VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 01.07.2008 - 10 K 372/08.A - asyl.net: M13917
https://www.asyl.net/rsdb/M13917
Leitsatz:
Schlagwörter: Côte d'Ivoire, RDR, Rassemblement des Républicains, RJR, Rassemblement des Jeunes Républicains, Mitglieder, Glaubwürdigkeit, politische Entwicklung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I. Zunächst hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Vorliegend lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatstaat Elfenbeinküste mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Dieser Prognosemaßstab - Frage gerade nach der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer künftigen politischen Verfolgung - ist hier deshalb heranzuziehen, weil nicht erkennbar ist, dass der Kläger in seiner Heimat bereits einmal politisch verfolgt worden ist, er also vorverfolgt ausgereist ist.

Zwar steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Kläger vor seiner Ausreise in seinem Heimatland politisch betätigte. Dies trug er bereits während der beiden Anhörungen vor dem Bundesamt vor, wobei er profunde Kenntnisse der politischen Lage in seiner Heimat aufwies, und wurde vom Auswärtigen Amt unter dem 22. Juni 2007 auch schriftlich bestätigt. Demnach ist der Kläger in der Tat seit dem Jahr 2003 Mitglied der Partei RDR. Er wurde außerdem im Januar 2006 zum Vorsitzenden der RDR-Parteijugend (Rassemblement des Jeunes Républicains - RJR) im Stadtviertel S. Nord-Est gewählt und zum Sprecher der RJR für die Commune L. bestellt. Ungereimtheiten gibt es lediglich hinsichtlich des Vortrags des Klägers, er habe auch der CSI angehört, während sich die Auskunft des Auswärtigen Amtes dazu trotz der eindeutigen Frage des Bundesamtes nicht verhält. Stattdessen wurde erwähnt, der Kläger sei nach der Aussage des Vorsitzenden der RJR in L. namens T. L1 von diesem in den Parteivorstand des Stadtbezirks L. berufen worden.

Die Kammer geht aber davon aus, dass der Kläger trotz seiner verschiedenen Funktionen kein exponiertes Mitglied der RDR ist und seine politischen Aktivitäten ihn nicht in die behaupteten Schwierigkeiten mit den regierungsnahen Milizkräften brachten.

Dass der Kläger lediglich ein einfaches Parteimitglied ist, ergibt sich bereits aus seinem Parteiausweis, der sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite jeweils den Zusatz "Militant" enthält. Während der Kläger auf Befragen in der mündlichen Verhandlung zunächst äußerte, es gebe nur eine Art von Mitgliedsausweisen innerhalb der RDR, räumte er auf Vorhalt ein, dass die einfachen Mitglieder der RDR-Partei den Eintrag "Militant" erhielten. Lediglich die Mitgliedsausweise der Entscheidungsträger innerhalb der Partei wiesen den Zusatz "Bureau politique" auf. Diese Darstellung des Klägers deckt sich mit den Erkenntnissen des Gerichts (vgl. auch Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 22. Februar 2008 - 7 A 2266/05 -).

Hinzu kommt, dass es sich bei dem Parteiverband, dem der Kläger erst seit Jahresbeginn 2006 vorstand, lediglich um die Jugendorganisation innerhalb eines Stadtviertels handelt. Diese zählte nach seinem eigenen Bekunden in der mündlichen Verhandlung nur 10 bis 16 Mitglieder. Das Amt des Sekretärs für Kommunikation der RDR-Jugend in der Commune L. übernahm er nach seinen Angaben beim Bundesamt erst zwei Monate vor der Ausreise, Mitglied des CSI wurde er ebenfalls erst kurz vor dem Verlassen seiner Heimat im Mai oder Juni 2006, sodass von einer herausgehobenen politischen Engagement des Klägers nicht ausgegangen werden kann.

Das Gericht nimmt auch nicht an, dass es seit Ende 2005 bis zur Ausreise des Klägers Anfang Juli 2006 tatsächlich Todesdrohungen durch Milizkräfte gab, die speziell gegen ihn gerichtet und ernst zu nehmen waren (vgl. zu diesen Zweifeln auch die in seinem Fall ergangene Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 22. Juni 2007, wonach es in B. lediglich die eine oder andere kleine Gruppe der Gbagbo-treuen Milizen in den nördlichen Stadtbezirken, zu denen L. nicht gehört, gibt).

Die diesbezügliche Darstellung des Klägers beim Bundesamt war oberflächlich und substanzarm.

Hinzu kommt, dass sich seit dem Jahr 2006 die Verhältnisse im Staat Elfenbeinküste deutlich entspannt haben:

Nach dem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom Oktober 2005 wurde die Regierung in ihren Kompetenzen gestärkt. Seit Dezember 2005 arbeitete die Übergangsregierung der nationalen Versöhnung unter Banny mit Fortschritten in den wichtigsten Bereichen (vgl. Auswärtiges Amt, Länderinformationen, Stand April 2006).

Wichtige Führer der Oppositionsparteien wie der ehemalige Präsident Bedie und der ehemalige Premierminister Ouattara sind im Jahr 2006 aus ihrem französischem Exil zurückgekehrt, nehmen am politischen Leben teil und bereiten sich auf ihre Kandidatur zu den überfälligen Präsidentschaftswahlen vor. Der ehemalige Premierminister Ouattara steht der Partei RDR vor. Zwischenzeitlich einigten sich überdies die Konfliktparteien, die für den Friedensprozess wesentlichen Voraussetzungen, nämlich die Wählerregistrierung und die Demobilisierung der ehemaligen Kämpfer, parallel durchzuführen. Im Mai 2006 fand hierzu die Pilotphase statt. In wirtschaftlicher Hinsicht nahm der IWF und die Weltbank die finanzielle Zusammenarbeit mit der Elfenbeinküste wieder auf. Weiter wird die Elfenbeinküste als erstes Land von dem neuen, zentralen Nothilfefonds der Vereinten Nationen profitieren, der diversen Hilfsorganisationen ermöglicht, im Westen des Landes ihre Arbeit für etwa 250.000 bis 600.000 ivorische Flüchtlinge wieder aufzunehmen (vgl. Hans-Seidel-Stiftung, Monatsberichte Februar 2006, März 2006, Mai 2006 und September 2007).

Auch aktuell hält die langsame Stabilisierung und Verbesserung der politischen Lage an. Aufgrund eines Vorschlags von Präsident Gbagbo wurden Anfang Februar 2007 in Ouagadougou in Burkina Faso die sog. Direktgespräche begonnen, die am 04. März 2007 in die Unterzeichnung der "Vereinbarung von Ouagadougou" mündeten. Anfang April 2007 nahm die neue Regierung unter Führung des Forces Nouvelles-Generalsekretärs Guillaume Soro die Arbeit auf. Die Umsetzung der Friedensvereinbarung und die Wiedervereinigung des Landes gehen langsam voran und es ist eine allgemeine Entspannung der Situation festzustellen (Auswärtiges Amt, Länderinformationen, Stand September 2007).

Gbagbo und Soro schlossen am 27. November 2007 eine Zusatzvereinbarung zum Ouagadougou-Abkommen, die unter anderem auch einen Zeitplan für dessen Umsetzung enthält.

Wegen dieser erheblichen Beruhigung der Lage vertritt auch die Organisation UNHCR ihre frühere Empfehlung, von einer Zurückschaffung abgewiesener Asylsuchender in die Elfenbeinküste bis auf weiteres abzusehen, in ihrem aktuellen Positionspapier nicht mehr (vgl. UNHCR, Bericht von Juni 2007).

Was die Partei RDR anbelangt, handelt es sich um eine in der Elfenbeinküste im Jahr 1994 gegründete legale politische Partei, die zu den großen Parteien des Landes gehört und deren Anhängerschaft sich weit überwiegend auf die ethnischen Bevölkerungsgruppen des Nordens stützt. Die Partei geht mittlerweile wieder überall im Land ihren normalen Aktivitäten nach. Der Parteivorsitzende Ouattara ist - wie bereits ausgeführt - im Jahr 2006 aus seinem selbstgewählten französischem Exil zurückgekehrt und ist einer der Hauptkandidaten für die nächste Präsidentschaftswahl. Die politischen Überzeugungen der RDR werden über die der Partei nahestehende Tageszeitung "Le Patriote" im ganzen Land verbreitet. Insofern kann keine Rede davon sein, dass Mitglieder der RDR generell staatliche oder andere Verfolgungsmaßnahmen befürchten müssen, insbesondere nicht unter den seit Beginn des Jahres 2006 deutlich entspannten Verhältnissen im Land. Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen örtliche Parteifunktionäre der RDR als solche Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 22. Juni 2007).

Von den 225 Abgeordneten des im fünfjährigen Turnus gewählten Einkammerparlaments gehören 5 der RDR an (vgl. Internetseite des Auswärtigen Amtes zur Elfenbeinküste). Ferner nehmen derzeit 5 Minister der RDR-Partei im Kabinett die Regierungsgeschäfte wahr (vgl. Reuters, Meldung vom 09. April 2007 "Côte d'Ivoire: New government formed").