OLG Karlsruhe

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Zitieren als:
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.05.2008 - 14 Wx 10/08 - asyl.net: M13793
https://www.asyl.net/rsdb/M13793
Leitsatz:

Ein Antrag einer örtlich nicht zuständigen Ausländerbehörde auf Abschiebungshaft im Wege der Amtshilfe für die örtlich zuständige Ausländerbehörde ist nur zulässig, wenn Amtshilfe erforderlich ist, weil die zuständige Ausländerbehörde den Antrag nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte, und gegenüber dem Betroffenen und dem Gericht offengelegt wird, dass im Wege der Amtshilfe vorgegangen wird.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Antrag, Ausländerbehörde, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Amtshilfe
Normen: FEVG § 3; AAZuVO § 4 Abs. 1; AAZuVO § 4 Abs. 2
Auszüge:

Ein Antrag einer örtlich nicht zuständigen Ausländerbehörde auf Abschiebungshaft im Wege der Amtshilfe für die örtlich zuständige Ausländerbehörde ist nur zulässig, wenn Amtshilfe erforderlich ist, weil die zuständige Ausländerbehörde den Antrag nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte, und gegenüber dem Betroffenen und dem Gericht offengelegt wird, dass im Wege der Amtshilfe vorgegangen wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Sachentscheidung des Landgerichts hält dagegen der rechtlichen Überprüfung (§ 27 FGG i. V. m. § 546 ZPO) nicht stand. Die Haftanordnung des Amtsgerichts war jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Abschiebungshaft nicht von der zuständigen Ausländerbehörde gestellt worden war.

a) Gemäß § 3 S. 1 FEVG kann Abschiebungshaft nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde angeordnet werden. Bei Antragsverfahren ist das Vorliegen eines zulässigen Antrags Verfahrensvoraussetzung (vgl. nur BayObLGZ 1997, S. 77 ff., 78; Schmidt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O. Rdn. 22 zu § 12). Das Vorliegen eines zulässigen Antrags ist deshalb in jeder Lage des Verfahrens und damit auch durch das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen.

b) Im hier zu entscheidenden Fall war – wovon offenbar auch das Landgericht ausgeht – das Regierungspräsidium Freiburg für die Stellung des Antrags auf Anordnung der Abschiebungshaft örtlich nicht zuständig. In Baden-Württemberg richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörden nach § 4 der u.a. aufgrund § 71 Abs. 1 S. 2 des AufenthG ergangenen Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Asylverfahrensgesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer (Aufenthalts- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung – AAZuVO). Aus deren Abs. 1 ergibt sich eine örtliche Zuständigkeit der Antragstellerin nicht, weil der von den französischen den deutschen Behörden überstellte Betroffene sich im Dienstbezirk des Regierungspräsidiums Freiburg weder gewöhnlich aufhielt noch sich darin gewöhnlich aufzuhalten beabsichtigte. – § 4 Abs. 2 S. 1 und 2 greifen deshalb nicht ein, weil es nicht um bei der Antragstellerin gestellte Anträge geht (S. 1) bzw. weil eine andere Ausländerbehörde – das Landratsamt S.-F. – zuständig war (S. 2). – Schließlich handelte es sich bei dem Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft auch nicht um eine unaufschiebbare Maßnahme, für die gem. § 4 Abs. 2 S. 3 AAZuVO jede Ausländerbehörde zuständig ist, in deren Bezirk sich die Notwendigkeit der Anordnung ergibt. Voraussetzung für eine derartige Eilzuständigkeit wäre gewesen, dass die in erster Linie zuständige Ausländerbehörde zur rechtzeitigen Antragstellung nicht in der Lage gewesen wäre. Davon kann im vorliegenden Fall indessen nicht die Rede sein: Ebensogut wie die Ausländerbehörde des Landkreises S.-F. das Regierungspräsidium Freiburg unter Übermittlung der für die Antragstellung erforderlichen Unterlagen um Antragstellung im Wege der Amtshilfe ersuchen konnte, hätte es beim zuständigen Amtsgericht den Antrag stellen können, was sogar zu einer zeitlichen Beschleunigung geführt hätte.

c) Auch das Landgericht geht – stillschweigend – davon aus, dass sich eine Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg zur Stellung des Haftantrags nicht aus den in der AAZuVO normierten Zuständigkeitsregelungen herleiten lässt. Weiter führt es aus, dass eine eigene, originäre Zuständigkeit zur Antragstellung nach § 3 S. 1 FEVG auch nicht durch das Amtshilfeersuchen des Landkreises S.-F. begründet worden sei. Gleichwohl ist es der Auffassung, dass das Regierungspräsidium Freiburg den Haftantrag wirksam habe stellen können, weil es sich damit innerhalb der Grenzen der Amtshilfe gehalten habe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

aa) Allerdings ist Amtshilfe eine Hilfeleistung zwischen Behörden, die zwar zu keiner vollständigen Zuständigkeitsverlagerung von der ersuchenden auf die ersuchte Behörde führt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, Rdn. 10 a zu § 4), aber doch stets mit einer Überschreitung bestehender Kompetenz- und Zuständigkeitsgrenzen verbunden ist (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl. 2002, Rdn. 4 zu Art. 35). Deshalb spricht manches für die grundsätzliche Richtigkeit der Auffassung des Landgerichts, wonach die hierzu ersuchte für die ersuchende – und für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme die Verantwortung tragende (vgl. hier § 1 Abs. 1 ndsVwVfG i.V.m. § 7 Abs. 2 VwVfG) – Ausländerbehörde auch wirksam einen Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft stellen kann.

bb) Ob der Amtshilfe leistenden Ausländerbehörde grundsätzlich eine – von der ersuchenden Behörde abgeleitete – Kompetenz zur Stellung von Haftanträgen zukommen kann (verneinend etwa LG Berlin, NVwZ 1997, Beilage Nr. 1,S. 4 f.; OLG Frankfurt vom 13.11.1998 – 20 W 442/98 – in: Juris; OLG München vom 28.09.2006 – 34 Wx 115/06 – in: Melchior, Abschiebungshaft, Anhang), bedarf im vorliegenden Fall indessen keiner Entscheidung. Im vorliegenden Fall wäre die Antragstellung nämlich auch dann unwirksam gewesen, wenn diese Frage zu bejahen wäre.

Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gehört zu den Grundprinzipien des Rechtsstaats (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG). Der in den Zuständigkeitsnormen ihre Ausprägung findenden Kompetenzordnung kommt nicht nur im Bereich der Gesetzgebung (vgl. BVerfGE 55, S. 274 ff., 300 ff., BVerfGE 108, S. 169 ff., 181 f.), sondern auch im Bereich der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden grundrechtssichernde Funktion zu. Gerade im Bereich der Zuständigkeit für freiheitsentziehende Maßnahmen – wie hier der Abschiebungshaft – bedarf es klarer und eindeutiger Zuständigkeitsregelungen, um im Interesse des durch eine solche Maßnahme Betroffenen eine effektive Rechtskontrolle zu ermöglichen. Eine von der zuständigen Behörde qua Amtshilfeersuchen abgeleitete Zuständigkeit der nach der normierten Zuständigkeitsordnung unzuständigen Ausländerbehörde zur Stellung eines Haftantrags kommt deshalb – wenn überhaupt – allenfalls dann in Betracht, wenn zum einen die Voraussetzungen für ein entsprechendes Amtshilfeersuchen gegeben waren und zum anderen sowohl gegenüber dem Betroffenen als auch gegenüber dem Gericht offengelegt wird, dass im Wege der Amtshilfe vorgegangen wird, damit die Zulässigkeit des Haftantrags beurteilt werden kann. Im vorliegenden Fall fehlt es an beidem:

(1) Gerade weil ein Vorgehen im Wege der Amtshilfe mit der Überschreitung von Zuständigkeitsgrenzen verbunden ist, ist sie nur insoweit zulässig, als sie zur rechtmäßigen Aufgabenerfüllung tatsächlich erforderlich ist (vgl. Jarass/Pieroth, a.a.O., Rdn. 4 zu Art. 35). Dem entspricht es, dass es nach § 1 des hier maßgeblichen nds VwVfG (i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG) zu den Voraussetzungen eines Ersuchens um Amtshilfe gehört, dass die ersuchte Behörde "die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde".

An der Voraussetzung der Erforderlichkeit hat es im vorliegenden Fall bezüglich des zu stellenden Antrags auf Anordnung der Abschiebungshaft aus demselben Grund gefehlt, der zur Verneinung einer Eilzuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg nach § 4 Abs. 2 S. 3 AAZuVO führt (vgl. oben Abschnitt II 2 b): Wie den Akten zu entnehmen ist, wäre die zuständige Ausländerbehörde des Landkreises S.-F. selbst ohne weiteres in der Lage gewesen, am 04.04.2007 beim zuständigen Amtsgericht den Haftantrag zu stellen. Denn dem an diesem Tage vom Regierungspräsidium Freiburg um 11.24 Uhr dem Amtsgericht Offenburg zugefaxten Haftantrag (AS 1) lagen die ihm vom Landratsamt S.-F. am selben Tag um 9.58 Uhr mit Fax zugeleiteten Unterlagen bei. Damit bestand insoweit kein Grund, unter Überschreitung der normierten Zuständigkeitsgrenzen im Wege der Amtshilfe vorzugehen.

(2) Der Haftantrag des Regierungspräsidiums Freiburg selbst enthielt keinerlei Hinweis darauf, dass und – erst recht nicht – warum er im Wege der Amtshilfe gestellt werde.