VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Beschluss vom 18.08.2008 - 5 L 292/08 - asyl.net: M13855
https://www.asyl.net/rsdb/M13855
Leitsatz:

Fehlende Sprachkenntnisse für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG strahlen nicht auf die übrigen Familienangehörigen aus; vorläufiger Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Verlängerung nach § 123 VwGO.

 

Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Suspensiveffekt, Fiktionswirkung, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Sprachkenntnisse, Nachweis, Nachweisfrist, Familienangehörige, Ehegatte, Duldung, Duldungsbescheinigung, Grenzübertrittsbescheinigung, Eilbedürftigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache
Normen: VwGO § 123 Abs. 12; VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 104a Abs. 5 S. 2; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 60a Abs. 4; AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

Fehlende Sprachkenntnisse für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG strahlen nicht auf die übrigen Familienangehörigen aus; vorläufiger Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Verlängerung nach § 123 VwGO.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das einstweilige Rechtsschutzbegehren hat Erfolg.

Mit ihren Anträgen auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes begehren die Antragsteller, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, ihnen vorläufig eine Duldung zu erteilen.

Die Antragsteller können vorliegend in zulässiger Weise einstweiligen Rechtsschutz über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO suchen, da eine Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes über § 80 Abs. 5 VwGO hier ausscheidet (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Den Antragstellern würde für einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Für ein Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur dann, wenn der angefochtene Bescheid den Antragsteller in irgendeiner Weise rechtlich oder tatsächlich nachteilig belastet. Dies ist bei der Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich dann nicht der Fall, wenn der Antrag des Ausländers keine Fiktionswirkung i.S.v. § 81 Abs. 3, 4 AufenthG ausgelöst hat. Im vorliegenden Fall ist durch die Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG eine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG nicht entstanden, da nach § 104 a Abs. 5 Satz 5 AufenthG die Bestimmung des § 81 Abs. 4 AufenthG keine Anwendung findet. Eine Fiktionswirkung ist mit den Anträgen auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG auch nicht gemäß § 81 Abs. 3 AufenthG entstanden, da diese Bestimmung lediglich den hier nicht vorliegenden Fall der Erstbeantragung eines Aufenthaltstitels während rechtmäßigen Aufenthalts ohne Aufenthaltstitel betrifft.

Die mithin statthaften und auch im Übrigen zulässigen Anträge nach § 123 Abs. 1 VwGO sind begründet.

Die Antragsteller haben einen durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der Antragsgegnerin zu sichernden Anspruch auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG hinreichend glaubhaft gemacht.

Im Ergebnis der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht einiges dafür, dass die ablehnenden Entscheidungen der Antragsgegnerin keinen Bestand haben können, weil die Antragsgegnerin zu Unrecht vom Nichtvorliegen der Erteilungsvoraussetzung nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (hinreichende mündliche Deutschkenntnisse) bei den Antragstellern zu 1.) und 2.) ausgegangen ist.

Die Antragsteller haben hir die Antragstellerin zu 1.) ein Zertifikat der Benedict School Zwickau vom 23.07.2008 vorgelegt, wonach die Antragstellerin zu 1.) die mündliche Prüfung "Start Deutsch - A2" bestanden hat. Mit Blick darauf erscheint es schwerlich vorstellbar, dass die Antragstellerin zu 1,) noch am 30.062008 über derart unzureichende Deutschkenntnisse verfügt hat, wie dies den Ausführungen im Bescheid vom 01.07.2008 zu entnehmen ist. Abgesehen davon sind in Bezug auf die Antragstellerin zu 1.) durchaus beachtlich erscheinende gesundheitliche Hinderungsgründe für einen rechtzeitigen Nachweis der erforderlichen Deutschkenntnisse geltend gemacht worden, deren Tragfähigkeit in tatsächlicher Hinsicht und deren rechtliche Auswirkung für die etwaige Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der etwaig versäumten Nachweisfrist bzw. für eine Anwendung von § 104 a Abs. 1 Satz 5 AufenthG zum Absehen von der Voraussetzung des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu prüfen dem Widerspruchsverfahren vorbehalten bleiben muss.

Soweit es den Antragsteller zu 2.) anbetrifft, geht die Antragsgegnerin im Bescheid vom 08.07.2007 davon aus, dass seine Deutschkenntnisse "nicht so eindeutig" (wie bei der Antragstellerin zu 1.) zu bewerten bzw. als "grenzwertig" in Bezug auf die Anforderungen einzuschätzen seien. Dies stellt sich für die Kammer als fragwürdig im Hinblick auf eine hinreichend sichere bzw. eindeutige Bewertung der Sprachkenntnisse und klare Positionierung der Antragsgegnerin in Bezug auf das (Nicht-)Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung (hinreichende Deutschkenntnisse) bei dem Antragsteller zu 2.) dar. Darüber hinaus erscheint die Auffassung der Antragsgegnerin rechtlich bedenklich, wonach dem Antragsteller zu 2.) die Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG unabhängig von seinen eigenen Deutschkenntnissen bereits deshalb zu versagen sei, weil die Antragstellerin zu 1.) als seine Ehefrau die diesbezüglichen Kenntnisse jedenfalls nicht nachgewiesen habe. Für die fraglichen Deutschkenntnisse fehlt es gerade an einer Regelung zur Ausstrahlung auf Familienmitglieder, wie dies für den Ausschlussgrund der Begehung von Straftaten (§ 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG) in § 104 a Abs. 3 AufenthG geregelt worden ist.

Mit der Duldung wird die Abschiebung eines Ausländers zeitweise ausgesetzt. Dies geht über das Unterlassen einer bevorstehenden konkreten Abschiebungsmaßnahme hinaus. Das insoweit von den Antragstellern verfolgte Begehren auf Erteilung einer vorläufigen Duldung ist gegenüber der hierfür zuständigen unteren Ausländerbehörde, der Antragsgegnerin, zu verfolgen. Steht den Antragstellern hier ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zu, ist ihnen hierüber eine Bescheinigung auszustellen (§ 60 a Abs. 4 AufenthG). Eine stillschweigende Aussetzung der Abschiebung anstelle der nach § 60 a Abs. 4 AufenthG der Schriftform bedürftigen Duldung kommt nicht in Betracht. Die Systematik des Aufenthaltsgesetzes lässt keinen Raum dafür, dass ein Ausländer sich ohne geregelten Status im. Bundesgebiet aufhält, obwohl die Ausländerbehörde die Ausreisepflicht nicht zwangsweise durchsetzen kann. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldungsbescheinigung erhält. Die tatsächliche Hinnahme des Aufenthaltes außerhalb einer förmlichen Duldung, ohne dass die Vollstreckung der Ausreisepflicht betrieben werden kann, sieht das Gesetz nicht vor. Für den Anspruch auf eine Duldung kommt es auch nicht darauf an, ob die Antragsteller freiwillig in sein Heimatland ausreisen könnten.

Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass die Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sind und ihnen Grenzübertrittsbescheinigungen ausgehändigt worden sind.

Da die Antragsteller ohne Duldung zeitnah abgeschoben werden müssten und damit ihr vorläufiges Bleiberecht im Hinblick auf den durchaus möglich erscheinenden Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis missachtet würde bzw. da die Antragsteller bei einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ohne gültige Duldung einer Rechtsverletzung ausgesetzt wären, ist die Vorwegnahme der Hauptsache durch die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragstellern eine Duldung zu erteilen, im vorliegenden Eilverfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO gerechtfertigt.