VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 15.07.2008 - 1 K 305/07 - asyl.net: M13916
https://www.asyl.net/rsdb/M13916
Leitsatz:

Es ist einem gläubigen Muslim nicht zuzumuten, an einer Umschulungsmaßnahme "Fleischverarbeitung und -zerlegung" teilzunehmen.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Lebensunterhalt, Vertretenmüssen, Kündigung, Arbeitslosigkeit, Umschulung, Zumutbarkeit, Fleischverarbeitung und -zerlegung, Muslime, Religionsfreiheit
Normen: StAG § 10 Abs. 1 Nr. 3; SGB II § 10 Abs. 1 Nr. 5; GG Art. 4
Auszüge:

Es ist einem gläubigen Muslim nicht zuzumuten, an einer Umschulungsmaßnahme "Fleischverarbeitung und -zerlegung" teilzunehmen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung.

Der Kläger erfüllt insbesondere die nach Prüfung aller sonstigen Voraussetzungen seitens des Beklagten allein noch im Streit stehende Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG. Danach muss er den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten können oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten haben. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger, weil er im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zwar Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht, dies aber nicht zu vertreten hat.

Nicht zu vertreten hat der Ausländer sein Angewiesensein auf Leistungen nach dem SGB II oder XII, wenn er nicht durch ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug gesetzt hat, dieser also nicht auf Umständen beruht, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein arbeitsfähiger Einbürgerungsbewerber der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und sich hinreichend intensiv um eine Beschäftigung bemüht, aber aus konjunkturellen Gründen keine nach dem Maßstab des §§ 8 Abs. 1, 10 SGB II zumutbare Beschäftigung findet, weil er objektiv vermittlungshemmende Merkmale aufweist. Für die Beurteilung hinreichender Bemühungen sind die zum SGB II und XII bestehenden Grundsätze entsprechend heranzuziehen, weil an einen Einbürgerungsbewerber grundsätzlich keine anderen Anforderungen an Arbeitsbemühungen gestellt werden können als an deutsche Staatsangehörige, die derartige Sozialleistungen in Anspruch nehmen wollen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 6. Juli 2007 - 5 ZB 06.1988 -, juris; VG Münster, Beschluss vom 14. Februar 2006 - 1 K 970/05 -, m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 1. Juli 1997 - 25 A 3613/95 (zu § 86 AuslG a.F.) -, NWVBl. 1998, 145).

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II nicht zu vertreten. Zunächst ist nichts dafür erkennbar, dass der Verlust seines Arbeitsplatzes im Oktober 2002 in seinen Verantwortungsbereich fällt. Arbeitsvertragswidriges Verhalten ist nicht bekannt geworden. Die Erklärung des Klägers, die nicht näher begründete Kündigung in der Probezeit sei mit Blick auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des bald darauf insolventen Unternehmens erfolgt, erscheint plausibel.

Weiter geht das Gericht nicht davon aus, dass der Kläger den Leistungsbezug deshalb zu vertreten hat, weil er im Jahr 2006 nicht an der Umschulungsmaßnahme "Fleischverarbeitung und -zerlegung" teilgenommen hat. Abgesehen davon, dass nicht feststellbar ist, ob dies nach wie vor kausal für den - hier maßgeblichen - derzeitigen Leistungsbezug ist, ob also wegen der angeblichen "Übernahmegarantie" im Anschluss an die Maßnahme tatsächlich ein dauerhaftes (bis heute andauerndes) Beschäftigungsverhältnis entstanden wäre, handelte es sich zur Überzeugung des Gerichts nicht um eine dem Kläger nach dem Maßstab des § 10 SGB II zumutbare Beschäftigung. Zwar ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - und damit auch dem Einbürgerungsbewerber - grundsätzlich jede Arbeit zumutbar; dies gilt aber gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II nicht, wenn der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht. Bei Auslegung dieser Auffangbestimmung im Lichte des Grundrechtes aus Art. 4 GG stellt der vom Kläger geltend gemachte Umstand, er sei gläubiger Muslim, einen solchen wichtigen Grund dar, der der Tätigkeit in einem vor allem Schweinefleisch verarbeitenden Betrieb entgegensteht. Im Islam ist nicht nur das Schächten (d.h. Schlachten ohne die hierzulande übliche Betäubung der Tiere) Ausdruck einer weit verbreiteten religiösen Grundhaltung und insofern Voraussetzung für den religiösen Geboten entsprechendes Fleisch, sondern vor allem der Verzehr von Schweinefleisch nach dem Koran ausdrücklich verboten.