VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 15.02.2008 - 5 E 106/07 - asyl.net: M13945
https://www.asyl.net/rsdb/M13945
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Sprachkenntnisse, Sachaufklärungspflicht, Amtsermittlungsgrundsatz, Lebensunterhalt, verfassungsfeindliche Bestrebungen, Unterstützung, PKK, KADEK, KONGRAGEL, freiheitlich-demokratische Grundordnung, Abwenden von verfassungsfeindlichen Bestrebungen
Normen: StAG § 10 Abs. 1 Nr. 3; StAG § 10 Abs. 1 Nr. 6; StAG § 40c; StAG § 11 S. 1 Nr. 1; StAG § 11 S. 1 Nr. 2 a.F.; VwGO § 86 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung.

Die in § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 6 StAG geforderten Voraussetzungen liegen - auch unter Berücksichtigung der gemäß § 40 c StAG anzuwendenden Vergünstigungen - in der Person des Klägers nicht vor.

Der Kläger verfügt nach den Feststellungen des Gerichts nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 10 Abs. 1 Nr. 6 StAG).

Da die Neuregelung neben mündlichen Kenntnissen auch Schriftkenntnisse der deutschen Sprache verlangt, ist zugunsten des Klägers von der vor dem 28.08.2007 geltenden Rechtslage auszugehen, die mündliche Kenntnisse ausreichen ließ. Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.10.2005 - 5 C 8.05 - NJW 2006, 1079) muss sich der Einbürgerungsbewerber nicht notwendigerweise eigenhändig schriftlich ausdrücken können. Ein Einbürgerungsbewerber, der selbst nicht deutsch schreiben kann, muss aber deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten mit technischen Hilfsmitteln Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen und so die schriftliche Äußerung als seine "tragen" können.

Den Feststellungen des Beklagten vom 09.08.2004 vermag das erkennende Gericht angesichts dieses Befundes nicht beizutreten. Es bestehen für das Gericht keine Zweifel, dass der Kläger über die geforderten ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache nicht verfügt. Insbesondere hat sich das Gericht davon überzeugen können, dass die Mängel eindeutig im intellektuellen Bereich (Wortschatz, Grammatik) liegen und nicht auf Defizite in der Sprachmotorik zurückzuführen sind. Zu einer eigenen Prüfung der Sprachkenntnisse ist das Gericht aufgrund des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verpflichtet und insoweit nicht an das Vorbringen der Beteiligten gebunden. Über einen Sachverhalt, den das Gericht als nicht erwiesen ansieht, hat es ggf. vom Amts wegen Beweis zu erheben, auch wenn keiner der Beteiligten das Vorliegen des Sachverhalts bestreitet oder eine Beweiserhebung förmlich beantragt (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzung, den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu bestreiten oder deren Inanspruchnahme nicht vertreten zu müssen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG).

Das Gericht teilt im Ergebnis auch die Auffassung der Behörde, wonach für den Kläger der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (bis 28.08.2007: § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG) vorliegt, weil tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger Bestrebungen verfolgt oder unterstützt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.

Es bestehen für das Gericht keine Zweifel, dass der Kläger durch den Vorfall am 26.11.1994 in Darmstadt die PKK unterstützt hat. Zur Situation der PKK heißt es zusammenfassend im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz "Doppelstrategie de KONGRAGEL", April 2007: ...

Diese dem Gericht plausibel erscheinenden Erkenntnisse führen zu der Feststellung, dass die PKK/der KONGRAGEL Ziele verfolgt, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind.

Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen unter anderem das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (§ 4 Abs. 2 BVerfSchG). Mit diesen Grundsätzen ist die angestrebte gewaltsame Loslösung von der Türkei unvereinbar.

Dass die Aktivitäten der PKK bzw. des KONGRAGEL vorrangig auf eine Änderung der Verhältnisse in der Türkei gerichtet sind, ist für die Einschätzung, der Kläger unterstütze Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richteten, unbedeutend. Denn für den Ausschluss des Einbürgerungsanspruchs genügt es, dass die verfolgten Bestrebungen ihrer Wesensart nach mit denen einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind.

Mit dem Eintreten des Klägers für die PKK ist diese Voraussetzung erfüllt.

Dem Kläger ist es nicht gelungen, eine Abkehr von der - zugegeben - schon über 13 Jahre zurückliegenden unmittelbaren Unterstützungshandlung zugunsten der PKK - im Folgenden wird "PKK" synonym auch für die Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRAGEL verwendet - glaubhaft zu machen.