LSG Niedersachsen-Bremen

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Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 02.09.2008 - L 11 AY 96/08 ER - asyl.net: M13942
https://www.asyl.net/rsdb/M13942
Leitsatz:

Auf die 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG sind auch Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG anzurechnen.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Aufenthaltsdauer, 48-Monats-Frist, Grundsicherung für Arbeitssuchende
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Auf die 48-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG sind auch Zeiten des Bezugs von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG anzurechnen.

(Leitsatz der Redaktion)

Die gemäß §§ 172 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist nur bezüglich der Antragsteller zu 1.) und 2.) sowie 5.) bis 7.) begründet.

Ab dem 5. Mai 2008 (Eingang des unterschriebenen Original-Antrages beim SG) haben die Antragsteller zu 1.) und 2.) sowie 5.) bis 7.) den geltend gemachten Anspruch auf Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit den Regelungen des SGB XII hinreichend glaubhaft gemacht.

Im Streit steht, ob die Antragsteller zu 1.) und 2.) sowie 5.) bis 7.) die seit 28. August 2007 gültige zeitliche Voraussetzung des 48-monatigen Bezugs von Leistungen "nach § 3 AsylbLG" erfüllen.

Der Anrechnung von Leistungen nach dem SGB II und nach § 2 Abs. 1 AsylbLG auf die 48-monatige "Wartefrist" i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG steht - entgegen der Ansicht des SG Hannover und des Antragsgegners - weder der Wortlaut von § 2 Abs. 1 AsylbLG entgegen noch "konterkariert" die Anrechnung dieser Zeiten entgegen der Auffassung des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport den Zweck der Vorschrift. § 2 Abs. 1 AsylbLG - auch in der Vorläufervorschrift - ist einer erweiternden Auslegung zugänglich. Schon vor der hier maßgeblichen Gesetzesänderung stand im Streit, ob der Bezug von anderen Sozialleistungen wie etwa nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), nach dem SGB II oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) auf die "Wartefrist" i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. anzurechnen war (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Juni 2007, L 11 AY 84/06 ER; vom 19. Juni 2007, L 11 AY 43/06 ER beide zu den Aufenthaltsberechtigten gem. § 25 Abs. 5 AufenthG, die erstmals aufgrund der zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Änderung von § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG in den Kreis der Leistungsberechtigten aufgenommen worden sind und die bis dahin Leistungen nach BSHG, SGB XII bzw. SGB II bezogen hatten; vgl. Hachmann/Hohm, NVwZ 2008, 33, 35 mwN für die obergerichtliche Rspr zu § 2 AsylbLG aF; vgl. Fasselt in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage § 2 AsylbLG a.F. Rdnr 2 mwN für die Lit.). Es wäre dem Gesetzgeber unbenommen gewesen, durch einen klarstellenden Zusatz in § 2 Abs. 1 AsylbLG n.F. wie etwa "nur" oder "ausschließlich" vor "Leistungen nach § 3 erhalten haben" deutlich zu signalisieren, dass eben nur solche Leistungen "nach § 3" zu berücksichtigen sind. Da eine solche Eindeutigkeit dem Gesetzestext fehlt, ist der Wortlaut von § 2 Abs. 1 AsylbLG im Rahmen der anerkannten Auslegungsmethoden einer erweiternden Auslegung (sog. teleologische Extension) zugänglich. Denn die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz (Artikel 20 Abs. 3 und Artikel 97 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) bedeutet nicht etwa die Bindung an den Buchstaben des Gesetzes mit dem Zwang zur wörtlichen Auslegung, sondern vielmehr das Gebundensein an den Sinn und Zweck der Vorschrift, der mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden zu ermitteln ist (vgl. BVerfGE 35, 263, 279).

In der hier nur summarisch vorzunehmenden Prüfung erweist sich die Anrechnung des Bezugs von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (auch nach dem BSHG bzw. SGB XII) als eine dem Zweck des Gesetzes entsprechende Auslegung, ohne der Norm einen entgegen gesetzten Sinn zu verleihen, der mit dem gesetzgeberischen Ziel nicht mehr in Einklang zu bringen wäre. Denn dann wäre zweifelsohne die Grenze einer zulässigen Auslegung überschritten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 1997, Az.: 1 BvL 11196, NJW 1997, 773). Eine solche Überschreitung liegt nach summarischer Überprüfung offensichtlich nicht vor.

Der Senat interpretiert die zeitlichen Voraussetzungen iSv § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht als reine "Wartefrist", sondern hat darauf abgestellt, dass die Leistungsberechtigten des AsylbLG während des Aufenthalts in der Bundesrepublik auch tatsächlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezogen haben. Deshalb hat der Senat eine Anrechnung von Aufenthaltszeiten auf die "Wartefrist" von § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. bisher nur dann anerkannt, wenn gleichartige Sozialleistungen, wie etwa nach dem BSHG, dem SGB II oder SGB XII tatsächlich bezogen worden sind (vgl. die oben zitierten Senatsbeschlüsse zu § 2 Abs. 1 AsylbIG a.F.).

Soweit es die in der Begründung des angefochtenen Beschlusses herangezogene Rechtsprechung des BSG durch Urteile vom 17. Juni 2008 betrifft, liegen bisher nur die Medieninformation Nr. 25/08 und der Terminsbericht Nr. 30/08 (zur Terminvorschau Nr. 30/08) vor. Bezogen auf das hier entschiedene Problem liegt bisher nur folgende Medieninformation vor: "Bei der Voraussetzung der Vorbezugszeit handelt es sich auch nicht um eine Wartezeitregelung, deren Voraussetzungen schon erfüllt wären, wenn der Ausländer andere Sozialleistungen als die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG oder überhaupt keine Sozialleistungen bezogen hat." Allein aus dieser Formulierung lässt sich nicht hinreichend sicher auf die Konsequenzen schließen. Deshalb wird der erkennende Senat bis zum Vorliegen der vollständig abgesetzten Urteilsgründe im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten.