SG Hildesheim

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Zitieren als:
SG Hildesheim, Beschluss vom 28.07.2008 - S 39 AY 11/08 ER - asyl.net: M13842
https://www.asyl.net/rsdb/M13842
Leitsatz:

Der pauschale Hinweis auf mangelnde Erfüllung von Mitwirkungspflichten genügt nicht für den Ausschluss von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, sondern es obliegt der Sozialbehörde, näher zu konkretisieren, welche erfolgversprechenden Mitwirkungshandlungen möglich sind; die Sozialbehörde trägt die Glaubhaftmachungslast für das Vorliegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Rechtsmissbrauch, Aufenthaltsdauer, freiwillige Ausreise, Ausreisehindernis, Passersatzbeschaffung, Mitwirkungshandlungen, Auslandsvertretung, Russland, Beweislast, Identitätstäuschung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Der pauschale Hinweis auf mangelnde Erfüllung von Mitwirkungspflichten genügt nicht für den Ausschluss von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, sondern es obliegt der Sozialbehörde, näher zu konkretisieren, welche erfolgversprechenden Mitwirkungshandlungen möglich sind; die Sozialbehörde trägt die Glaubhaftmachungslast für das Vorliegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile notwendig ist.

Die Voraussetzungen für eine Gewährung von Leistungen nach § 2 Absatz 1 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII liegen nach derzeitiger Einschätzung des Gerichtes in Person der Antragsteller zu 1. bis 3. vor.

Den Antragstellern zu 1. bis 3. kann auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten i.S.v. § 2 Absatz 1 AsylbLG vorgeworfen werden. Dabei ist die konkrete Ausgestaltung dieses Begriffes in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung höchst umstritten. Während das Bundessozialgericht zuletzt mit Urteil vom 8. Februar 2007 den Begriff als eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare und zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition, die ein Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erlangt hat, definiert hat (vgl. Urteil des BSG vom 8. Februar 2007 - B 9 b AY 2/06 R), hat nunmehr am 17. Juni 2008 der 8. Senat des Bundessozialgerichts weitere Konkretisierungen dieses unbestimmten Rechtsbegriffs - teilweise unter ausdrücklicher Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung - vorgenommen. Danach soll es für den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs u.a. nicht genügen, dass die Kläger nicht freiwillig ausgereist sind. Dass gegenwärtig Reiseunfähigkeit bei mehreren Personen vorliegt, steht der Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 17. Juni 2008 zufolge der Annahme des Rechtsmissbrauchs andererseits nicht entgegen. Ob das vorwerfbare Verhalten die Aufenthaltsdauer beeinflusst hat, soll demnach vielmehr unter Berücksichtigung der gesamten Zeit zu beurteilen sein, die nach dem maßgeblichen Fehlverhalten des Antragstellers verstrichen ist. Dabei muss nicht feststehen, dass die Kläger das Land zu einem früheren Zeitpunkt verlassen hätten; es genügt vielmehr die generelle Eignung des Fehlverhaltens zur Beeinflussung der Aufenthaltsdauer (vgl. zum Ganzen die Medieninformation Nr. 25/08 vom 17. Juni 2008, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de bislang ohne Veröffentlichung der Entscheidungsgründe). Des Weiteren hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts am 17. Juni 2008 unter ausdrücklicher Aufgabe der Rechtsprechung des 9 b. Senates entschieden, dass ein Leistungsempfänger nicht schon dann rechtsmissbräuchlich die Aufenthaltsdauer beeinflusst, wenn er trotz des aufgrund der Duldung bestehende Abschiebeverbots nicht freiwillig ausreist und hierfür keine anerkennenswerten Gründe vorliegen. Der Missbrauchsvorwurf könne auch nicht durch eine zwischenzeitliche Integration ausgeräumt werden. Vielmehr sei stets zu ermitteln, ob den Antragstellern der Vorwurf gemacht werden könne, die Aufenthaltsdauer vorsätzlich durch über das Verbleiben in der Bundesrepublik Deutschland hinausgehendes sozialwidriges Verhalten beeinflusst zu haben (Terminbericht Nr. 30/08 des 8. Senates über seine Sitzung vom 17. Juni 2008, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de, bisher ohne Veröffentlichung der Entscheidungsgründe).

Als sozialwidriges Verhalten in diesem Sinne wird insbesondere die Begehung von Straftaten in erheblichem Umfang sowie die Identitätstäuschung, insbesondere durch Vorlage falscher Dokumente oder die Angabe von Alias-Personalien anzusehen seien.

a) Soweit den Antragstellern fehlende Mitwirkung im Rahmen der Passersatzpapierbeschaffung zum Vorwurf gemacht wird, kann dem nicht gefolgt werden. Überprüfungen fanden insoweit bislang beim Generalkonsulat der russischen Föderation sowie bei der armenischen Botschaft statt. Das Generalkonsulat der russischen Föderation teilte mit Schreiben vom 14. Juni 2007 mit, dass die Antragsteller unter den bislang erfolgten Angaben bei dem Innenministerium der russischen Föderation unbekannt seien. Dass die Überprüfung anhand der von den Antragstellern gemachten Angaben in den Registern der einzelnen Staaten negativ verlaufen ist, kann den Antragstellern nicht zum Vorwurf reichen. Zum einen ist der Gesprächsnotiz vom 31. Mai 2007 (Bl. 76 der Gerichtsakte) zu entnehmen, dass Herr ... von der ZAAB Braunschweig auf Nachfrage mitgeteilt habe, dass der Aussage des russischen Generalkonsulates nicht zuviel Bedeutung beigemessen werden sollte. Die Prüfung durch die russischen Behörden sei oftmals unzureichend und unvollständig und erfolge nicht vor Ort. Die Mitteilung des russischen Generalkonsulates bedeute nicht automatisch, dass die Antragsteller gelogen hätten. Vielmehr sollten sie nochmals zu ihrer letzten Meldeanschrift befragt werden.

Zudem folgt die Kammer insoweit der Entscheidung des Sozialgerichtes Braunschweig vom 25. Mai 2007 zum Az.: S 20 AY 34/07 ER sowie der Entscheidung des SG Hildesheim, Beschluss vom 25. Mai 2005 - S 34 AY 8/05 ER - in denen jeweils darauf hingewiesen wurde, dass für die Annahme des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ein pauschaler Hinweis des Antragsgegners auf Mitwirkungspflichten im Hinblick auf die Ausreisepflicht, ohne näher zu konkretisieren, welche Mitwirkungshandlungen der Antragsteller zum Erfolg hätten führen können, nicht ausreicht. Infolge der soeben zitierten Gesprächsnotiz vom 31. Mai 2007 war es dem Antragsgegner möglich, die Antragsteller zu konkreten Mitwirkungshandlungen aufzufordern, z.B. dergestalt, dass sie erneut zu ihrer Meldeanschrift hätten befragt werden können. Dass dies erfolgt ist, lässt sich der Verwaltungsakte nicht entnehmen.

Auch die Verschleierung ihrer Identität kann den Antragstellern nicht vorgeworfen werden. Die Glaubhaftmachungslast für das Vorliegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens i.S.v. § 2 Absatz 1 AsylbLG als anspruchsausschließende Einwendung liegt bei dem Antragsgegner. Dieser konnte vorliegend nicht hinreichend glaubhaft machen, dass die Heiratsurkunde, die andere Personalien enthält, als die, die von der Antragstellerin im Asylverfahren angegeben worden, von der Antragstellerin persönlich zur Akte gereicht wurde.