VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2008 - 7 K 1177/08 - asyl.net: M13907
https://www.asyl.net/rsdb/M13907
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, deutsche Kinder, Strafhaft, Straftaten, Terrorismus, Unterstützung, Al Tawhid, Urkundenfälschung, Wiederholungsgefahr, Privatleben, Integration, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8
Auszüge:

Der Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner anzuweisen, von seiner geplanten Abschiebung am 8. August 2008 abzusehen, ist nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet, weil der Antragsteller einen Anordnungsanspruch, gerichtet auf Untersagung der Abschiebung, nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).

Eine Abschiebung ist nach § 60 a Abs. 2 AufenthG auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Ein Duldungsanspruch folgt für den Antragsteller, der Vater zweier deutscher Kinder (S, geboren am ... in N, und S1, geboren am ... in N) ist, im Ergebnis jedoch nicht - wie geltend gemacht - aus Art. 6 GG unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Familienlebens.

Zunächst ist nach Auswertung der beigezogenen Akten von einer familiären Beziehung im Sinne einer tatsächlichen Verbundenheit zwischen dem Antragsteller und seinen deutschen Kindern auszugehen.

Zwar befindet sich der Antragsteller, der wegen Urkundsdelikten und (versuchten und vollendeten) Einschleusens von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde (vgl. Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. Februar 2006 - XX - 13/05 -), seit dem 12. Januar 2005 ununterbrochen in Haft und in den Sachverhaltsfeststellungen des Strafurteils heißt es auf Grund entsprechender Einlassung des Antragstellers, dass die Familie (d.h. der Antragsteller, seine Söhne und deren Mutter) nicht in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe (Seite 10 des amtlichen Umdrucks; Beiakte Heft 2, Bl. 219).

Auch hat der Antragsteller in der Vergangenheit keine behördlich registrierten freiwilligen Unterhaltszahlungen für seine Kinder geleistet (vgl. Beiakte Heft 1 zu 8 K 5952/07, Bl. 71; Beiakte Heft 2 zu 8 K 5952/07, Bl. 295).

Diese Umstände schließen jedoch den (früheren und jetzigen) Bestand von familiären Beziehungen nicht aus. Für die von dem Antragsteller geltend gemachte und durch die Kindesmutter in einer an die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gerichteten E-Mail vom 25. Februar 2008 bestätigte familiäre Beziehung zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern sprechen vielmehr folgende gewichtige (objektive) Anhaltspunkte im Zusammenhang mit dem gegen den Antragsteller gerichteten Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (Al Tawhid): Im Zuge von Oberservationsmaßnahmen im Oktober 2004 wurde festgestellt, dass der Antragsteller regelmäßig Kontakt zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin und Kindesmutter unterhielt und auch in deren Wohnung übernachtete.

Die - auch geistige und emotionale - Bindung zwischen dem Antragsteller und zumindest seinem Sohn S wurde bei der vorgenannten Durchsuchung deutlich, indem der damals vierjährige S den Beamten auf Nachfrage, was er später einmal werden wolle, laut Aktenvermerk antwortete, er wolle einmal "Mudjahed" wie sein Vater werden. Hierunter verstehe er Männer mit Schwertern und Pistolen, die Ungläubige töten (vgl. Beiakte Heft 11 zu 8 K 5952/07, Bl. 66).

Während der Haftzeit ist der Kontakt durch regelmäßige Besuche der Kindesmutter, teilweise in Begleitung der beiden Kinder, und Telefonate aufrecht erhalten worden. Es ist anzunehmen, dass bei den Besuchen die Erziehung der gemeinsamen Kinder Gesprächsgegenstand ist. Der Antragsteller sieht sich schon auf Grund seiner religiösen Wertvorstellungen in der Vaterrolle und versucht auch aus der Haft heraus, auf das Leben seiner Kinder Einfluss zu nehmen und familiäre Unterstützung sicherzustellen (vgl. Beiakte Heft 12 zu 8 K 5952/07, Bl. 86 (Besuchsüberwachung im März 2005); Beiakte Heft 29 zu 8 K 5952/07 (Vollstreckungsheft Band I), Bl. 83 f.).

Ist nach alledem von bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu berücksichtigenden familiären Bindungen des Antragstellers im Sinne von Art. 6 GG auszugehen, haben jedoch vorliegend die gegen einen Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet sprechenden Gründe stärkeres Gewicht:

Der Antragsteller ist während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet in erheblichem Umfang und in sich steigernder Weise straffällig geworden. Nach seiner Einreise Ende 1995 und der auf Grund unrichtiger Angaben zu seiner Herkunft erwirkten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. hierzu das den Widerruf der Feststellung bestätigende Urteil des VG Düsseldorf vom 4. Januar 2007 - 11 K 3704/06.A -) ist der Antragsteller zunächst wegen Diebstählen auffällig geworden, für die er Geldstrafen erhalten hat. Sodann erhärtete sich im Zuge strafrechtlicher Ermittlungsverfahren der Verdacht, dass der Antragsteller im Zeitraum von März bis April 2002 als Aussteller und Lieferant von gefälschten Ausweisdokumenten in die Passfälschungs- und Passverbringungsaktivitäten der deutschen Zelle der "Al Tawhid" eingebunden war, für die Organisation eine CD mit der Anleitung zur Herstellung von Sprengstoff aufbewahrte und im Besitz einer Waffe war, die er der "Al Tawhid"-Zelle verkaufen wollte und die bei einem geplanten Anschlag auf jüdische oder israelische Einrichtungen in Deutschland zum Einsatz kommen sollte. Zwar ist das entsprechende Ermittlungsverfahren im Hinblick auf die nachstehende rechtskräftige Verurteilung des Antragstellers wegen Urkundsdelikten nach §§ 154 Abs. 1 Nr. 1, 154a Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt worden. Dies ändert jedoch nichts an dem vom Generalbundesanwalt im Einstellungsvermerk festgestellten hinreichenden Tatverdacht, den das beschließende Gericht auf Grund der in den Ermittlungsakten enthaltenen Erkenntnisse (Ergebnisse von Telekommunikationsüberwachungen und Durchsuchungen, Zeugenaussagen) ohne Weiteres nachvollziehen kann. Der Antragsteller stand damit im durch Tatsachen gestützten Verdacht, eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben (vgl. Beiakte Heft 3 zu 8 K 5952/07, Bl. 375 ff.).

Von der Zerschlagung der inländischen "Al Tawhid"-Zelle und bundesweiten Festnahmen der Mitglieder im April 2002 unbeeindruckt, stellte der Antragsteller im Zeitraum von 2002 bis 2005 in ausschließlich als "Fälscherwerkstatt" genutzten Wohnungen in E1 falsche Papiere her, die unter anderem dazu dienen sollten, die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland oder einen anderen Schengen-Staat bzw. den Aufenthalt dort zu ermöglichen. Deswegen wurde der Antragsteller zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt (vgl. Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. Februar 2006 - XX - 13/05 -, Beiakte Heft 2 zu 8 K 5952/07, Bl. 210 ff.).

Die Haftzeit des Antragstellers endet am 11. Juli 2009. Im Hinblick auf die nicht gering geschätzte Gefahr der Begehung erneuter Straftaten ist die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt abgelehnt worden (vgl. Landgericht Düsseldorf, Beschluss 31. März 2008 - StVKK 579/07 -, Beiakte Heft 28 zu 8 K 5952/07 (Vollstreckungsheft Band II), Bl. 236 ff.).

Auch die Beziehung zu seinen Kindern kann nicht als haltgebender Faktor angesehen werden. Diese hat den Antragsteller schon nicht von der Begehung der vorgenannten Straftaten abhalten können. Vielmehr hat er - soweit bekannt - erst nach der Geburt seines ältesten Sohnes die über einen langen Tatzeitraum verwirklichte erhöhte kriminelle Energie gezeigt, dabei professionelles konspiratives Vorgehen entwickelt und sich den Ruf eines qualifizierten Fälschers erworben. Seine Einlassung im Rahmen der psychologischen Begutachtung, sein konspiratives Verhalten habe er vor allem zum Schutz seiner Kinder, und zwar in erster Linie vor den Leuten um ihn herum, kultiviert, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass er seine kriminellen Aktivitäten angesichts der in der Wohnung seiner ehemaligen Lebensgefährtin sichergestellten Gegenstände nicht von dort ferngehalten hat. Auf einem Computertisch im Kinderzimmer wurde beispielsweise ein PC vorgefunden, auf dem Dateien mit der Anleitung zur Herstellung von Sprengstoffen, Beschreibungen von Schusswaffen und Handgranaten sowie eine Anleitung zur Herstellung einer Einschusswaffe abgespeichert waren (vgl. Beiakte Heft 15 zu 8 K 5952/07, Bl. 137/25).

Von einer "Zäsur" in der Lebensführung des Antragstellers durch die Geburt seiner Kinder kann hiernach keine Rede sein. Vielmehr hat er seinerseits seiner streng vom islamischen Glauben mit fundamentalistischer Ausrichtung geprägten Überzeugung auch im Lebensbereich seiner Familie Ausdruck und Geltung verschafft, auch wenn er - wie er meint - in seinem Sohn (S) nicht nur einen "Kämpfer für die gerechte Sache" sehe (vgl. hierzu Beiakte Heft 29 zu 8 K 5952/07 (Vollstreckungsheft Band I), Bl. 127).

Einen glaubhaften Einstellungswandel hat der Antragsteller zu keiner Zeit - auch nicht durch die erstmals erlebte Haft - erkennen lassen (vgl. insoweit auch Landgericht Düsseldorf, Beschluss 31. März 2008 - StVKK 579/07-, Beiakte Heft 28 zu 8 K 5952/07 (Vollstreckungsheft Band II), Bl. 236 ff.).

Bei der gegebenen Sachlage einer von dem Antragsteller weiterhin ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung muss dieser unter Berücksichtigung des Umstandes, dass seinen Kindern im Hinblick auf die Beziehung zur deutschen Mutter ein Verlassen des Bundesgebietes nicht zumutbar ist, hinnehmen, eine Lebensgemeinschaft mit seinen Kindern in Deutschland zukünftig nicht aufnehmen zu können. Insoweit ist zu bemerken, dass der Antragsteller nach seinem eigenen Vortrag schon vor der Haft nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Kindern gelebt hat und - wie ausgeführt - auch zukünftig nicht die Absicht hätte, seinen dauerhaften Aufenthalt bei der Kindesmutter zu nehmen. Die intensiven Besuchskontakte vor der Inhaftierung waren schon in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren auf Grund der Haftsituation bereits deutlich eingeschränkt. Bei alldem wird nicht das mutmaßliche Interesse auch der Kinder verkannt, die ihren Vater als Vorbild ansehen und regelmäßig mit ihrer Mutter in der Haftanstalt besuchen. Insoweit wird eine weitergehende Beschränkung des Umgangs auf - auch schon während der Haft gepflegte - telefonische und schriftliche Kontakte erfolgen müssen, die unterdessen durch Inanspruchnahme der sich ständig fortentwickelnden elektronischen Medien wiederum zu einer vergleichsweisen Erweiterung des aktuellen Umgangs führen können.

Anderweitige Gründe für eine Duldung sind weder dargetan noch ersichtlich. Insbesondere lässt sich keine dem Antragsteller günstigere Rechtsfolge aus Art. 8 EMRK unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privatlebens herleiten. Wie ausgeführt, ist der Antragsteller trotz seines mittlerweile fast dreizehnjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert.