VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 20.06.2008 - 4 K 3099/07 - asyl.net: M13939
https://www.asyl.net/rsdb/M13939
Leitsatz:

Eine Schwangerschaft der deutschen Ehefrau begründet für sich genommen keinen Ausweisungsschutz.

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, zwingende Ausweisung, Drogendelikte, besonderer Ausweisungsschutz, Wiederholungsgefahr, Spezialprävention, Generalprävention, Schutz von Ehe und Familie, Ehegatte, Deutschverheiratung, Schwangerschaft
Normen: AufenthG § 53 Nr. 1; AufenthG § 53 Nr. 2; AufenthG § 56 Abs. 1; EMRK Art. 8; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Eine Schwangerschaft der deutschen Ehefrau begründet für sich genommen keinen Ausweisungsschutz.

(Leitsatz der Redaktion)

 

1. Die gegen den Kläger verfügte Ausweisung ist rechtmäßig.

Ermächtigungsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Nr. 1, Nr. 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 AufenthG.

Der Kläger hat mit seiner Verurteilung durch das Landgericht Hamburg vom 22.02.2007 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten wegen zwei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz den Tatbestand der zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1, Nr. 2 AufenthG erfüllt. Er ist indes nicht zwingend auszuweisen, sondern genießt erhöhten Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG, weil er mit einem deutschen Familienangehörigen – seiner Ehefrau – in familiärer Lebensgemeinschaft lebt (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG), wobei der Haftaufenthalt der Annahme einer Lebensgemeinschaft nicht entgegen steht (vgl. VGH Hessen, Beschl. v. 25.05.1995, – 13 TH 310/05 –; VG Koblenz, Urt. v. 13.08.2007, – 3 K 309/07.KO – in juris). Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann der Kläger deshalb nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, welche in der Regel in den Fällen des § 53 AufenthG vorliegen (§ 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Dies ist hier der Fall. Anlass dafür, eine Ausnahme von dem Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG anzunehmen, besteht nicht.

Die Ausweisung des Klägers ist aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt, weil derzeit unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls eine Wiederholung vergleichbarer – schwerer – Straftaten ernsthaft droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2000, – 9 C 6/00 – in juris; vgl. Storr-Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., 2008, § 56 Rn 10). Eine Wiederholungsgefahr ist schon mit Blick auf die Schwere der Tat nicht auszuschließen. Schwere Rauschgiftdelikte sind regelmäßig mit einer hohen Wiederholungsgefahr verknüpft (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2000, – 9 C 6.00 –, BVerwGE 112, 185 <192>). Das gilt auch und gerade im Fall des Klägers.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG wird, wenn – wie hier – die Voraussetzungen des § 3 AufenthG vorliegen, der Ausländer in der Regel ausgewiesen. Nach neuer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 23.10.2007, – 1 C 10/07 – Rn 24 in juris) liegt ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung über die Ausweisung – bereits dann vor, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der EMRK geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall sind gegeben, wenn es von § 56 Abs. 1 Nr. 1 – 5 AufenthG nicht vollumfänglich abgedeckte Umstände gibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007, a.a.O. Rn 29). Ob ein das Ermessen eröffnender Ausnahmefall oder ein Regelfall im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, kann hier offenbleiben, denn die Ausweisung des Klägers hätte nicht nur als Regelausweisung Bestand, sondern auch, wenn ein Ausnahmefall angenommen werden müsste. Eine für diesen Fall erforderliche Ermessensentscheidung hatte die Beklagte nämlich bereits in den angegriffenen Bescheiden hilfsweise getroffen, wobei sie ihre Ermessenserwägungen in der mündlichen Verhandlung – nach § 114 Satz 2 VwGO zulässigerweise – erweitert hat.

Die Ausübung des Ermessens ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat die Behörde die Rechte des Klägers mit Blick auf seine Familie aus Art. 8 EMRK und Art. 6 GG nicht verletzt.

Dass der Kläger und seine Ehefrau für November 2008 die Geburt ihres Kindes erwarten, berührt die im Rahmen von Art. 8 EMRK vorzunehmende Abwägung nicht, da Kinder aus einer Art. 8 EMRK unterfallenden Familienbeziehung allein aufgrund der Geburt und (erst) von diesem Zeitpunkt an ein Teil der Familien sind (EMRK/GG Konkordanzkommentar, 2006, S. 781 Rn 41; EGMR, Urt. v. 21.06.1988 in der Sache Berrehab ./. Niederlande, Nr. 10730/84, in HUDOC, www.coe.int ).

Auch Art. 6 GG zwingt nicht dazu, die Ausweisung des Klägers als rechtswidrig zu beurteilen. Die Schwangerschaft der deutschen Ehefrau eines Ausländers begründet für sich genommen noch keinen Ausweisungsschutz (VG Saarland, Beschl. v. 27.01.2005, – 10 F 54/04 – in juris). Das Bundesverfassungsgericht stellt bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, hinsichtlich der Schutzwirkungen des Art. 6 GG maßgeblich darauf ab, ob zwischen Vater und Kind tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, Beschl. v. 23.01.2006, – 2 BvR 1935/05 – in juris). Diese Rechtsprechung setzt die Geburt des Kindes notwendigerweise voraus. Soweit in der Rechtsprechung aus Art. 6 GG ableitbare Vorwirkungen auf das Verhältnis zwischen einem noch nicht geborenen Kind und dessen Elternteil anerkannt werden, geschieht dies – soweit ersichtlich – nicht in Bezug auf Ausweisungsfälle, sondern in Fällen, in denen werdende Väter Abschiebungsschutz begehren (vgl. Sächsisches OVG, Beschl. v. 15.09.2006, – 3 Bs 189/06 –, InfAuslR 2006, S. 446 ff.). Auch dem Kläger steht es offen, mit Blick auf die Geburt seines Kindes Ansprüche nach § 25 Abs. 5, § 60a AufenthG geltend zu machen, die ggf. seinen Verbleib im Bundesgebiet trotz Ausweisung ermöglichen.

Dass die Ehefrau des Klägers wegen der Schwangerschaft in für Schwangerschaftsfälle atypischem Maße auf die Anwesenheit des Klägers angewiesen ist, ist nicht anzunehmen. Dies ist weder von Klägerseite vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich.