1. Eine insulinpflichtige Diabetes ist in Togo zwar grundsätzlich behandelbar, die Behandlung ist für Durchschnittsverdiener aber in aller Regel unbezahlbar.
2. Die Abschiebung eines insulinpflichtigen Diabetikers nach Togo setzt diesen daher, wenn er nicht über besondere finanzielle Möglichkeiten verfügt, sehenden Auges dem Tode oder schwersten Gesundheitsschäden aus.
3. Eine zeitlich begrenzte Kostenübernahmeerklärung der Ausländerbehörde vermag daran dann nichts zu ändern, wenn feststeht, dass der Ausländer auch danach die Behandlung weiterhin dringend benötigt und sie nicht finanzieren können wird.
1. Eine insulinpflichtige Diabetes ist in Togo zwar grundsätzlich behandelbar, die Behandlung ist für Durchschnittsverdiener aber in aller Regel unbezahlbar.
2. Die Abschiebung eines insulinpflichtigen Diabetikers nach Togo setzt diesen daher, wenn er nicht über besondere finanzielle Möglichkeiten verfügt, sehenden Auges dem Tode oder schwersten Gesundheitsschäden aus.
3. Eine zeitlich begrenzte Kostenübernahmeerklärung der Ausländerbehörde vermag daran dann nichts zu ändern, wenn feststeht, dass der Ausländer auch danach die Behandlung weiterhin dringend benötigt und sie nicht finanzieren können wird.
(Amtliche Leitsätze)
Die Voraussetzungen eines Widerrufs nach § 49 Abs. 1 VwVfG liegen vor. Die ursprünglich rechtmäßige Ablehnung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, auf den hier gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG abzustellen ist, rechtswidrig geworden. Da inzwischen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, müsste auch nicht sofort wieder ein § 60 Abs. 7 AufenthG erneut ablehnender Bescheid erlassen werden (vgl. § 49 Abs. 1 2. Halbsatz VwVfG).
Nach den ärztlichen Unterlagen, die sich in der Gerichtsakte und im Verwaltungsvorgang befinden, leidet der Kläger an Diabetes mellitus Typ II.
Der Einzelrichter geht davon aus, dass die notwendige Behandlung in Togo prinzipiell verfügbar ist. Nach den Angaben des Auswärtigen Amtes im aktuellen Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Togo vom 29. Januar 2008 (Lagebericht), Seite 12, kann Diabetes mellitus in Togo behandelt werden. Entsprechende Medikamente seien erhältlich. Die erforderlichen Messgeräte seien vorhanden.
Allerdings wäre diese Behandlung für den Kläger in Togo praktisch unverfügbar, da er sie nicht bezahlen könnte.
Der Lagebericht vom 28. Januar 2008 führt auf Seite 11 f. zur Finanzierbarkeit medizinischer Behandlung in Togo folgendes aus:
Weniger als 5 % der Bevölkerung seien krankenversichert. Die Behandlungskosten müssten in der Regel privat getragen werden, was für einen großen Teil der Bevölkerung mangels ausreichender finanzieller Mittel schwierig sei. Wer diese Mittel nicht aufbringen könne, bleibe im Regelfall unbehandelt. Medikamente würden aus Frankreich importiert und seien wegen der Subventionen des Staates häufig billiger als in Deutschland. Medikamente könnten innerhalb weniger Tage besorgt werden, ihr Erwerb hänge jedoch von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Patienten ab. Der Kauf von Medikamenten bedeute für die einheimische Bevölkerung in der Regel eine hohe finanzielle Belastung.
Aufgrund der Angaben des Klägers zu seinem Medikamentenbedarf und aufgrund der von der Ausländerbehörde eingeholten Auskunft der Deutschen Botschaft in Togo zu den Kosten dieser Medikamente geht das Gericht davon aus, dass die jüngste Schätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, der zufolge sich die Behandlungskosten inklusive Arztbesuche auf ca. 80,00 Euro pro Monat belaufen dürften, zutrifft. Es sind also Behandlungskosten von knapp 1.000,00 Euro pro Jahr zu erwarten.
Den Angaben zur wirtschaftlichen Situation in Togo, die sich auf der Homepage des Auswärtigen Amtes befinden (http://www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Togo/Wirtschaft.html, Stand: April 2008), kann entnommen werden, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Togo derzeit bei jährlich etwa 370,00 US-Dollar liegt, wovon 70 % für Nahrungsmittel aufgewendet werden müssen. Das Pro-Kopf-Einkommen in Togo sei seit etwa 25 Jahren rückläufig; die Wirtschaft und insbesondere der Baumwollsektor seien seit 2005 in einer schweren Krise.
Angesichts dieser Angaben muss davon ausgegangen werden, dass ein Durchschnittsbürger in Togo bei Weitem nicht in der Lage ist, jährlich ca. 1.000,00 Euro allein für eine medizinische Behandlung auszugeben. Denn der nach Abzug der Lebensmittel noch verbleibende Betrag des Durchschnittseinkommen beläuft sich gerade einmal auf ca. 120,00 US-Dollar jährlich. Besonderes Vermögen oder besondere Einkommensmöglichkeiten für den Kläger sind nicht ersichtlich. Wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung angab, gerade für ihn als Schneider sei es in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation sehr schwierig, in Togo wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen, so ist dies nachvollziehbar und stimmt mit den allgemeinen Angaben des Auswärtigen Amtes zur Wirtschaftslage in Togo und insbesondere zur Krise im Baumwollsektor überein. Befragt nach einer möglichen verwandtschaftlichen Unterstützung erklärte der Kläger - wie schon im Erstverfahren - alle seine Verwandten in Togo seien verstorben. Konkrete Anhaltspunkte für die Unwahrheit dieser Behauptung liegen nicht vor. Auch weist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seiner Information "Togo - Gesundheitswesen" vom Oktober 2006 auf Seite 2 darauf hin, dass die in Togo zur Finanzierung von medizinischer Versorgung wichtige Solidarität der Verwandtschaft aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage immer unsicherer werde. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass auch die Verwandtschaft des Klägers, soweit sie entgegen seiner Angaben doch noch leben sollte, nicht wesentlich dazu beitragen kann, dass der Kläger sich eine ca. 1.000,00 € pro Jahr kostende medizinische Behandlung leisten kann.
Schließlich ermöglicht auch das in Deutschland erzielte Einkommen des Klägers es ihm nicht, sich nach seiner Rückkehr nach Togo die medizinische Behandlung zu leisten.
Wenn der Kläger aber nicht die gebotene medizinische Behandlung bekommt, wird er sehenden Auges dem sicheren Tode oder zumindest schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert. Der Kläger hat aufgrund der Tatsache, dass seine Diabetes relativ spät diagnostiziert wurde, bereits einen beginnenden Nierenschaden erlitten. Nach dem ärztlichen Attest der Diabetologischen Schwerpunktpraxis, Frau K., vom 12. Januar 2007 drohen ihm im Falle der Nichtbehandlung Folgeerkrankungen an den Augen, Nieren und den Füßen. Die Annahme, dass eine im Zielstaat aus finanziellen Gründen unbehandelbare insulinpflichtige Diabetes einen Ausländer sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden aussetzt, entspricht auch der Rechsprechung anderer Verwaltungsgerichte (vgl. Berlin, Urteil vom 19. Juni 2007, VG 1 X 38.06 -; VG Göttingen, Urteil vom 10. Juni 2004, 2 A 382/03 -).
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG sind hier auch nicht im Hinblick darauf zu verneinen, dass der Landkreis Vechta zugesagt hat, die Kosten der Behandlung des Klägers für zwei Jahre zu übernehmen. Dies führt lediglich zu einem für § 60 Abs. 7 AufenthG irrelevanten Hinausschiebens einer gleichwohl sicher eintretenden erheblichen Gesundheitsbeschädigung.
Auch der Maßstab der Extremgefahr, von dem der Einzelrichter hier ausgeht, setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Tod oder die befürchteten schwersten Verletzungen sofort nach der Abschiebung eintreten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617/99 -, juris).
Zur Frage, wie sich eine zeitlich begrenzte Kostenübernahmeerklärung der Ausländerbehörde auf die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG auswirkt, hat das Verwaltungsgericht Oldenburg im Urteil vom 25. Januar 2008 - 1 A 4916/05 -, folgendes ausgeführt: Eine solche Erklärung - die auch dort, wie hier, auf zwei Jahre befristet war - lasse ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur entfallen, wenn mit hinreichender Sicherheit erwartet werden könne, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat dem Ausländer zur Verfügung steht. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 22. Mai 2008 - 13 LA 42/08 -, ausdrücklich bestätigt, dass diese Auffassung der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts abweiche.
Auch mindestens drei weitere Oberverwaltungsgerichte vertreten dieselbe Ansicht wie das zitierte Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führte im Urteil vom 6. März 2007 - 9 B 06, 30 682 - juris, Rdnr. 34 aus, dass eine befristete Kostenübernahme die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht entfallen lasse, wenn auch nach Ablauf der Frist nicht zu erwarten sei, dass der Kläger für die dann notwendige Therapie wird aufkommen können. Ein bloßes seitliches Hinausschieben von schwersten Krankheiten oder des Todes lasse den in der Abschiebung liegenden Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Satz 1 GG nicht entfallen. Dabei ist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich auf die bereits vorstehend zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dazu, dass auch eine "Extremgefahr" nicht ein sofortiges Eintreten des Todes oder schwerster Gesundheitsschäden voraussetze.
Auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Januar 2007 - 18 E 274/06 -, NVwZ 2007, 611 f. war der Auffassung, maßgeblich für die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG sei, ob infolge einer befristen Kostenübernahmeerklärung mit hinreichender Sicherheit erwartet werden könne, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat der Ausländer zur Verfügung steht.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof, den das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 22. Mai 2008 ausdrücklich zitiert, vertrat im Beschluss vom 23. Februar 2006 - 7 ZU 269/06.A, NVwZ 2006, 1203 -, die Auffassung, dass eine konkrete Gefahr nach § 60 Abs. 7 AufenthG durch Mitgabe eines Medikamentenvorrates für einige Monate dann entfällt, wenn mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat dem Ausländer zur Verfügung steht.
Der Einzelrichter der 7. Kammer schließt sich dieser überzeugenden Rechtsprechung an. Dies führt dazu, dass für den Kläger trotz der Kostenübernahmeerklärung des Landkreises Vechta weiter eine Gefahr nach § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben ist. Nach dem ärztlichen Attest der Diabetologischen Schwerpunktpraxis, Frau K., vom 12. Januar 2007 ist die Insulintherapie des Klägers ein Leben lang erforderlich. Dies hat auch die Beklagte nicht in Zweifel gezogen; Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Aussage liegen nicht vor. Aus medizinischer Sicht wird der Kläger daher die aufgeführte Behandlung nach Ablauf der zwei Jahre genauso dringend brauchen, wie heute.
Auch liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass er binnen zwei Jahren in der Lage sein wird, sich in Togo eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen, die es ihm erlaubt, anschließend die Behandlungskosten aus eigenen Mitteln zu tragen.
Liegen demnach die Voraussetzungen des § 60 AufenthG vor und droht dem Kläger bei einer Abschiebung nach Togo mit Sicherheit der Tod oder eine schwerste Gesundheitsbeschädigung, so ist das Ermessen der Beklagten dahingehend, ob sie die bestandskräftige Feststellung des Nichtbestehens von Abschiebungshindernissen im Bescheid vom 27. August 2001 gemäß § 49 Abs. 1 VwVfG widerrufen will, auf Null reduziert (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 71 Rdnr. 100).