VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 27.05.2008 - 4 L 604/08.KS - asyl.net: M13806
https://www.asyl.net/rsdb/M13806
Leitsatz:

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise mit einem Schengen-Visum gem. § 39 Nr. 3 AufenthV setzt voraus, dass ein entsprechender Anspruch nach der dem Antrag unmittelbar vorhergehenden Einreise nach Deutschland entstanden ist; das Erfordernis von einfachen Sprachkenntnissen für den Ehegattennachzug ist mit Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht vereinbar.

 

Schlagwörter: D (A), Ehegattennachzug, Visum nach Einreise, Schengenvisum, Anspruch, Einreise, Eheschließung, Eheschließung im Ausland, Beurteilungszeitpunkt, Sprachkenntnisse, Verfassungsmäßigkeit, Zumutbarkeit, Visumsverfahren
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AufenthV § 39 Nr. 3; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 30 Abs. 1 Nr. 2
Auszüge:

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise mit einem Schengen-Visum gem. § 39 Nr. 3 AufenthV setzt voraus, dass ein entsprechender Anspruch nach der dem Antrag unmittelbar vorhergehenden Einreise nach Deutschland entstanden ist; das Erfordernis von einfachen Sprachkenntnissen für den Ehegattennachzug ist mit Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht vereinbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (4 K 605/08.KS) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.04.2008 anzuordnen, ist zulässig.

Der Antrag hat in der Sache aber keinen Erfolg. Denn die Voraussetzungen für die Einholung einer Aufenthaltsgenehmigung zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Nr.1 AufenthG im Bundesgebiet liegen nicht vor.

Die vom Antragsteller beantragte Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG kann abweichend von § 5 Abs. 2 AufenthG auch ohne Einreise mit dem erforderlichen Visum im Bundesgebiet eingeholt werden, wenn eine der in §§ 39 bis 41 AufenthG geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Diese Regelungen gelten gegenüber § 5 Abs. 2 AufenthG vorrangig (VGH Mannheim, Beschluss vom 05.03.2008 - 11 S 378/08 -, Juris; vgl. auch Ziff. 5.2.11.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise). Nach § 39 Nr. 3 AufenthG, der hier allein in Betracht kommt, kann der Ausländer den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er ein gültiges Schengen-Visum besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Diese Voraussetzung erfüllt der Antragsteller deshalb nicht, weil der Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels erst nach der Einreise entstanden ist. Denn der Antragsteller hat am 14.03.2008 in Dänemark geheiratet und ist offensichtlich danach wieder in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die den Anspruch auf Familiennachzug begründende Eheschließung lag demnach vor der Einreise. Dabei geht das Gericht davon aus, dass es insoweit nicht auf den Zeitpunkt der Einreise in den Schengenraum und auch nicht auf den der ersten Einreise in das Bundesgebiet ankommt, sondern auf die dem Antrag unmittelbar vorhergehende Einreise (a.A. VG Darmstadt, Beschluss vom 12.03.2008 - 5 L 168/08.DA; offen gelassen OVG Münster, 21.12.2007 - 18 B 1535/07 -, Juris). Zwar lässt der Wortlaut beide Auslegungen zu. Aus der Gesetzgebungsgeschichte zu § 39 Nr. 3 AufenthV ergibt sich aber, dass der Gesetzgeber mit der Änderung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I., S. 1970, 2051) – RL-UmsetzungsG - gerade die Fallkonstellation, wie sie hier vorliegt, aus dem Anwendungsbereich des § 39 Nr. 3 AufenthV ausschließen wollte. Nach der bisher geltenden Fassung von § 39 Nr. 3 AufenthV konnte der Inhaber eines Schengen-Visums nämlich dann einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels erfüllt waren. Auf die Absicht des Ausländers bei der Antragstellung für das Schengen-Visum und den Aufenthaltszweck kam es dabei - anders als bei § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG - nicht an (OVG Münster, Beschluss vom 21.12.2007, a.a.O., Rdnr. 6). Diese Konsequenz wollte der Gesetzgeber offensichtlich nicht länger hinnehmen.

Seinen Willen, die Möglichkeit der Antragstellung für einen Aufenthaltstitel vom Inland aus auf die Fälle zu begrenzen, in denen der Aufenthaltszweck erst nach der Einreise entstanden war und nicht bereits zum Zeitpunkt der Beantragung des Schengen-Visums feststand, hat er durch den Zusatz "... nach der Einreise entstanden sind" Ausdruck verliehen. Der Ausschluss der Möglichkeit, in der vorliegenden Fallkonstellation einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, kann dabei nur mit dem vom Gesetzgeber offenbar vorausgesetzten Verständnis der Einreise als letzter Einreise vor der Antragstellung in das Bundesgebiet erreicht werden. Da der Wortlaut dem nicht entgegensteht, ist diese Auslegung zugrunde zu legen.

Auch unabhängig von den Regelungen in § 39 Nr. 3 AufentV hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltsgenehmigung zum Familienzusammenzug ohne vorher das Visumverfahren zu durchlaufen; die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen liegen nämlich nicht vor. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt nach § 5 Abs. 2 AufenthG grundsätzlich und auch im Hinblick auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (S. 1 Nr. 1) und die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht hat (S. 1 Nr. 2).

Allerdings kann von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung des Aufenthaltstitels erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

Einen strikten Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hat der Antragsteller nicht. Denn der Anspruch auf Familiennachzug setzt nach §§ 28 Abs. 1 S.1 Nr. 1 und S. 5, 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG voraus, dass der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständlich machen kann. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die Anforderung der einfachen Verständigung in der deutschen Sprache weder gegen Verfassungs- noch gegen Gemeinschaftsrecht verstößt (vgl. dazu im Einzelnen VG Berlin, Urteil vom 19.12.2007 - VG 5 V 22.07 -, InfAuslR 2008, 165). Von danach erforderlichen hinreichenden deutschen Sprachkenntnissen des Antragstellers kann bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgenden summarischen Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht ausgegangen werden.

Besondere Umstände, die es für den Antragsteller unzumutbar machen würden, das Visumverfahren für den Familiennachzug nachzuholen, sind nicht ersichtlich, so dass auch die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 2 S. 2 2. Alt. AufenthG nicht vorliegen.