VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 26.05.2008 - 20 K 3042/07.A - asyl.net: M13925
https://www.asyl.net/rsdb/M13925
Leitsatz:

Bei einer drohenden Retraumatisierung ist eine posttraumatische Belastungsstörung als solche geeignet, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu begründen.

 

Schlagwörter: Libanon, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, posttraumatische Belastungsstörung, Retraumatisierung, Situation bei Rückkehr, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Bei einer drohenden Retraumatisierung ist eine posttraumatische Belastungsstörung als solche geeignet, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu begründen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Feststellulng in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes, wonach in der Person der Klägerin zu 1 kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, ist rechtswidrig.

Auf der Grundlage der von Frau X. -S. durchgeführten Untersuchungen und ihrer Diagnose steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Klägerin zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliegt. Allerdings hat das Bundesamt die Auffassung vertreten, aus der Diagnose allein ergäben sich noch keine konkreten Gesundheitsgefahren; namentlich sei bei einer PTBS-Erkrankung keine standardmäßige Festlegung nach ob, Art und Umfang der drohenden Gesundheitsgefahr gegeben. Dem vermag das Gericht nicht zu folgen. Maßgeblich ist nicht, ob aus der posttraumatischen Belastungsstörung weitere Erkrankungen erwachsen, sondern die PTBS ist die Erkrankung. Bei einer drohenden Retraumatisierung ist die Erkrankung als solche geeignet, ein Abschiebungshindernis zu begründen. Dessen ungeachtet hat Frau X.-S. an verschiedenen Stellen des Gutachtens Aussagen darüber getroffen, welche Beschwerden aufgrund der Traumatisierung bei der Klägerin zu 1 vorliegen. Des Weiteren steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Klägerin zu 1 im Falle ihrer Rückkehr in den Libanon eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung droht: Im Gutachten ist nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass sich die psychische Situation der Klägerin zu 1 im Libanon stetig verschlechtert hat. Die Traumatisierung der Klägerin zu 1 ist auf eine Kumulation von belastenden Ereignissen mit traumatogenem Potenzial bereits ab Kindesalter zurückzuführen. Nachdem sich die Beschwerden zunächst durch einen Wegzug nach Kuwait stabilisiert hatten, kam es in der Folge durch mehrfache Konfrontation mit dem "Ort des Geschehens" und der erneuten Konfrontation mit traumatischen Ereignissen zu einer ständigen Reaktualisierung und Retraumatisierung der Klägerin zu 1. Retrospektiv ist es dabei immer wieder zu einer Verschlimmerung der vorhandenen bzw. Neuentwicklung weiterer psychischer Beschwerden gekommen. Dies hat die Gutachterin auf Bl. 58 f ihres Gutachtens überzeugend dargestellt. Ausgehend hiervon kann die Auffassung des Bundesamtes nicht geteilt werden, wonach der Klägerin zu 1 eine Rückkehr in den Libanon zugemutet werden könne, weil sie auch zuvor viele Jahre dort gelebt habe. Diese Auffassung verkennt, dass sich im Zeitpunkt der Ausreise die psychische Situation der Klägerin zu 1 so verschlechtert hatte, dass ihr ein weiterer Verbleib in ihrem Heimatland nicht zugemutet werden konnte.

Das Gericht hält es des Weiteren für überzeugend, wenn die Gutachterin ausführt, bei einer erneuten Konfrontation mit dem "Ort des Geschehens" (überflutende Konfrontation mit ereignisspezifischen Triggern im Libanon) werde es bei der Klägerin zu 1 zu einer massiven Reaktualisierung der traumatischen Erlebnisse und mithin zu einer erheblichen Verschlimmerung der traumaspezifischen (Real-)Ängste kommen (vgl. Bl. 84 des Gutachtens). Die erhebliche Zunahme der taumaspezifischen (realen) Ängste wird nach Auffassung der Gutachterin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten. Die prognostizierte Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin zu 1 wird daher von der erkennenden Kammer als erheblich und im Hinblick auf die sofortige Konfrontation mit ereignisspezifischen Triggern auch als konkret eingeschätzt. Wegen der abzusehenden erneuten Konfrontation mit der von der Klägerin zu 1 als traumatisierend erlebten Unsicherheitssituation (mehrfach erlebter Tod/schwere Verletzung von nahestehenden Menschen) und der damit verbundenen Retraumatisierung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Erkrankung im Libanon behandelt werden kann. Vielmehr folgt das Gericht der Bewertung von Frau X.-S. , wonach eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch eine wesentliche Zunahme der traumaspezifischen Ängste und intrusiven Symptomatik sowie weitere Somatisierungen zu erwarten wären.