OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20.08.2008 - 11 ME 1/08 - asyl.net: M13857
https://www.asyl.net/rsdb/M13857
Leitsatz:

Eine Aufenthaltserlaubnis darf nach § 30 Abs. 3 AufenthG mit Rücksicht auf die durch Art. 6 I GG geschützte eheliche Lebensgemeinschaft auch dann verlängert werden, wenn der Lebensunterhalt des nachgezogenen Ausländers nicht mehr gesichert ist. Allerdings kann eine Versagung in Betracht kommen, wenn eine Prognose ergibt, dass der Ausländer und/oder sein Ehegatte in Zukunft nicht in der Lage sein werden, den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, Verlängerung, Lebensunterhalt, Ermessen, Zukunftsprognose, Erlasslage, Schutz von Ehe und Familie, Gleichheitsgrundsatz, eigenständiges Aufenthaltsrecht, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 30 Abs. 3; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 31 Abs. 1
Auszüge:

Eine Aufenthaltserlaubnis darf nach § 30 Abs. 3 AufenthG mit Rücksicht auf die durch Art. 6 I GG geschützte eheliche Lebensgemeinschaft auch dann verlängert werden, wenn der Lebensunterhalt des nachgezogenen Ausländers nicht mehr gesichert ist. Allerdings kann eine Versagung in Betracht kommen, wenn eine Prognose ergibt, dass der Ausländer und/oder sein Ehegatte in Zukunft nicht in der Lage sein werden, den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 30 Abs. 3 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 (Sicherung des Lebensunterhalts) und § 29 Abs. 1 Nr. 2 (ausreichender Wohnraum) verlängert werden, solange die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Der stammberechtigte Ehemann der Antragstellerin besitzt eine Niederlassungserlaubnis (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 a AufenthG). Es ist auch unstreitig, dass die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht. Nicht gesichert ist jedoch der Lebensunterhalt der Familie. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Die Antragstellerin stellt nicht in Abrede, dass sie und ihre Familie seit längerer Zeit Leistungen nach dem SGB II und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Sie ist aber der Auffassung, dass in ihrem Fall eine Ausnahme von dem Grundsatz der Sicherung des Lebensunterhalts zu machen sei. Dies habe die Antragsgegnerin bei der Ausübung ihres Ermessens verkannt. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Allerdings kommt nach der Wertung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 82) dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft, die rechtmäßig im Bundesgebiet geführt wird, ein besonderes Gewicht zu. Dementsprechend sieht die Vorläufige Niedersächsische Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Stand: 31.7.2008) in Nr. 30.3.1 vor, dass die Aufenthaltserlaubnis im Wege des Ermessens auch dann verlängert werden darf, wenn der Lebensunterhalt nicht mehr gesichert ist (vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand: April 2008, § 30 AufenthG Rn. 67 ff.; Marx, in: GK-AufenthG, Stand: Juni 2008, § 30 AufenthG, Rn. 238; Eberle, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/ Harms, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 30 AufenthG Rn. 28 ff). Das Ermessen ist am Wert der ehelichen Lebensgemeinschaft und dem nach Art. 6 GG gebotenen Schutz des Ehelebens im Inland auszurichten. Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang, für welche Dauer und aus welchen Gründen der notwendige Unterhalt nicht zur Verfügung steht (vgl. Renner, AuslR, 8. Aufl., § 30 AufenthG Rn. 14). Denn die Sicherung des Lebensunterhalts gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern. Dadurch sollen die öffentlichen Haushalte davor bewahrt werden, den Lebensunterhalt von Ausländern mit öffentlichen Mitteln sichern zu müssen (vgl. Renner, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 14 und § 5 AufenthG Rn. 13). Eine Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kommt etwa in Betracht, wenn der Ausländer und/oder sein Ehegatte keine Anstrengungen unternimmt, den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen (vgl. Marx, a.a.O., § 30 AufenthG Rn. 238; Hailbronner, a.a.O., § 30 AufenthG Rn. 68). Letztlich kommt es darauf an, ob der Ausländer in Zukunft den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel erbringen kann. Im Rahmen dieser Prognose ist die bisherige Erwerbsbiographie zu berücksichtigen. Hiervon ausgehend spricht Überwiegendes dafür, dass die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.

Der Antragstellerin und ihrem Ehemann ist es seit dem 1. Oktober 2005 nicht gelungen, ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu sichern. Dies wird auch von der Antragstellerin nicht bestritten. Es liegen keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür vor, dass sich dies in Zukunft grundlegend ändern wird.

Ein Absehen von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts ist vorliegend auch gleichheitsrechtlich nicht geboten. Das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 11.5.2007 - 2 BvR 2483/06 -, InfAuslR 2007, 336 = NVwZ 2007, 1302) vertritt die Auffassung, einem Ausländer dürfe bei fortbestehender ehelicher Lebensgemeinschaft eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 3 AufenthG dann nicht versagt werden, wenn dem Ausländer bei aufgelöster ehelicher Lebensgemeinschaft eine Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gewährt werden müsste. Anderenfalls träte eine mit dem besonderen Schutz der Ehe gemäß Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarende Schlechterstellung ein. Allerdings ist einschränkend darauf hinzuweisen, dass der Ehegatte nach Ablauf des ersten Verlängerungsjahres (vgl. § 31 Abs. 4 AufenthG) eine eigene wirtschaftliche Existenz gefunden haben muss (Renner, a.a.O., § 31 AufenthG Rn. 38; Eberle, a.a.O., § 31 AufenthG Rn. 31 ff.). Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist hier aber nicht anwendbar, weil die Antragstellerin zur Zeit ihres Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 5. September 2006 nicht über zwei Jahre in ehelicher Lebensgemeinschaft rechtmäßig im Bundesgebiet gelebt hatte.