grunde. Der hier (zu Nr. II.6.1) genannte Beispielsfall (Krankheit, welche die Reisefähigkeit ausschließt) belegt, dass einer vorsätzlichen und zur Unterbindung einer Aufenthaltsbeendigung auch geeigneten Täuschung oder Behinderung nur dann keine Bedeutung zukommen soll, wenn sie sich eindeutig nicht ausgewirkt hat (ähnlich Funke-Kaiser in GK AufenthG, RdNrn. 38 ff. zu § 104 a).

Das Zulassungsvorbringen setzt sich mit der Frage, inwieweit rechtmäßiges Alternativverhalten Berücksichtigung finden kann, nicht auseinander. Es legt zwar substantiiert Anhaltspunkte dafür dar, dass die chinesischen Regierungsbehörden wenig bereit sind, bei der Identifizierung ihrer mutmaßlichen Staatsangehörigen mitzuwirken und damit deren Aufenthaltsbeendigung zu fördern (vgl. hierzu die Entscheidung des Senats vom 18. Juni 2008 – 19 ZB 07.2316). Anhaltspunkte dafür, dass die chinesischen Behörden auch bei zutreffenden und genauen Identitätsangaben Identitätspapiere grundsätzlich nicht ausstellen, liegen jedoch nicht vor.